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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Vorrede
Predigten (und das sind gemeiniglich die so genannten ein-
fältigen) tadelt, und den Brentius seiner schönen und
gelehrten Predigten wegen rühmt. Zeit und Umstände
verändern die Sache. Unsre Religion muß keine eleusi-
nischen Geheimnisse haben, sondern der Zuhörer muß von
allem unterrichtet seyn. Röm. 13, 12. So müssen auch
unsre Gebete nicht blos eigennützige, platte Bitten und
kindisches Wimmern enthalten: sondern wir müssen vor-
züglich dem Allgütigen danken für seine Wohlthaten. Da-
zu aber gehören Augen, Ohren und Nachdenken. Und
diese Art des Gebets ist die würdigste Vorbereitung zur
Ewigkeit. Jene schmecken zu sehr nach dem Menschen:
Bewunderung und Verehrung Gottes aber ist das Ge-
schäfte der Engel. Wer loben kan, handelt nicht recht,
wenn er nur immer bittet.

Der Leser wird mich nun schon verstehen, ohne daß
ich ihm alle Gründe sage und wiederhole, warum ich nicht
Gebete, sondern Anleitung, Stoff, Reizung zu Gebeten
gegeben habe. Ich rechne auf Leser vom so genannten
Mittelstande, welche bei ihrer Erbauung zu denken ge-
wohnt sind. Ich stelle mir einen Christen vor, der jeden
Abend mit guten Gedanken einschlafen will. Dazu schei-
nen mir aber die gewöhnlichen langen Gebete nicht gedacht,
nicht schicklich genug zu seyn. Sie erbauen, so lange man

lieset:

Vorrede
Predigten (und das ſind gemeiniglich die ſo genannten ein-
faͤltigen) tadelt, und den Brentius ſeiner ſchoͤnen und
gelehrten Predigten wegen ruͤhmt. Zeit und Umſtaͤnde
veraͤndern die Sache. Unſre Religion muß keine eleuſi-
niſchen Geheimniſſe haben, ſondern der Zuhoͤrer muß von
allem unterrichtet ſeyn. Roͤm. 13, 12. So muͤſſen auch
unſre Gebete nicht blos eigennuͤtzige, platte Bitten und
kindiſches Wimmern enthalten: ſondern wir muͤſſen vor-
zuͤglich dem Allguͤtigen danken fuͤr ſeine Wohlthaten. Da-
zu aber gehoͤren Augen, Ohren und Nachdenken. Und
dieſe Art des Gebets iſt die wuͤrdigſte Vorbereitung zur
Ewigkeit. Jene ſchmecken zu ſehr nach dem Menſchen:
Bewunderung und Verehrung Gottes aber iſt das Ge-
ſchaͤfte der Engel. Wer loben kan, handelt nicht recht,
wenn er nur immer bittet.

Der Leſer wird mich nun ſchon verſtehen, ohne daß
ich ihm alle Gruͤnde ſage und wiederhole, warum ich nicht
Gebete, ſondern Anleitung, Stoff, Reizung zu Gebeten
gegeben habe. Ich rechne auf Leſer vom ſo genannten
Mittelſtande, welche bei ihrer Erbauung zu denken ge-
wohnt ſind. Ich ſtelle mir einen Chriſten vor, der jeden
Abend mit guten Gedanken einſchlafen will. Dazu ſchei-
nen mir aber die gewoͤhnlichen langen Gebete nicht gedacht,
nicht ſchicklich genug zu ſeyn. Sie erbauen, ſo lange man

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[28/0035] Vorrede Predigten (und das ſind gemeiniglich die ſo genannten ein- faͤltigen) tadelt, und den Brentius ſeiner ſchoͤnen und gelehrten Predigten wegen ruͤhmt. Zeit und Umſtaͤnde veraͤndern die Sache. Unſre Religion muß keine eleuſi- niſchen Geheimniſſe haben, ſondern der Zuhoͤrer muß von allem unterrichtet ſeyn. Roͤm. 13, 12. So muͤſſen auch unſre Gebete nicht blos eigennuͤtzige, platte Bitten und kindiſches Wimmern enthalten: ſondern wir muͤſſen vor- zuͤglich dem Allguͤtigen danken fuͤr ſeine Wohlthaten. Da- zu aber gehoͤren Augen, Ohren und Nachdenken. Und dieſe Art des Gebets iſt die wuͤrdigſte Vorbereitung zur Ewigkeit. Jene ſchmecken zu ſehr nach dem Menſchen: Bewunderung und Verehrung Gottes aber iſt das Ge- ſchaͤfte der Engel. Wer loben kan, handelt nicht recht, wenn er nur immer bittet. Der Leſer wird mich nun ſchon verſtehen, ohne daß ich ihm alle Gruͤnde ſage und wiederhole, warum ich nicht Gebete, ſondern Anleitung, Stoff, Reizung zu Gebeten gegeben habe. Ich rechne auf Leſer vom ſo genannten Mittelſtande, welche bei ihrer Erbauung zu denken ge- wohnt ſind. Ich ſtelle mir einen Chriſten vor, der jeden Abend mit guten Gedanken einſchlafen will. Dazu ſchei- nen mir aber die gewoͤhnlichen langen Gebete nicht gedacht, nicht ſchicklich genug zu ſeyn. Sie erbauen, ſo lange man lieſet:

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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/35>, abgerufen am 24.11.2024.