Jsts möglich, Vater! so verleih, Daß nie der Schlaf mein Lager fliehe, Daß Krankheit, Alter, Sorg und Mühe Mir nächtlich keine Folter sey!
Schlaflose Nächte entkräften und machen uns vor der Zeit alt. Es ist also eine Uebertretung des fünften Gebots, wenn wir, ohne dringende Noth, eine Nacht durchwachen. Mögte ich doch auch in diesem Stück mir keine Vorwürfe ma- chen dürfen! Mögte ich doch niemals die Nacht in Tag verwan- delt, und die schöne Ordnung der Natur umgekehret haben! Wir sind in der Jugend verschwenderisch, und bedenken nicht, wie viel das Alter bedarf. Wir sehen nach einer schlaflosen Nacht um zehn Jahr älter aus, und der darauf folgende Tag ist halb verlo- ren. Sein Alter aber beschleunigen, ist eine Art des Selbst- mords. Jch will mich also (Vater! verzeih die vergangnen Fehler!) von nun an hüten, daß ich kein Tirann an mir selber sey.
Jedoch, elender Nächte dürften mir noch viel werden! Un- abzuändernde Berufsgeschäfte, nagende Sorgen, plötzliche Ge- fahren, hohes Alter, (nach welchem man so geizig ist!) meine und meiner Freunde Krankheiten: o! wie manche schlaflose Nacht verkündigen mir die! Jst es möglich, Vater! so laß den bittern Kelch vor mir vorüber gehen: doch nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe. Mußte selbst mein Erlöser die letzte Nacht seines Lebens schlaflos zubringen, so muß ich mich auch darauf an- schicken. Jch muß wachen und beten können, damit ich nicht in Anfechtung falle. Wie sehr wird diese Zubereitung von den mei-
sten
U 4
Der 30te Mai.
Jſts moͤglich, Vater! ſo verleih, Daß nie der Schlaf mein Lager fliehe, Daß Krankheit, Alter, Sorg und Muͤhe Mir naͤchtlich keine Folter ſey!
Schlafloſe Naͤchte entkraͤften und machen uns vor der Zeit alt. Es iſt alſo eine Uebertretung des fuͤnften Gebots, wenn wir, ohne dringende Noth, eine Nacht durchwachen. Moͤgte ich doch auch in dieſem Stuͤck mir keine Vorwuͤrfe ma- chen duͤrfen! Moͤgte ich doch niemals die Nacht in Tag verwan- delt, und die ſchoͤne Ordnung der Natur umgekehret haben! Wir ſind in der Jugend verſchwenderiſch, und bedenken nicht, wie viel das Alter bedarf. Wir ſehen nach einer ſchlafloſen Nacht um zehn Jahr aͤlter aus, und der darauf folgende Tag iſt halb verlo- ren. Sein Alter aber beſchleunigen, iſt eine Art des Selbſt- mords. Jch will mich alſo (Vater! verzeih die vergangnen Fehler!) von nun an huͤten, daß ich kein Tirann an mir ſelber ſey.
Jedoch, elender Naͤchte duͤrften mir noch viel werden! Un- abzuaͤndernde Berufsgeſchaͤfte, nagende Sorgen, ploͤtzliche Ge- fahren, hohes Alter, (nach welchem man ſo geizig iſt!) meine und meiner Freunde Krankheiten: o! wie manche ſchlafloſe Nacht verkuͤndigen mir die! Jſt es moͤglich, Vater! ſo laß den bittern Kelch vor mir voruͤber gehen: doch nicht mein Wille, ſondern dein Wille geſchehe. Mußte ſelbſt mein Erloͤſer die letzte Nacht ſeines Lebens ſchlaflos zubringen, ſo muß ich mich auch darauf an- ſchicken. Jch muß wachen und beten koͤnnen, damit ich nicht in Anfechtung falle. Wie ſehr wird dieſe Zubereitung von den mei-
ſten
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[311[341]/0348]
Der 30te Mai.
Jſts moͤglich, Vater! ſo verleih,
Daß nie der Schlaf mein Lager fliehe,
Daß Krankheit, Alter, Sorg und Muͤhe
Mir naͤchtlich keine Folter ſey!
Schlafloſe Naͤchte entkraͤften und machen uns vor der Zeit
alt. Es iſt alſo eine Uebertretung des fuͤnften Gebots,
wenn wir, ohne dringende Noth, eine Nacht durchwachen.
Moͤgte ich doch auch in dieſem Stuͤck mir keine Vorwuͤrfe ma-
chen duͤrfen! Moͤgte ich doch niemals die Nacht in Tag verwan-
delt, und die ſchoͤne Ordnung der Natur umgekehret haben! Wir
ſind in der Jugend verſchwenderiſch, und bedenken nicht, wie viel
das Alter bedarf. Wir ſehen nach einer ſchlafloſen Nacht um
zehn Jahr aͤlter aus, und der darauf folgende Tag iſt halb verlo-
ren. Sein Alter aber beſchleunigen, iſt eine Art des Selbſt-
mords. Jch will mich alſo (Vater! verzeih die vergangnen
Fehler!) von nun an huͤten, daß ich kein Tirann an mir ſelber ſey.
Jedoch, elender Naͤchte duͤrften mir noch viel werden! Un-
abzuaͤndernde Berufsgeſchaͤfte, nagende Sorgen, ploͤtzliche Ge-
fahren, hohes Alter, (nach welchem man ſo geizig iſt!) meine
und meiner Freunde Krankheiten: o! wie manche ſchlafloſe Nacht
verkuͤndigen mir die! Jſt es moͤglich, Vater! ſo laß den bittern
Kelch vor mir voruͤber gehen: doch nicht mein Wille, ſondern
dein Wille geſchehe. Mußte ſelbſt mein Erloͤſer die letzte Nacht
ſeines Lebens ſchlaflos zubringen, ſo muß ich mich auch darauf an-
ſchicken. Jch muß wachen und beten koͤnnen, damit ich nicht in
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 311[341]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/348>, abgerufen am 25.11.2024.
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