Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite


Der 28te Mai.
Befiehl du deine Wege,
Und was dein Herze kränkt,
Der allertreusten Pflege
Deß, der den Himmel lenkt,
Der Wolken, Luft und Winden
Gibt Wege, Lauf und Bahn,
Der wird auch Wege finden,
Da dein Fuß gehen kan.


Es gibt Thoren, welche die genaue Ordnung in den Werken
Gottes für etwas maschinenmäßiges halten. Sie dünken
sich halber Schöpfer zu seyn, weil sie den Lauf der Sonne, den
jedesmaligen Stand des Mondes und der Gestirne vorhersagen
können. Aber nicht alles in der Natur ist so einförmig, daß ihr
es an euren Fingern vorher abzählen könnt!

Die Witterungen bleiben ein Beweis der menschlichen
Blödsichtigkeit und der Weisheit der Vorsicht. Und wenn wir
tausend Jahre hindurch das Wetter betrachteten, so wäre doch
kein Jahr dem andern vollkommen gleich. Wie viele übermensch-
liche Weisheit aber gehöret nicht dazu, Wind, Regen, Sturm,
Reife, Schnee, Blitze und Sonnenschein so zu vertheilen, und
so eins auf das andre folgen zu lassen, daß kein Strich des Erd-
bodens vergessen sey! Denn in einem so künstlichen Uhrwerk, als
die Natur ist, würde Ein Fehler zehn andre gebähren, und Ein
gehemmtes Rad würde die Stockung sehr vieler andern nach sich
ziehen. Wohl erwogen, daß nicht jedes Land, nicht jede Stadt
einerlei Witterung mit den benachbarten Gegenden vertragen

könne.
U 2


Der 28te Mai.
Befiehl du deine Wege,
Und was dein Herze kraͤnkt,
Der allertreuſten Pflege
Deß, der den Himmel lenkt,
Der Wolken, Luft und Winden
Gibt Wege, Lauf und Bahn,
Der wird auch Wege finden,
Da dein Fuß gehen kan.


Es gibt Thoren, welche die genaue Ordnung in den Werken
Gottes fuͤr etwas maſchinenmaͤßiges halten. Sie duͤnken
ſich halber Schoͤpfer zu ſeyn, weil ſie den Lauf der Sonne, den
jedesmaligen Stand des Mondes und der Geſtirne vorherſagen
koͤnnen. Aber nicht alles in der Natur iſt ſo einfoͤrmig, daß ihr
es an euren Fingern vorher abzaͤhlen koͤnnt!

Die Witterungen bleiben ein Beweis der menſchlichen
Bloͤdſichtigkeit und der Weisheit der Vorſicht. Und wenn wir
tauſend Jahre hindurch das Wetter betrachteten, ſo waͤre doch
kein Jahr dem andern vollkommen gleich. Wie viele uͤbermenſch-
liche Weisheit aber gehoͤret nicht dazu, Wind, Regen, Sturm,
Reife, Schnee, Blitze und Sonnenſchein ſo zu vertheilen, und
ſo eins auf das andre folgen zu laſſen, daß kein Strich des Erd-
bodens vergeſſen ſey! Denn in einem ſo kuͤnſtlichen Uhrwerk, als
die Natur iſt, wuͤrde Ein Fehler zehn andre gebaͤhren, und Ein
gehemmtes Rad wuͤrde die Stockung ſehr vieler andern nach ſich
ziehen. Wohl erwogen, daß nicht jedes Land, nicht jede Stadt
einerlei Witterung mit den benachbarten Gegenden vertragen

koͤnne.
U 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0344" n="307[337]"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Der 28<hi rendition="#sup">te</hi> Mai.</hi> </head><lb/>
            <lg type="poem">
              <l><hi rendition="#in">B</hi>efiehl du deine Wege,</l><lb/>
              <l>Und was dein Herze kra&#x0364;nkt,</l><lb/>
              <l>Der allertreu&#x017F;ten Pflege</l><lb/>
              <l>Deß, der den Himmel lenkt,</l><lb/>
              <l>Der Wolken, Luft und Winden</l><lb/>
              <l>Gibt Wege, Lauf und Bahn,</l><lb/>
              <l>Der wird auch Wege finden,</l><lb/>
              <l>Da dein Fuß gehen kan.</l>
            </lg><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <p><hi rendition="#in">E</hi>s gibt Thoren, welche die genaue Ordnung in den Werken<lb/>
Gottes fu&#x0364;r etwas ma&#x017F;chinenma&#x0364;ßiges halten. Sie du&#x0364;nken<lb/>
&#x017F;ich halber Scho&#x0364;pfer zu &#x017F;eyn, weil &#x017F;ie den Lauf der Sonne, den<lb/>
jedesmaligen Stand des Mondes und der Ge&#x017F;tirne vorher&#x017F;agen<lb/>
ko&#x0364;nnen. Aber nicht alles in der Natur i&#x017F;t &#x017F;o einfo&#x0364;rmig, daß ihr<lb/>
es an euren Fingern vorher abza&#x0364;hlen ko&#x0364;nnt!</p><lb/>
            <p><hi rendition="#fr">Die Witterungen</hi> bleiben ein Beweis der men&#x017F;chlichen<lb/>
Blo&#x0364;d&#x017F;ichtigkeit und der Weisheit der Vor&#x017F;icht. Und wenn wir<lb/>
tau&#x017F;end Jahre hindurch das Wetter betrachteten, &#x017F;o wa&#x0364;re doch<lb/>
kein Jahr dem andern vollkommen gleich. Wie viele u&#x0364;bermen&#x017F;ch-<lb/>
liche Weisheit aber geho&#x0364;ret nicht dazu, Wind, Regen, Sturm,<lb/>
Reife, Schnee, Blitze und Sonnen&#x017F;chein &#x017F;o zu vertheilen, und<lb/>
&#x017F;o eins auf das andre folgen zu la&#x017F;&#x017F;en, daß kein Strich des Erd-<lb/>
bodens verge&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ey! Denn in einem &#x017F;o ku&#x0364;n&#x017F;tlichen Uhrwerk, als<lb/>
die Natur i&#x017F;t, wu&#x0364;rde Ein Fehler zehn andre geba&#x0364;hren, und Ein<lb/>
gehemmtes Rad wu&#x0364;rde die Stockung &#x017F;ehr vieler andern nach &#x017F;ich<lb/>
ziehen. Wohl erwogen, daß nicht jedes Land, nicht jede Stadt<lb/>
einerlei Witterung mit den benachbarten Gegenden vertragen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">U 2</fw><fw place="bottom" type="catch">ko&#x0364;nne.</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[307[337]/0344] Der 28te Mai. Befiehl du deine Wege, Und was dein Herze kraͤnkt, Der allertreuſten Pflege Deß, der den Himmel lenkt, Der Wolken, Luft und Winden Gibt Wege, Lauf und Bahn, Der wird auch Wege finden, Da dein Fuß gehen kan. Es gibt Thoren, welche die genaue Ordnung in den Werken Gottes fuͤr etwas maſchinenmaͤßiges halten. Sie duͤnken ſich halber Schoͤpfer zu ſeyn, weil ſie den Lauf der Sonne, den jedesmaligen Stand des Mondes und der Geſtirne vorherſagen koͤnnen. Aber nicht alles in der Natur iſt ſo einfoͤrmig, daß ihr es an euren Fingern vorher abzaͤhlen koͤnnt! Die Witterungen bleiben ein Beweis der menſchlichen Bloͤdſichtigkeit und der Weisheit der Vorſicht. Und wenn wir tauſend Jahre hindurch das Wetter betrachteten, ſo waͤre doch kein Jahr dem andern vollkommen gleich. Wie viele uͤbermenſch- liche Weisheit aber gehoͤret nicht dazu, Wind, Regen, Sturm, Reife, Schnee, Blitze und Sonnenſchein ſo zu vertheilen, und ſo eins auf das andre folgen zu laſſen, daß kein Strich des Erd- bodens vergeſſen ſey! Denn in einem ſo kuͤnſtlichen Uhrwerk, als die Natur iſt, wuͤrde Ein Fehler zehn andre gebaͤhren, und Ein gehemmtes Rad wuͤrde die Stockung ſehr vieler andern nach ſich ziehen. Wohl erwogen, daß nicht jedes Land, nicht jede Stadt einerlei Witterung mit den benachbarten Gegenden vertragen koͤnne. U 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-05-24T12:24:22Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/344
Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 307[337]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/344>, abgerufen am 22.11.2024.