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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 25te Mai.

Wie gerne theilet doch der Sünder die Ehre Gottes, und
will lieber bezahlen, als von seinem Schöpfer Geschenk annehmen!
Hungern, Speise wählen, sich müde laufen, wund knien und den
Rücken aufpeitschen: alles wendet der Mensch lieber dran, als
daß er Jesu Christo allein die Ehre der Erlösung gäbe. Es ist
leichter pflügen als beten: leichter Kapellen bauen, Kranke, Ge-
fangne besuchen, und die steilsten Berge erklettern: als sich demü-
tigen und mit Warheit sagen: Herr! ich bin nicht werth, daß du
unter mein Dach gehest; Jesu, du Sohn Davids erbarme dich
mein! Unsre Eigenliebe spiegelt sich gar zu gern in eingebildeter
Grösse, und wendet Gesundheit, Mühe und Geld daran, um sich
immer einen noch gröslern Spiegel zu verschaffen. Aber die
Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist; ein geäng-
stetes und zerschlagnes Herz wirst du, Gott! nicht verachten.

Nur dir, o Jesu! nur dir sey Preis und alles Verdienst;
Ohne dich kan ich nichts thun. Ein trauriges Gemüth auch über
meine kleinste Sünden, und redlichen Vorsatz mich zu bessern:
mehr bedarf es nicht von meiner seite: alles übrige ist dein Werk.
Du hast das Mahl bereitet: ich darf nur kommen; du hasts ge-
than: ich darf nur fähig seyn, der Früchte deines Thuns und lei-
dens zu geniessen. Entkleidet demnach von aller eignen Gerech-
tigkeit, will ich dir die Ehre geben, daß du allein meine Sünden
büssen und mir den Himmel erwerben kontest. Deine Liebe, wel-
che ohnedem höher ist, denn alles unser Wissen, wird mir noch
rührender, noch anbetungswürdiger, wenn ich erwege, daß ich
ihrer umsonst und ohne mein Zuthun theilhaftig werde. Mehr
als mein Herz verlangst du nicht: (freilich gäbe ich lieber Geld
und Blut!) hier ist es; es sey von nun an dein Eigenthum! An
deiner Hand will ich frei und kindlich wandeln. Dank sey dir,
mein Erbarmer! für deine Erlösung. Das letzte Wort meines
Lebens müsse Dank für dich seyn!

Der
Der 25te Mai.

Wie gerne theilet doch der Suͤnder die Ehre Gottes, und
will lieber bezahlen, als von ſeinem Schoͤpfer Geſchenk annehmen!
Hungern, Speiſe waͤhlen, ſich muͤde laufen, wund knien und den
Ruͤcken aufpeitſchen: alles wendet der Menſch lieber dran, als
daß er Jeſu Chriſto allein die Ehre der Erloͤſung gaͤbe. Es iſt
leichter pfluͤgen als beten: leichter Kapellen bauen, Kranke, Ge-
fangne beſuchen, und die ſteilſten Berge erklettern: als ſich demuͤ-
tigen und mit Warheit ſagen: Herr! ich bin nicht werth, daß du
unter mein Dach geheſt; Jeſu, du Sohn Davids erbarme dich
mein! Unſre Eigenliebe ſpiegelt ſich gar zu gern in eingebildeter
Groͤſſe, und wendet Geſundheit, Muͤhe und Geld daran, um ſich
immer einen noch groͤſlern Spiegel zu verſchaffen. Aber die
Opfer, die Gott gefallen, ſind ein geaͤngſteter Geiſt; ein geaͤng-
ſtetes und zerſchlagnes Herz wirſt du, Gott! nicht verachten.

Nur dir, o Jeſu! nur dir ſey Preis und alles Verdienſt;
Ohne dich kan ich nichts thun. Ein trauriges Gemuͤth auch uͤber
meine kleinſte Suͤnden, und redlichen Vorſatz mich zu beſſern:
mehr bedarf es nicht von meiner ſeite: alles uͤbrige iſt dein Werk.
Du haſt das Mahl bereitet: ich darf nur kommen; du haſts ge-
than: ich darf nur faͤhig ſeyn, der Fruͤchte deines Thuns und lei-
dens zu genieſſen. Entkleidet demnach von aller eignen Gerech-
tigkeit, will ich dir die Ehre geben, daß du allein meine Suͤnden
buͤſſen und mir den Himmel erwerben konteſt. Deine Liebe, wel-
che ohnedem hoͤher iſt, denn alles unſer Wiſſen, wird mir noch
ruͤhrender, noch anbetungswuͤrdiger, wenn ich erwege, daß ich
ihrer umſonſt und ohne mein Zuthun theilhaftig werde. Mehr
als mein Herz verlangſt du nicht: (freilich gaͤbe ich lieber Geld
und Blut!) hier iſt es; es ſey von nun an dein Eigenthum! An
deiner Hand will ich frei und kindlich wandeln. Dank ſey dir,
mein Erbarmer! fuͤr deine Erloͤſung. Das letzte Wort meines
Lebens muͤſſe Dank fuͤr dich ſeyn!

Der
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[302[332]/0339] Der 25te Mai. Wie gerne theilet doch der Suͤnder die Ehre Gottes, und will lieber bezahlen, als von ſeinem Schoͤpfer Geſchenk annehmen! Hungern, Speiſe waͤhlen, ſich muͤde laufen, wund knien und den Ruͤcken aufpeitſchen: alles wendet der Menſch lieber dran, als daß er Jeſu Chriſto allein die Ehre der Erloͤſung gaͤbe. Es iſt leichter pfluͤgen als beten: leichter Kapellen bauen, Kranke, Ge- fangne beſuchen, und die ſteilſten Berge erklettern: als ſich demuͤ- tigen und mit Warheit ſagen: Herr! ich bin nicht werth, daß du unter mein Dach geheſt; Jeſu, du Sohn Davids erbarme dich mein! Unſre Eigenliebe ſpiegelt ſich gar zu gern in eingebildeter Groͤſſe, und wendet Geſundheit, Muͤhe und Geld daran, um ſich immer einen noch groͤſlern Spiegel zu verſchaffen. Aber die Opfer, die Gott gefallen, ſind ein geaͤngſteter Geiſt; ein geaͤng- ſtetes und zerſchlagnes Herz wirſt du, Gott! nicht verachten. Nur dir, o Jeſu! nur dir ſey Preis und alles Verdienſt; Ohne dich kan ich nichts thun. Ein trauriges Gemuͤth auch uͤber meine kleinſte Suͤnden, und redlichen Vorſatz mich zu beſſern: mehr bedarf es nicht von meiner ſeite: alles uͤbrige iſt dein Werk. Du haſt das Mahl bereitet: ich darf nur kommen; du haſts ge- than: ich darf nur faͤhig ſeyn, der Fruͤchte deines Thuns und lei- dens zu genieſſen. Entkleidet demnach von aller eignen Gerech- tigkeit, will ich dir die Ehre geben, daß du allein meine Suͤnden buͤſſen und mir den Himmel erwerben konteſt. Deine Liebe, wel- che ohnedem hoͤher iſt, denn alles unſer Wiſſen, wird mir noch ruͤhrender, noch anbetungswuͤrdiger, wenn ich erwege, daß ich ihrer umſonſt und ohne mein Zuthun theilhaftig werde. Mehr als mein Herz verlangſt du nicht: (freilich gaͤbe ich lieber Geld und Blut!) hier iſt es; es ſey von nun an dein Eigenthum! An deiner Hand will ich frei und kindlich wandeln. Dank ſey dir, mein Erbarmer! fuͤr deine Erloͤſung. Das letzte Wort meines Lebens muͤſſe Dank fuͤr dich ſeyn! Der

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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 302[332]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/339>, abgerufen am 24.11.2024.