Jch bitte nicht um Ueberfluß Und Schätze dieser Erden. Laß mir, so viel ich haben muß, Nach deiner Gnade werden.
Die Verblendung der Menschen in Absicht des Reichthums geht über alle Begriffe. Sie wissen, sie können es wissen, wie furchtbar derselbe sey; Schrift und Vernunft sagen es ihnen: aber sie bleiben bei der Anbetung dieses ohnmächtigen Götzen. Allerdings hat der gefährliche Reichthum seinen grossen Werth, aber nur den nicht, welchon die meisten Menschen ihm beilegen. Man kan andre zuweilen mit ihm glücklich machen, sich selbst aber nicht, wenn man es nicht schon vorher war. Um des erstern willen aber wird der Reichthum wol selten gesucht und er- arbeitet. Selbst will man glücklich durch ihn werden, und das geschiehet nicht.
Es kan nicht geschehen, weil unser Glück blos auf Zufrie- denheit beruhet, und diese gibt der Mammon so wenig, daß er sie vielmehr raubet. Gold und Silber können unsre Seele nicht verändern, dazu gehören geistige Güter. Jene führen Zerstreuung, Sorgen, Verdruß und Ueberladungen mit sich: unmöglich kön- nen sie also die Ruhe des Gemüths befördern; und wie können wir denn glücklich seyn? Tausendjährige Erfahrungen hätten doch den Menschen witzigen sollen. Und ist die menschliche Natur nicht immer dieselbe? Man nehme ein Dorf, wo zwanzig Familien arm, aber ruhig und beneidenswerth vergnügt leben: man gebe jeder den größten Reichthum, und besuche sie nach Jahr und Tag. Die rothen Wangen find weg, das unschuldige Lächeln ist steifer Ernst. Jhr ländlicher Tanz unter Bäumen ist von Habsucht,
Eigen-
Der 16te Mai.
Jch bitte nicht um Ueberfluß Und Schaͤtze dieſer Erden. Laß mir, ſo viel ich haben muß, Nach deiner Gnade werden.
Die Verblendung der Menſchen in Abſicht des Reichthums geht uͤber alle Begriffe. Sie wiſſen, ſie koͤnnen es wiſſen, wie furchtbar derſelbe ſey; Schrift und Vernunft ſagen es ihnen: aber ſie bleiben bei der Anbetung dieſes ohnmaͤchtigen Goͤtzen. Allerdings hat der gefaͤhrliche Reichthum ſeinen groſſen Werth, aber nur den nicht, welchon die meiſten Menſchen ihm beilegen. Man kan andre zuweilen mit ihm gluͤcklich machen, ſich ſelbſt aber nicht, wenn man es nicht ſchon vorher war. Um des erſtern willen aber wird der Reichthum wol ſelten geſucht und er- arbeitet. Selbſt will man gluͤcklich durch ihn werden, und das geſchiehet nicht.
Es kan nicht geſchehen, weil unſer Gluͤck blos auf Zufrie- denheit beruhet, und dieſe gibt der Mammon ſo wenig, daß er ſie vielmehr raubet. Gold und Silber koͤnnen unſre Seele nicht veraͤndern, dazu gehoͤren geiſtige Guͤter. Jene fuͤhren Zerſtreuung, Sorgen, Verdruß und Ueberladungen mit ſich: unmoͤglich koͤn- nen ſie alſo die Ruhe des Gemuͤths befoͤrdern; und wie koͤnnen wir denn gluͤcklich ſeyn? Tauſendjaͤhrige Erfahrungen haͤtten doch den Menſchen witzigen ſollen. Und iſt die menſchliche Natur nicht immer dieſelbe? Man nehme ein Dorf, wo zwanzig Familien arm, aber ruhig und beneidenswerth vergnuͤgt leben: man gebe jeder den groͤßten Reichthum, und beſuche ſie nach Jahr und Tag. Die rothen Wangen find weg, das unſchuldige Laͤcheln iſt ſteifer Ernſt. Jhr laͤndlicher Tanz unter Baͤumen iſt von Habſucht,
Eigen-
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[283[313]/0320]
Der 16te Mai.
Jch bitte nicht um Ueberfluß
Und Schaͤtze dieſer Erden.
Laß mir, ſo viel ich haben muß,
Nach deiner Gnade werden.
Die Verblendung der Menſchen in Abſicht des Reichthums
geht uͤber alle Begriffe. Sie wiſſen, ſie koͤnnen es wiſſen,
wie furchtbar derſelbe ſey; Schrift und Vernunft ſagen es ihnen:
aber ſie bleiben bei der Anbetung dieſes ohnmaͤchtigen Goͤtzen.
Allerdings hat der gefaͤhrliche Reichthum ſeinen groſſen
Werth, aber nur den nicht, welchon die meiſten Menſchen ihm
beilegen. Man kan andre zuweilen mit ihm gluͤcklich machen, ſich
ſelbſt aber nicht, wenn man es nicht ſchon vorher war. Um des
erſtern willen aber wird der Reichthum wol ſelten geſucht und er-
arbeitet. Selbſt will man gluͤcklich durch ihn werden, und das
geſchiehet nicht.
Es kan nicht geſchehen, weil unſer Gluͤck blos auf Zufrie-
denheit beruhet, und dieſe gibt der Mammon ſo wenig, daß er
ſie vielmehr raubet. Gold und Silber koͤnnen unſre Seele nicht
veraͤndern, dazu gehoͤren geiſtige Guͤter. Jene fuͤhren Zerſtreuung,
Sorgen, Verdruß und Ueberladungen mit ſich: unmoͤglich koͤn-
nen ſie alſo die Ruhe des Gemuͤths befoͤrdern; und wie koͤnnen wir
denn gluͤcklich ſeyn? Tauſendjaͤhrige Erfahrungen haͤtten doch den
Menſchen witzigen ſollen. Und iſt die menſchliche Natur nicht
immer dieſelbe? Man nehme ein Dorf, wo zwanzig Familien
arm, aber ruhig und beneidenswerth vergnuͤgt leben: man gebe
jeder den groͤßten Reichthum, und beſuche ſie nach Jahr und Tag.
Die rothen Wangen find weg, das unſchuldige Laͤcheln iſt ſteifer
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 283[313]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/320>, abgerufen am 25.11.2024.
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