Ungläubige sind blind. Sie müssen Dinge glauben, Die Ruh und Himmel rauben, Und ganz unglaublich sind.
Unsre Ungläubigen beschweren sich immer über die Unglaublich- keit mancher Religionswahrheiten, und sie mögten uns gerne bereden, daß ihr Geist zu stark sey, etwas unerwiesenes oder nur unwahrscheinliches zu glauben: aber gewiß, der einfältigste Christ nimt nichts so blindlings an, als der leichtgläubige Unglaube es thut.
Was ist glaublicher: daß der heilige und gerechte Gott die Sünden strafen wird, oder nicht? Jm ersten Falle verdient er Verehrung, im andern Klagen und Vorwürfe. Der gnädige Gott, der selbst dem verächtlichsten Thiere sein Futter besorgt, und seine milde Hand zu rechter Zeit aufthut; er, der für den Körper der Menschen so viel Wohlfart und Vergnügen erschuf: ist es glaublich, daß er den Geistern seiner edelsten Geschöpfe auf Erden, nicht das geringste zum Unterricht, zur Stillung ihres Gewissens, und zur Befestigung ihrer schwankenden Hofnung erschaffen oder veranstaltet habe? Es ist weit glaublicher, daß eine göttliche Offenbarung vorhanden sey, als daß der Glaube der Hottentotten, oder die natürliche Religion, (wofern sich eine ohne vorhergegangene Offenbarung denken läßt) die höchste Stuffe unsrer gelstlichen Glückseligkeit seyn solte. Hauptsächlich ist der Gekreuzigte den Juden ein Aergerniß, und den Weisen eine Thor- heit: aber warum denn? Nicht wahr, jene würden kein Aerger- niß an ihm genommen haben, wenn er Europa und Asien erobert, und jedem Juden eine Provinz geschenkt hätte? Und diese würden ihn bewundern, (fast so sehr als sich selber) hätte er in tief erson- nenen Schlüssen, oder mit glänzendem Witz, Regeln der Politik
entworfen,
Der 10te Mai.
Unglaͤubige ſind blind. Sie muͤſſen Dinge glauben, Die Ruh und Himmel rauben, Und ganz unglaublich ſind.
Unſre Unglaͤubigen beſchweren ſich immer uͤber die Unglaublich- keit mancher Religionswahrheiten, und ſie moͤgten uns gerne bereden, daß ihr Geiſt zu ſtark ſey, etwas unerwieſenes oder nur unwahrſcheinliches zu glauben: aber gewiß, der einfaͤltigſte Chriſt nimt nichts ſo blindlings an, als der leichtglaͤubige Unglaube es thut.
Was iſt glaublicher: daß der heilige und gerechte Gott die Suͤnden ſtrafen wird, oder nicht? Jm erſten Falle verdient er Verehrung, im andern Klagen und Vorwuͤrfe. Der gnaͤdige Gott, der ſelbſt dem veraͤchtlichſten Thiere ſein Futter beſorgt, und ſeine milde Hand zu rechter Zeit aufthut; er, der fuͤr den Koͤrper der Menſchen ſo viel Wohlfart und Vergnuͤgen erſchuf: iſt es glaublich, daß er den Geiſtern ſeiner edelſten Geſchoͤpfe auf Erden, nicht das geringſte zum Unterricht, zur Stillung ihres Gewiſſens, und zur Befeſtigung ihrer ſchwankenden Hofnung erſchaffen oder veranſtaltet habe? Es iſt weit glaublicher, daß eine goͤttliche Offenbarung vorhanden ſey, als daß der Glaube der Hottentotten, oder die natuͤrliche Religion, (wofern ſich eine ohne vorhergegangene Offenbarung denken laͤßt) die hoͤchſte Stuffe unſrer gelſtlichen Gluͤckſeligkeit ſeyn ſolte. Hauptſaͤchlich iſt der Gekreuzigte den Juden ein Aergerniß, und den Weiſen eine Thor- heit: aber warum denn? Nicht wahr, jene wuͤrden kein Aerger- niß an ihm genommen haben, wenn er Europa und Aſien erobert, und jedem Juden eine Provinz geſchenkt haͤtte? Und dieſe wuͤrden ihn bewundern, (faſt ſo ſehr als ſich ſelber) haͤtte er in tief erſon- nenen Schluͤſſen, oder mit glaͤnzendem Witz, Regeln der Politik
entworfen,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0308"n="271[301]"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">Der 10<hirendition="#sup">te</hi> Mai.</hi></head><lb/><lgtype="poem"><l><hirendition="#in">U</hi>nglaͤubige ſind blind.</l><lb/><l>Sie muͤſſen Dinge glauben,</l><lb/><l>Die Ruh und Himmel rauben,</l><lb/><l>Und ganz unglaublich ſind.</l></lg><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p><hirendition="#in">U</hi>nſre Unglaͤubigen beſchweren ſich immer uͤber die Unglaublich-<lb/>
keit mancher Religionswahrheiten, und ſie moͤgten uns gerne<lb/>
bereden, daß ihr Geiſt zu ſtark ſey, etwas unerwieſenes oder nur<lb/>
unwahrſcheinliches zu glauben: aber gewiß, der einfaͤltigſte Chriſt<lb/>
nimt nichts ſo blindlings an, als <hirendition="#fr">der leichtglaͤubige Unglaube</hi><lb/>
es thut.</p><lb/><p>Was iſt glaublicher: daß der heilige und gerechte Gott die<lb/>
Suͤnden ſtrafen wird, oder nicht? Jm erſten Falle verdient er<lb/>
Verehrung, im andern Klagen und Vorwuͤrfe. Der gnaͤdige<lb/>
Gott, der ſelbſt dem veraͤchtlichſten Thiere ſein Futter beſorgt,<lb/>
und ſeine milde Hand zu rechter Zeit aufthut; er, der fuͤr den<lb/>
Koͤrper der Menſchen ſo viel Wohlfart und Vergnuͤgen erſchuf:<lb/>
iſt es glaublich, daß er den Geiſtern ſeiner edelſten Geſchoͤpfe auf<lb/>
Erden, nicht das geringſte zum Unterricht, zur Stillung ihres<lb/>
Gewiſſens, und zur Befeſtigung ihrer ſchwankenden Hofnung<lb/>
erſchaffen oder veranſtaltet habe? Es iſt weit glaublicher, daß eine<lb/>
goͤttliche Offenbarung vorhanden ſey, als daß der Glaube der<lb/>
Hottentotten, oder die natuͤrliche Religion, (wofern ſich eine ohne<lb/>
vorhergegangene Offenbarung denken laͤßt) die hoͤchſte Stuffe<lb/>
unſrer gelſtlichen Gluͤckſeligkeit ſeyn ſolte. Hauptſaͤchlich iſt der<lb/>
Gekreuzigte den Juden ein Aergerniß, und den Weiſen eine Thor-<lb/>
heit: aber warum denn? Nicht wahr, jene wuͤrden kein Aerger-<lb/>
niß an ihm genommen haben, wenn er Europa und Aſien erobert,<lb/>
und jedem Juden eine Provinz geſchenkt haͤtte? Und dieſe wuͤrden<lb/>
ihn bewundern, (faſt ſo ſehr als ſich ſelber) haͤtte er in tief erſon-<lb/>
nenen Schluͤſſen, oder mit glaͤnzendem Witz, Regeln der Politik<lb/><fwplace="bottom"type="catch">entworfen,</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[271[301]/0308]
Der 10te Mai.
Unglaͤubige ſind blind.
Sie muͤſſen Dinge glauben,
Die Ruh und Himmel rauben,
Und ganz unglaublich ſind.
Unſre Unglaͤubigen beſchweren ſich immer uͤber die Unglaublich-
keit mancher Religionswahrheiten, und ſie moͤgten uns gerne
bereden, daß ihr Geiſt zu ſtark ſey, etwas unerwieſenes oder nur
unwahrſcheinliches zu glauben: aber gewiß, der einfaͤltigſte Chriſt
nimt nichts ſo blindlings an, als der leichtglaͤubige Unglaube
es thut.
Was iſt glaublicher: daß der heilige und gerechte Gott die
Suͤnden ſtrafen wird, oder nicht? Jm erſten Falle verdient er
Verehrung, im andern Klagen und Vorwuͤrfe. Der gnaͤdige
Gott, der ſelbſt dem veraͤchtlichſten Thiere ſein Futter beſorgt,
und ſeine milde Hand zu rechter Zeit aufthut; er, der fuͤr den
Koͤrper der Menſchen ſo viel Wohlfart und Vergnuͤgen erſchuf:
iſt es glaublich, daß er den Geiſtern ſeiner edelſten Geſchoͤpfe auf
Erden, nicht das geringſte zum Unterricht, zur Stillung ihres
Gewiſſens, und zur Befeſtigung ihrer ſchwankenden Hofnung
erſchaffen oder veranſtaltet habe? Es iſt weit glaublicher, daß eine
goͤttliche Offenbarung vorhanden ſey, als daß der Glaube der
Hottentotten, oder die natuͤrliche Religion, (wofern ſich eine ohne
vorhergegangene Offenbarung denken laͤßt) die hoͤchſte Stuffe
unſrer gelſtlichen Gluͤckſeligkeit ſeyn ſolte. Hauptſaͤchlich iſt der
Gekreuzigte den Juden ein Aergerniß, und den Weiſen eine Thor-
heit: aber warum denn? Nicht wahr, jene wuͤrden kein Aerger-
niß an ihm genommen haben, wenn er Europa und Aſien erobert,
und jedem Juden eine Provinz geſchenkt haͤtte? Und dieſe wuͤrden
ihn bewundern, (faſt ſo ſehr als ſich ſelber) haͤtte er in tief erſon-
nenen Schluͤſſen, oder mit glaͤnzendem Witz, Regeln der Politik
entworfen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 271[301]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/308>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.