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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 4te Mai.
dieses Leben eben so schön. Laster auf Laster gethürmt, erslickt
die Anklagen des innern Richters. Jnnre Schönheit der Tu-
gend? Ja, daran zweifle ich eben, so lange ich lasterhaft bin.

Zwar haben alle diese Bewegungsgründe zur Tugend ihren
gemeßnen Werth, sonderlich die letztern. Nur ihre Würkung
ist zu schwach; im Unglück sind sie eine morsche Stütze, und im
Kampf ein zerbrochner Schild. Hatte Joseph keinen mächtigern
Bewegungsgrund, so ließ er den Mantel nicht fahren. Wie solte
ich ein so grosses Uebel thun, und wider Gott sündigen: dis allein
war Gegengift wider die Reize des viel versprechenden Lasters.

Liebe, Dankbarkeit gegen Gott und Hofnung: wer dadurch
nicht tugendhaft wird, bleibet ein Miethling, und wird leicht ein
Ueberläufer zum Laster. Zeitliche Vortheile verändern sich wie
die Luft: aber Liebe gegen Gott und Dankbarkeit bekommen mit
jedem Othemzuge neue Nahrung. Sie füllen das Herz aus, und
nicht blos den Kopf. Jn Verbindung mit der Hofnung des
ewigen Lebens besiegen sie alle erdenkliche Einwürfe und Leiden.
Alle andre Quellen sind trübe und seicht: diese bleibet glatt und
rein, wenn wir auch noch so viel Thränen hinein weinen müßten;
ja sie wächst dadurch an. Jene Sachwalter der Tugend rufen
zur Zeit der Anfechtung spöttisch, wie Hiobs Weib: hältst du
noch fest an deiner Frömmigkeit? Liebe zu Gott lehrt auf dem
Scheiterhaufen einen Lobgesang. Jene würden allenfals einen
Königsmord entschuldigen; die christliche Tugend bietet Kraft
an, Armut, Schmerz und Sklaverei zu ertragen.

Jch will also hauptsächlich fromm seyn, weil du es bist,
mein Gott! und weil ich ein Ungeheuer wäre, wenn ich deine
unzählige Wohlthaten, sonderlich deine Liebe gegen mich in Chri-
sto vergessen, und dir nicht dankvoll gehorchen wolte. Ein ruhi-
ges Gewissen im Tode, und feste Hofnung ewiger Freuden, ver-
kleinern mir jedes Kreuz. Jch bete kindlich, erhör mich, o!
Jesu, und mache mich stark genug, den Himmel der Erde vor-
zuziehen!

Der

Der 4te Mai.
dieſes Leben eben ſo ſchoͤn. Laſter auf Laſter gethuͤrmt, erſlickt
die Anklagen des innern Richters. Jnnre Schoͤnheit der Tu-
gend? Ja, daran zweifle ich eben, ſo lange ich laſterhaft bin.

Zwar haben alle dieſe Bewegungsgruͤnde zur Tugend ihren
gemeßnen Werth, ſonderlich die letztern. Nur ihre Wuͤrkung
iſt zu ſchwach; im Ungluͤck ſind ſie eine morſche Stuͤtze, und im
Kampf ein zerbrochner Schild. Hatte Joſeph keinen maͤchtigern
Bewegungsgrund, ſo ließ er den Mantel nicht fahren. Wie ſolte
ich ein ſo groſſes Uebel thun, und wider Gott ſuͤndigen: dis allein
war Gegengift wider die Reize des viel verſprechenden Laſters.

Liebe, Dankbarkeit gegen Gott und Hofnung: wer dadurch
nicht tugendhaft wird, bleibet ein Miethling, und wird leicht ein
Ueberlaͤufer zum Laſter. Zeitliche Vortheile veraͤndern ſich wie
die Luft: aber Liebe gegen Gott und Dankbarkeit bekommen mit
jedem Othemzuge neue Nahrung. Sie fuͤllen das Herz aus, und
nicht blos den Kopf. Jn Verbindung mit der Hofnung des
ewigen Lebens beſiegen ſie alle erdenkliche Einwuͤrfe und Leiden.
Alle andre Quellen ſind truͤbe und ſeicht: dieſe bleibet glatt und
rein, wenn wir auch noch ſo viel Thraͤnen hinein weinen muͤßten;
ja ſie waͤchſt dadurch an. Jene Sachwalter der Tugend rufen
zur Zeit der Anfechtung ſpoͤttiſch, wie Hiobs Weib: haͤltſt du
noch feſt an deiner Froͤmmigkeit? Liebe zu Gott lehrt auf dem
Scheiterhaufen einen Lobgeſang. Jene wuͤrden allenfals einen
Koͤnigsmord entſchuldigen; die chriſtliche Tugend bietet Kraft
an, Armut, Schmerz und Sklaverei zu ertragen.

Jch will alſo hauptſaͤchlich fromm ſeyn, weil du es biſt,
mein Gott! und weil ich ein Ungeheuer waͤre, wenn ich deine
unzaͤhlige Wohlthaten, ſonderlich deine Liebe gegen mich in Chri-
ſto vergeſſen, und dir nicht dankvoll gehorchen wolte. Ein ruhi-
ges Gewiſſen im Tode, und feſte Hofnung ewiger Freuden, ver-
kleinern mir jedes Kreuz. Jch bete kindlich, erhoͤr mich, o!
Jeſu, und mache mich ſtark genug, den Himmel der Erde vor-
zuziehen!

Der
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[260[290]/0297] Der 4te Mai. dieſes Leben eben ſo ſchoͤn. Laſter auf Laſter gethuͤrmt, erſlickt die Anklagen des innern Richters. Jnnre Schoͤnheit der Tu- gend? Ja, daran zweifle ich eben, ſo lange ich laſterhaft bin. Zwar haben alle dieſe Bewegungsgruͤnde zur Tugend ihren gemeßnen Werth, ſonderlich die letztern. Nur ihre Wuͤrkung iſt zu ſchwach; im Ungluͤck ſind ſie eine morſche Stuͤtze, und im Kampf ein zerbrochner Schild. Hatte Joſeph keinen maͤchtigern Bewegungsgrund, ſo ließ er den Mantel nicht fahren. Wie ſolte ich ein ſo groſſes Uebel thun, und wider Gott ſuͤndigen: dis allein war Gegengift wider die Reize des viel verſprechenden Laſters. Liebe, Dankbarkeit gegen Gott und Hofnung: wer dadurch nicht tugendhaft wird, bleibet ein Miethling, und wird leicht ein Ueberlaͤufer zum Laſter. Zeitliche Vortheile veraͤndern ſich wie die Luft: aber Liebe gegen Gott und Dankbarkeit bekommen mit jedem Othemzuge neue Nahrung. Sie fuͤllen das Herz aus, und nicht blos den Kopf. Jn Verbindung mit der Hofnung des ewigen Lebens beſiegen ſie alle erdenkliche Einwuͤrfe und Leiden. Alle andre Quellen ſind truͤbe und ſeicht: dieſe bleibet glatt und rein, wenn wir auch noch ſo viel Thraͤnen hinein weinen muͤßten; ja ſie waͤchſt dadurch an. Jene Sachwalter der Tugend rufen zur Zeit der Anfechtung ſpoͤttiſch, wie Hiobs Weib: haͤltſt du noch feſt an deiner Froͤmmigkeit? Liebe zu Gott lehrt auf dem Scheiterhaufen einen Lobgeſang. Jene wuͤrden allenfals einen Koͤnigsmord entſchuldigen; die chriſtliche Tugend bietet Kraft an, Armut, Schmerz und Sklaverei zu ertragen. Jch will alſo hauptſaͤchlich fromm ſeyn, weil du es biſt, mein Gott! und weil ich ein Ungeheuer waͤre, wenn ich deine unzaͤhlige Wohlthaten, ſonderlich deine Liebe gegen mich in Chri- ſto vergeſſen, und dir nicht dankvoll gehorchen wolte. Ein ruhi- ges Gewiſſen im Tode, und feſte Hofnung ewiger Freuden, ver- kleinern mir jedes Kreuz. Jch bete kindlich, erhoͤr mich, o! Jeſu, und mache mich ſtark genug, den Himmel der Erde vor- zuziehen! Der

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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 260[290]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/297>, abgerufen am 24.11.2024.