Jst denn das Glück, das wir begehren, Für uns auch stets ein wahres Glück? Nie schenkt der Stand, nie schenken Güter. Dem Menschen die Zufriedenheit: Die wahre Ruhe der Gemüther Jst Tugend und Genügsamkeit.
Die meisten Menschen sind arm, weil sie es seyn wollen. Zu unsrer Erhaltung gehöret wenig; die Kunst reich zu seyn, bestehet also in Unterdrückung üppiger Begierden. Je mehr Wün- sche, desto mehr Noth und Mangel. Hier spielen Kinder im San- de, und dort welche mit Porzellanpuppen: welche sind die gesün- desten und also auch vergnügtesten? Die Uugenügsamkeit wird selbst durch die Schätze des Mogols nicht befriediger. Die Wünsche steigen immer höher, und jeder erfüllte Wunsch ist eine erhabnere Stuffe, die neue Aussichten, und folglich auch neue Begierden verschaft. Wer nicht bei jährlichen hundert Thalern vergnügt ist, würde es noch weniger bei tausenden seyn; denn diese würden ihn mit zehnfach neuen Begierden bekant machen, und was ihm bisher noch köstlich war, würde ihm nun ein Ekel seyn. Er habe eine Million: nun ist er vollend kränklich und mißvergnügt.
O! welche Güte Gottes, welche mächtige Reizung zur Tu- gend, daß nicht in unserm Körper, sondern in der Seele unsre Glückseligkeit thronet! Es wäre Demütigung für unsern Geist, wenn seine Ruhe von Metallen, vom Gesplnste der Seidenwür- mer, oder vom Steinreich abhangen solte. Hinge die Freude
von
Der 16te April.
Jſt denn das Gluͤck, das wir begehren, Fuͤr uns auch ſtets ein wahres Gluͤck? Nie ſchenkt der Stand, nie ſchenken Guͤter. Dem Menſchen die Zufriedenheit: Die wahre Ruhe der Gemuͤther Jſt Tugend und Genuͤgſamkeit.
Die meiſten Menſchen ſind arm, weil ſie es ſeyn wollen. Zu unſrer Erhaltung gehoͤret wenig; die Kunſt reich zu ſeyn, beſtehet alſo in Unterdruͤckung uͤppiger Begierden. Je mehr Wuͤn- ſche, deſto mehr Noth und Mangel. Hier ſpielen Kinder im San- de, und dort welche mit Porzellanpuppen: welche ſind die geſuͤn- deſten und alſo auch vergnuͤgteſten? Die Uugenuͤgſamkeit wird ſelbſt durch die Schaͤtze des Mogols nicht befriediger. Die Wuͤnſche ſteigen immer hoͤher, und jeder erfuͤllte Wunſch iſt eine erhabnere Stuffe, die neue Ausſichten, und folglich auch neue Begierden verſchaft. Wer nicht bei jaͤhrlichen hundert Thalern vergnuͤgt iſt, wuͤrde es noch weniger bei tauſenden ſeyn; denn dieſe wuͤrden ihn mit zehnfach neuen Begierden bekant machen, und was ihm bisher noch koͤſtlich war, wuͤrde ihm nun ein Ekel ſeyn. Er habe eine Million: nun iſt er vollend kraͤnklich und mißvergnuͤgt.
O! welche Guͤte Gottes, welche maͤchtige Reizung zur Tu- gend, daß nicht in unſerm Koͤrper, ſondern in der Seele unſre Gluͤckſeligkeit thronet! Es waͤre Demuͤtigung fuͤr unſern Geiſt, wenn ſeine Ruhe von Metallen, vom Geſplnſte der Seidenwuͤr- mer, oder vom Steinreich abhangen ſolte. Hinge die Freude
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[221[251]/0258]
Der 16te April.
Jſt denn das Gluͤck, das wir begehren,
Fuͤr uns auch ſtets ein wahres Gluͤck?
Nie ſchenkt der Stand, nie ſchenken Guͤter.
Dem Menſchen die Zufriedenheit:
Die wahre Ruhe der Gemuͤther
Jſt Tugend und Genuͤgſamkeit.
Die meiſten Menſchen ſind arm, weil ſie es ſeyn wollen. Zu
unſrer Erhaltung gehoͤret wenig; die Kunſt reich zu ſeyn,
beſtehet alſo in Unterdruͤckung uͤppiger Begierden. Je mehr Wuͤn-
ſche, deſto mehr Noth und Mangel. Hier ſpielen Kinder im San-
de, und dort welche mit Porzellanpuppen: welche ſind die geſuͤn-
deſten und alſo auch vergnuͤgteſten? Die Uugenuͤgſamkeit
wird ſelbſt durch die Schaͤtze des Mogols nicht befriediger. Die
Wuͤnſche ſteigen immer hoͤher, und jeder erfuͤllte Wunſch iſt eine
erhabnere Stuffe, die neue Ausſichten, und folglich auch neue
Begierden verſchaft. Wer nicht bei jaͤhrlichen hundert Thalern
vergnuͤgt iſt, wuͤrde es noch weniger bei tauſenden ſeyn; denn
dieſe wuͤrden ihn mit zehnfach neuen Begierden bekant machen,
und was ihm bisher noch koͤſtlich war, wuͤrde ihm nun ein Ekel
ſeyn. Er habe eine Million: nun iſt er vollend kraͤnklich und
mißvergnuͤgt.
O! welche Guͤte Gottes, welche maͤchtige Reizung zur Tu-
gend, daß nicht in unſerm Koͤrper, ſondern in der Seele unſre
Gluͤckſeligkeit thronet! Es waͤre Demuͤtigung fuͤr unſern Geiſt,
wenn ſeine Ruhe von Metallen, vom Geſplnſte der Seidenwuͤr-
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 221[251]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/258>, abgerufen am 23.11.2024.
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