Einige kan ich nicht näher kennen lernen, denn sie sind -- in der Hölle. Und welche unerwartete Ahnen! Die meisten waren Juden oder Heiden, und durch sie sehe ich mich mit Völkern ver- wandt, deren Namen ich kaum gehöret hatte! Tretet denn nä- her, meine würdige Vorfahren! und nehmet mich in eure bimli- sche Gesellschaft auf. Ach! wie solte sich mein Herz zu Gott er- heben, wenn ich keine Lücken zwischen euch gewahr würde! Welch ein überirdischer Adel unsers Geschlechts, wenn keiner von euch mir zuriefe: "Kind, hier fehlet mein unglücklicher Sohn, und dort eine unsrer Mütter! Suche sie nicht, Gott hat sie gerichtet, sein Name sey ewig gepriesen!"
Jch will diese Vorstellung noch einen Augenblick abwärts fortsetzen. Wann ich nun selig bin, und eine solche Fertigkeit Gott zu loben habe, als jetzt, ihn zu vergessen: dann werde ich meine, oder meiner Freunde Nachkommen mir folgen sehen. Aber es wird ein unseliges Glied in dieser Kette dann und wann man- geln, und ich werde es nicht weiter sehen, als vor dem Gerichts- siuhl Gottes. Wären selige Geister des Grams fähig, oder liebten sie die Ehre Gottes nicht unendlich mehr, als ihr Fleisch und Blut: so wäre das der erschütterndste Anblick: sein Kind, oder seinen Enkel vor dem Richter beben, und dann auf ewig zur Hölle wandern zu sehen! Jedoch dort hören dunkle Empfindungen und blinde Liebe auf.
Du, mein ewiger Vater! wenn alle Väter, ausser Adam, Menschensöhne sind! Du, mein ewiger Bruder! wenn auch leib- liche Geschwister auf immer von mir getrennt wären! Jhr, En- gel! Parriarchen! Beste Menschen der Erde! Apostel! Jünger und Nachfolger Jesu! Jhr meine Vorfahren! hier graue Urel- tern und dort meine Brüder und Gespielen! -- O! ihr sämt- lich seyd meine Gesellschaft, zu der ich mich anschicken will! Stre- cket nur eure Armen aus: Minuten noch, (bei euch aber sind tausend Jahre wie Ein Tag!) so bin ich bei euch. Denn ich werde so sehr oft nicht mehr schlafen gehn!
Der
Der 14te April.
Einige kan ich nicht naͤher kennen lernen, denn ſie ſind — in der Hoͤlle. Und welche unerwartete Ahnen! Die meiſten waren Juden oder Heiden, und durch ſie ſehe ich mich mit Voͤlkern ver- wandt, deren Namen ich kaum gehoͤret hatte! Tretet denn naͤ- her, meine wuͤrdige Vorfahren! und nehmet mich in eure bimli- ſche Geſellſchaft auf. Ach! wie ſolte ſich mein Herz zu Gott er- heben, wenn ich keine Luͤcken zwiſchen euch gewahr wuͤrde! Welch ein uͤberirdiſcher Adel unſers Geſchlechts, wenn keiner von euch mir zuriefe: „Kind, hier fehlet mein ungluͤcklicher Sohn, und dort eine unſrer Muͤtter! Suche ſie nicht, Gott hat ſie gerichtet, ſein Name ſey ewig geprieſen!“
Jch will dieſe Vorſtellung noch einen Augenblick abwaͤrts fortſetzen. Wann ich nun ſelig bin, und eine ſolche Fertigkeit Gott zu loben habe, als jetzt, ihn zu vergeſſen: dann werde ich meine, oder meiner Freunde Nachkommen mir folgen ſehen. Aber es wird ein unſeliges Glied in dieſer Kette dann und wann man- geln, und ich werde es nicht weiter ſehen, als vor dem Gerichts- ſiuhl Gottes. Waͤren ſelige Geiſter des Grams faͤhig, oder liebten ſie die Ehre Gottes nicht unendlich mehr, als ihr Fleiſch und Blut: ſo waͤre das der erſchuͤtterndſte Anblick: ſein Kind, oder ſeinen Enkel vor dem Richter beben, und dann auf ewig zur Hoͤlle wandern zu ſehen! Jedoch dort hoͤren dunkle Empfindungen und blinde Liebe auf.
Du, mein ewiger Vater! wenn alle Vaͤter, auſſer Adam, Menſchenſoͤhne ſind! Du, mein ewiger Bruder! wenn auch leib- liche Geſchwiſter auf immer von mir getrennt waͤren! Jhr, En- gel! Parriarchen! Beſte Menſchen der Erde! Apoſtel! Juͤnger und Nachfolger Jeſu! Jhr meine Vorfahren! hier graue Urel- tern und dort meine Bruͤder und Geſpielen! — O! ihr ſaͤmt- lich ſeyd meine Geſellſchaft, zu der ich mich anſchicken will! Stre- cket nur eure Armen aus: Minuten noch, (bei euch aber ſind tauſend Jahre wie Ein Tag!) ſo bin ich bei euch. Denn ich werde ſo ſehr oft nicht mehr ſchlafen gehn!
Der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0255"n="218[248]"/><fwplace="top"type="header">Der 14<hirendition="#sup">te</hi> April.</fw><lb/>
Einige kan ich nicht naͤher kennen lernen, denn ſie ſind — in<lb/>
der Hoͤlle. Und welche unerwartete Ahnen! Die meiſten waren<lb/>
Juden oder Heiden, und durch ſie ſehe ich mich mit Voͤlkern ver-<lb/>
wandt, deren Namen ich kaum gehoͤret hatte! Tretet denn naͤ-<lb/>
her, meine wuͤrdige Vorfahren! und nehmet mich in eure bimli-<lb/>ſche Geſellſchaft auf. Ach! wie ſolte ſich mein Herz zu Gott er-<lb/>
heben, wenn ich keine Luͤcken zwiſchen euch gewahr wuͤrde! Welch<lb/>
ein uͤberirdiſcher Adel unſers Geſchlechts, wenn keiner von euch<lb/>
mir zuriefe: „Kind, hier fehlet mein ungluͤcklicher Sohn, und<lb/>
dort eine unſrer Muͤtter! Suche ſie nicht, Gott hat ſie gerichtet,<lb/>ſein Name ſey ewig geprieſen!“</p><lb/><p>Jch will dieſe Vorſtellung noch einen Augenblick abwaͤrts<lb/>
fortſetzen. Wann ich nun ſelig bin, und eine ſolche Fertigkeit<lb/>
Gott zu loben habe, als jetzt, ihn zu vergeſſen: dann werde ich<lb/>
meine, oder meiner Freunde Nachkommen mir folgen ſehen. Aber<lb/>
es wird ein unſeliges Glied in dieſer Kette dann und wann man-<lb/>
geln, und ich werde es nicht weiter ſehen, als vor dem Gerichts-<lb/>ſiuhl Gottes. Waͤren ſelige Geiſter des Grams faͤhig, oder liebten<lb/>ſie die Ehre Gottes nicht unendlich mehr, als ihr Fleiſch und<lb/>
Blut: ſo waͤre das der erſchuͤtterndſte Anblick: ſein Kind, oder<lb/>ſeinen Enkel vor dem Richter beben, und dann auf ewig zur Hoͤlle<lb/>
wandern zu ſehen! Jedoch dort hoͤren dunkle Empfindungen und<lb/>
blinde Liebe auf.</p><lb/><p>Du, mein ewiger Vater! wenn alle Vaͤter, auſſer Adam,<lb/>
Menſchenſoͤhne ſind! Du, mein ewiger Bruder! wenn auch leib-<lb/>
liche Geſchwiſter auf immer von mir getrennt waͤren! Jhr, En-<lb/>
gel! Parriarchen! Beſte Menſchen der Erde! Apoſtel! Juͤnger<lb/>
und Nachfolger Jeſu! Jhr meine Vorfahren! hier graue Urel-<lb/>
tern und dort meine Bruͤder und Geſpielen! — O! ihr ſaͤmt-<lb/>
lich ſeyd meine Geſellſchaft, zu der ich mich anſchicken will! Stre-<lb/>
cket nur eure Armen aus: Minuten noch, (bei euch aber ſind<lb/>
tauſend Jahre wie Ein Tag!) ſo bin ich bei euch. Denn ich<lb/>
werde ſo ſehr oft nicht mehr ſchlafen gehn!</p></div><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Der</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[218[248]/0255]
Der 14te April.
Einige kan ich nicht naͤher kennen lernen, denn ſie ſind — in
der Hoͤlle. Und welche unerwartete Ahnen! Die meiſten waren
Juden oder Heiden, und durch ſie ſehe ich mich mit Voͤlkern ver-
wandt, deren Namen ich kaum gehoͤret hatte! Tretet denn naͤ-
her, meine wuͤrdige Vorfahren! und nehmet mich in eure bimli-
ſche Geſellſchaft auf. Ach! wie ſolte ſich mein Herz zu Gott er-
heben, wenn ich keine Luͤcken zwiſchen euch gewahr wuͤrde! Welch
ein uͤberirdiſcher Adel unſers Geſchlechts, wenn keiner von euch
mir zuriefe: „Kind, hier fehlet mein ungluͤcklicher Sohn, und
dort eine unſrer Muͤtter! Suche ſie nicht, Gott hat ſie gerichtet,
ſein Name ſey ewig geprieſen!“
Jch will dieſe Vorſtellung noch einen Augenblick abwaͤrts
fortſetzen. Wann ich nun ſelig bin, und eine ſolche Fertigkeit
Gott zu loben habe, als jetzt, ihn zu vergeſſen: dann werde ich
meine, oder meiner Freunde Nachkommen mir folgen ſehen. Aber
es wird ein unſeliges Glied in dieſer Kette dann und wann man-
geln, und ich werde es nicht weiter ſehen, als vor dem Gerichts-
ſiuhl Gottes. Waͤren ſelige Geiſter des Grams faͤhig, oder liebten
ſie die Ehre Gottes nicht unendlich mehr, als ihr Fleiſch und
Blut: ſo waͤre das der erſchuͤtterndſte Anblick: ſein Kind, oder
ſeinen Enkel vor dem Richter beben, und dann auf ewig zur Hoͤlle
wandern zu ſehen! Jedoch dort hoͤren dunkle Empfindungen und
blinde Liebe auf.
Du, mein ewiger Vater! wenn alle Vaͤter, auſſer Adam,
Menſchenſoͤhne ſind! Du, mein ewiger Bruder! wenn auch leib-
liche Geſchwiſter auf immer von mir getrennt waͤren! Jhr, En-
gel! Parriarchen! Beſte Menſchen der Erde! Apoſtel! Juͤnger
und Nachfolger Jeſu! Jhr meine Vorfahren! hier graue Urel-
tern und dort meine Bruͤder und Geſpielen! — O! ihr ſaͤmt-
lich ſeyd meine Geſellſchaft, zu der ich mich anſchicken will! Stre-
cket nur eure Armen aus: Minuten noch, (bei euch aber ſind
tauſend Jahre wie Ein Tag!) ſo bin ich bei euch. Denn ich
werde ſo ſehr oft nicht mehr ſchlafen gehn!
Der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 218[248]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/255>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.