tragen, wenn ihnen nicht von blühenden Bäumen ihrer Art der Samenstaub zugewehet wird. Jn ganz Amerika betete noch jetzo kein Christ, wenn nicht die Schiffarth den Namen Jesu dorten verbreitet hätte.
Ob wir aber würklich so viel bedürfen, als der Wald von Masten, der jährlich das Weltmeer bedecket, uns zuführt; ob wir nicht bei Genügsamkeit und guter Diät aller indischen Waaren ent- behren könten: das ist eine andre Frage. Jedoch was hilft es? Wir mögen sie bejahen oder verneinen: die Handlung ist einmal ange- fangen, und wer wird sie in ihrem Gewerbe stören? Die Liebe zum Ausländischen und Köstlichen machte den Anfang, und nun hot es uns die Gewohnheit zur andern Natur gemacht. Das aber ist noch einer Bemerkung werth: daß der Mensch bis zur Verwegen- heit kühn, und bis zur Ohnmacht arbeitsam ist, wenn es zeitliche Güter betrift. Ein Seefahrer verläßt sein natürliches Element, waget sich zwischen Himmel und Meer, trotzet der Seelust, den Stürmen, den Seeräubern und andern Ungeheuern des Meers. Er trennet sich von Weib und Kind und von fast allem Vergnü- gen der Menschen, setzet sich der Gefahr aus, in der Nähe der Weltpole einzufrieren, oder unter der Linie zu verschmachten. Und welche Marter! Er siehet um sich her nichts als Wasser, und seine Zunge klebet für Durst am Gaum! Ein Trunk süsses Wasser, (kein Bettler achtet es auf dem festen Lande) ist ihm Labsal und Arzenei!
O! grosser Gott! warum thun wir nicht den hunderten Theil so viel für dich! Dem Reichthume jagen wir zu Wasser und Lande nach, und dich verlieren wir aus dem Gesichte. Plötzlich aber erhebt sich ein Sturm, und dann beten wir, gleich den Matro- sen, in der Angst. Nein! ohne Gefahr und Todesfurcht will ich mich jetzt betend zu Bette legen. Wie glücklich bin ich, daß ich es kan! Stürme, Klippen, Schifbruch treiben jetzt wol manchen Schiffer zum Gebet: mich aber soll Liebe und Dank dazu treiben. Ach Gott! womit hab ich das verdient, daß ich so sanft und sicher schlafen kan!
Der
Der 10te April.
tragen, wenn ihnen nicht von bluͤhenden Baͤumen ihrer Art der Samenſtaub zugewehet wird. Jn ganz Amerika betete noch jetzo kein Chriſt, wenn nicht die Schiffarth den Namen Jeſu dorten verbreitet haͤtte.
Ob wir aber wuͤrklich ſo viel beduͤrfen, als der Wald von Maſten, der jaͤhrlich das Weltmeer bedecket, uns zufuͤhrt; ob wir nicht bei Genuͤgſamkeit und guter Diaͤt aller indiſchen Waaren ent- behren koͤnten: das iſt eine andre Frage. Jedoch was hilft es? Wir moͤgen ſie bejahen oder verneinen: die Handlung iſt einmal ange- fangen, und wer wird ſie in ihrem Gewerbe ſtoͤren? Die Liebe zum Auslaͤndiſchen und Koͤſtlichen machte den Anfang, und nun hot es uns die Gewohnheit zur andern Natur gemacht. Das aber iſt noch einer Bemerkung werth: daß der Menſch bis zur Verwegen- heit kuͤhn, und bis zur Ohnmacht arbeitſam iſt, wenn es zeitliche Guͤter betrift. Ein Seefahrer verlaͤßt ſein natuͤrliches Element, waget ſich zwiſchen Himmel und Meer, trotzet der Seeluſt, den Stuͤrmen, den Seeraͤubern und andern Ungeheuern des Meers. Er trennet ſich von Weib und Kind und von faſt allem Vergnuͤ- gen der Menſchen, ſetzet ſich der Gefahr aus, in der Naͤhe der Weltpole einzufrieren, oder unter der Linie zu verſchmachten. Und welche Marter! Er ſiehet um ſich her nichts als Waſſer, und ſeine Zunge klebet fuͤr Durſt am Gaum! Ein Trunk ſuͤſſes Waſſer, (kein Bettler achtet es auf dem feſten Lande) iſt ihm Labſal und Arzenei!
O! groſſer Gott! warum thun wir nicht den hunderten Theil ſo viel fuͤr dich! Dem Reichthume jagen wir zu Waſſer und Lande nach, und dich verlieren wir aus dem Geſichte. Ploͤtzlich aber erhebt ſich ein Sturm, und dann beten wir, gleich den Matro- ſen, in der Angſt. Nein! ohne Gefahr und Todesfurcht will ich mich jetzt betend zu Bette legen. Wie gluͤcklich bin ich, daß ich es kan! Stuͤrme, Klippen, Schifbruch treiben jetzt wol manchen Schiffer zum Gebet: mich aber ſoll Liebe und Dank dazu treiben. Ach Gott! womit hab ich das verdient, daß ich ſo ſanft und ſicher ſchlafen kan!
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[210[240]/0247]
Der 10te April.
tragen, wenn ihnen nicht von bluͤhenden Baͤumen ihrer Art der
Samenſtaub zugewehet wird. Jn ganz Amerika betete noch jetzo
kein Chriſt, wenn nicht die Schiffarth den Namen Jeſu dorten
verbreitet haͤtte.
Ob wir aber wuͤrklich ſo viel beduͤrfen, als der Wald von
Maſten, der jaͤhrlich das Weltmeer bedecket, uns zufuͤhrt; ob wir
nicht bei Genuͤgſamkeit und guter Diaͤt aller indiſchen Waaren ent-
behren koͤnten: das iſt eine andre Frage. Jedoch was hilft es? Wir
moͤgen ſie bejahen oder verneinen: die Handlung iſt einmal ange-
fangen, und wer wird ſie in ihrem Gewerbe ſtoͤren? Die Liebe zum
Auslaͤndiſchen und Koͤſtlichen machte den Anfang, und nun hot
es uns die Gewohnheit zur andern Natur gemacht. Das aber iſt
noch einer Bemerkung werth: daß der Menſch bis zur Verwegen-
heit kuͤhn, und bis zur Ohnmacht arbeitſam iſt, wenn es zeitliche
Guͤter betrift. Ein Seefahrer verlaͤßt ſein natuͤrliches Element,
waget ſich zwiſchen Himmel und Meer, trotzet der Seeluſt, den
Stuͤrmen, den Seeraͤubern und andern Ungeheuern des Meers.
Er trennet ſich von Weib und Kind und von faſt allem Vergnuͤ-
gen der Menſchen, ſetzet ſich der Gefahr aus, in der Naͤhe der
Weltpole einzufrieren, oder unter der Linie zu verſchmachten. Und
welche Marter! Er ſiehet um ſich her nichts als Waſſer, und ſeine
Zunge klebet fuͤr Durſt am Gaum! Ein Trunk ſuͤſſes Waſſer, (kein
Bettler achtet es auf dem feſten Lande) iſt ihm Labſal und Arzenei!
O! groſſer Gott! warum thun wir nicht den hunderten Theil
ſo viel fuͤr dich! Dem Reichthume jagen wir zu Waſſer und Lande
nach, und dich verlieren wir aus dem Geſichte. Ploͤtzlich aber
erhebt ſich ein Sturm, und dann beten wir, gleich den Matro-
ſen, in der Angſt. Nein! ohne Gefahr und Todesfurcht will
ich mich jetzt betend zu Bette legen. Wie gluͤcklich bin ich, daß
ich es kan! Stuͤrme, Klippen, Schifbruch treiben jetzt wol
manchen Schiffer zum Gebet: mich aber ſoll Liebe und Dank
dazu treiben. Ach Gott! womit hab ich das verdient, daß ich
ſo ſanft und ſicher ſchlafen kan!
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 210[240]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/247>, abgerufen am 18.12.2024.
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