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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 28te März.
etwas behagen könte; und wir haben es meistens zu unn[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]
genossen, als daß es uns noch bekäme. Gesetzt aber, man wün[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]
sich ein hohes Alter, um noch viel in der Welt zu erfahren: s[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]
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sättiget werden kan!

Habe ich schon gelebt? Die Frage ist wichtiger, als: wie
lange werde ich noch leben? -- Kan ich sterben? -- Die Ant-
wort hierauf entscheidet es, ob ich genug gelebt habe oder nicht.
Da ich jeden Tag eben so viel Pflichten als Wohlthaten Gottes
habe; da ich in Einem Tage so viel Gutes thun, das ist: leben
kan, als der Leichtsinnige binnen Jahresfrist; und da die Verant-
wortung eines einzigen schlecht durchgebrachten Tages erschrecklich
seyn muß: so will ich niemals so thörig[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt] seyn, mir ängstlich langes
Leben zu wünschen. Der Fromme nur verdient, daß seiner Jahre
in der Welt viel werden: und der schmachtet am wenigsten nach
diesem Schatz: den er doch allein gut anzulegen wüßte.

Jn deiner Hand stehet meine Zeit, du Herr der Ewigkeiten!
Was du mir nicht anbeutst, mag ich nicht wünschen. Erhörest
du mein Gebet und vergiebst mir meine Sünden, so bin ich jeden
Abend alt genug und kan lebenssatt sterben. Wie, wenn im
achtzigsten Jahre mein Christenthum so lau würde, als mein Blut?
O mein Gott! dann nim mich lieber weg in der Hälfte meiner
Tage! Jesu! du Sohn Davids! erbarm dich meiner! Jch liebe
dich, und will dich noch immer eifriger lieben! Erhöre mich! --
Ja! du erhörest mich. Unter einem solchen Gebet sterbe ich nie-
mals zu frühe!

Der

Der 28te Maͤrz.
etwas behagen koͤnte; und wir haben es meiſtens zu unn[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]
genoſſen, als daß es uns noch bekaͤme. Geſetzt aber, man wuͤn[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]
ſich ein hohes Alter, um noch viel in der Welt zu erfahren: ſ[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]
doch auch das kaum wuͤnſchenswerth. Was haͤlfe es mir, [unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]
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lichen Seele, welche nur durch immer neue Erkentniß Gottes ge[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]
ſaͤttiget werden kan!

Habe ich ſchon gelebt? Die Frage iſt wichtiger, als: wie
lange werde ich noch leben? — Kan ich ſterben? — Die Ant-
wort hierauf entſcheidet es, ob ich genug gelebt habe oder nicht.
Da ich jeden Tag eben ſo viel Pflichten als Wohlthaten Gottes
habe; da ich in Einem Tage ſo viel Gutes thun, das iſt: leben
kan, als der Leichtſinnige binnen Jahresfriſt; und da die Verant-
wortung eines einzigen ſchlecht durchgebrachten Tages erſchrecklich
ſeyn muß: ſo will ich niemals ſo thoͤrig[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt] ſeyn, mir aͤngſtlich langes
Leben zu wuͤnſchen. Der Fromme nur verdient, daß ſeiner Jahre
in der Welt viel werden: und der ſchmachtet am wenigſten nach
dieſem Schatz: den er doch allein gut anzulegen wuͤßte.

Jn deiner Hand ſtehet meine Zeit, du Herr der Ewigkeiten!
Was du mir nicht anbeutſt, mag ich nicht wuͤnſchen. Erhoͤreſt
du mein Gebet und vergiebſt mir meine Suͤnden, ſo bin ich jeden
Abend alt genug und kan lebensſatt ſterben. Wie, wenn im
achtzigſten Jahre mein Chriſtenthum ſo lau wuͤrde, als mein Blut?
O mein Gott! dann nim mich lieber weg in der Haͤlfte meiner
Tage! Jeſu! du Sohn Davids! erbarm dich meiner! Jch liebe
dich, und will dich noch immer eifriger lieben! Erhoͤre mich! —
Ja! du erhoͤreſt mich. Unter einem ſolchen Gebet ſterbe ich nie-
mals zu fruͤhe!

Der
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[182[212]/0219] Der 28te Maͤrz. etwas behagen koͤnte; und wir haben es meiſtens zu unn_ genoſſen, als daß es uns noch bekaͤme. Geſetzt aber, man wuͤn_ ſich ein hohes Alter, um noch viel in der Welt zu erfahren: ſ_ doch auch das kaum wuͤnſchenswerth. Was haͤlfe es mir, _ ich aller jetzigen Monarchen ihre Nachfolger auf den Thro_ ſterben ſaͤhe? Es werden immer andre an ihre Stelle komm_ die zwar etwas juͤnger, etwas anders geſinnet ſind und einen _ dern Namen fuͤhren als die jetzigen: einige Nationen werden ſ_ gen, andre Sklaven ſeyn; einige Laͤnder bluͤhen, andre ihre_ Glanz verlieren: aber was hilft die Ringelgeſchichte einer unſterb_ lichen Seele, welche nur durch immer neue Erkentniß Gottes ge_ ſaͤttiget werden kan! Habe ich ſchon gelebt? Die Frage iſt wichtiger, als: wie lange werde ich noch leben? — Kan ich ſterben? — Die Ant- wort hierauf entſcheidet es, ob ich genug gelebt habe oder nicht. Da ich jeden Tag eben ſo viel Pflichten als Wohlthaten Gottes habe; da ich in Einem Tage ſo viel Gutes thun, das iſt: leben kan, als der Leichtſinnige binnen Jahresfriſt; und da die Verant- wortung eines einzigen ſchlecht durchgebrachten Tages erſchrecklich ſeyn muß: ſo will ich niemals ſo thoͤrig_ ſeyn, mir aͤngſtlich langes Leben zu wuͤnſchen. Der Fromme nur verdient, daß ſeiner Jahre in der Welt viel werden: und der ſchmachtet am wenigſten nach dieſem Schatz: den er doch allein gut anzulegen wuͤßte. Jn deiner Hand ſtehet meine Zeit, du Herr der Ewigkeiten! Was du mir nicht anbeutſt, mag ich nicht wuͤnſchen. Erhoͤreſt du mein Gebet und vergiebſt mir meine Suͤnden, ſo bin ich jeden Abend alt genug und kan lebensſatt ſterben. Wie, wenn im achtzigſten Jahre mein Chriſtenthum ſo lau wuͤrde, als mein Blut? O mein Gott! dann nim mich lieber weg in der Haͤlfte meiner Tage! Jeſu! du Sohn Davids! erbarm dich meiner! Jch liebe dich, und will dich noch immer eifriger lieben! Erhoͤre mich! — Ja! du erhoͤreſt mich. Unter einem ſolchen Gebet ſterbe ich nie- mals zu fruͤhe! Der

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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 182[212]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/219>, abgerufen am 21.11.2024.