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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 7te März.
Ist Gott auch jemals von uns fern?
Weiß er nicht aller Wege?
Wo ist die Nacht, da sich dem Herrn
Ein Mensch verbergen möge?
Die Finsterniß ist vor ihm Licht:
Gedanken selbst entfliehn ihm nicht
In ihrer ersten Bildung.


Auch jetzt, nachdem ich mehr einsam und mir selbst überlassen
bin, bei diesem blassen Scheine des Lichts, und bei der zu-
nehmenden Stille um mich her, ist der Allgegenwärtige
meine Gesellschaft. Kein Geschöpf ist jemals allein, sondern le-
bet und webet in Gott. Der Allgütige ist allgegenwärtig so wol
bei dem Bluturtheil, das auf dem Thron unterschrieben wird,
als bei dem Gefangnen, welcher dis Todesurtheil empfängt, und
zitternd mit den Ketten rasselt. Keine Kreatur, kein Haar, kein
Gedanke kan seiner genauen Aufsicht entfallen; und bettete ich mir
in die Hölle, siehe! so bist du auch da.

Eine demütigende drohende Idee: daß ich immer minorenn
bleibe, und in alle Ewigkeit nicht mir selbst überlassen bin! Luft
wird zum Leben der körperlichen Geschöpfe, und Licht zu ihrer
Sichtbarkeit erfodert, und das alles kan ihnen kein Geringerer
geben, als der Allmächtige. Jede frevelhafte That, jeder unhei-
lige Gedanke, jede mögliche Vorstellung, welche ich gehabt haben
würde, je nachdem ich diese oder jene Reizung gehabt hätte: das
alles ist vor den Augen des Allwissenden so deutlich entwickelt,
daß er sich dessen in Ewigkeit bewußt seyn wird. Erinnere dich,

ver,


Der 7te Maͤrz.
Iſt Gott auch jemals von uns fern?
Weiß er nicht aller Wege?
Wo iſt die Nacht, da ſich dem Herrn
Ein Menſch verbergen moͤge?
Die Finſterniß iſt vor ihm Licht:
Gedanken ſelbſt entfliehn ihm nicht
In ihrer erſten Bildung.


Auch jetzt, nachdem ich mehr einſam und mir ſelbſt uͤberlaſſen
bin, bei dieſem blaſſen Scheine des Lichts, und bei der zu-
nehmenden Stille um mich her, iſt der Allgegenwaͤrtige
meine Geſellſchaft. Kein Geſchoͤpf iſt jemals allein, ſondern le-
bet und webet in Gott. Der Allguͤtige iſt allgegenwaͤrtig ſo wol
bei dem Bluturtheil, das auf dem Thron unterſchrieben wird,
als bei dem Gefangnen, welcher dis Todesurtheil empfaͤngt, und
zitternd mit den Ketten raſſelt. Keine Kreatur, kein Haar, kein
Gedanke kan ſeiner genauen Aufſicht entfallen; und bettete ich mir
in die Hoͤlle, ſiehe! ſo biſt du auch da.

Eine demuͤtigende drohende Idee: daß ich immer minorenn
bleibe, und in alle Ewigkeit nicht mir ſelbſt uͤberlaſſen bin! Luft
wird zum Leben der koͤrperlichen Geſchoͤpfe, und Licht zu ihrer
Sichtbarkeit erfodert, und das alles kan ihnen kein Geringerer
geben, als der Allmaͤchtige. Jede frevelhafte That, jeder unhei-
lige Gedanke, jede moͤgliche Vorſtellung, welche ich gehabt haben
wuͤrde, je nachdem ich dieſe oder jene Reizung gehabt haͤtte: das
alles iſt vor den Augen des Allwiſſenden ſo deutlich entwickelt,
daß er ſich deſſen in Ewigkeit bewußt ſeyn wird. Erinnere dich,

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[139[169]/0176] Der 7te Maͤrz. Iſt Gott auch jemals von uns fern? Weiß er nicht aller Wege? Wo iſt die Nacht, da ſich dem Herrn Ein Menſch verbergen moͤge? Die Finſterniß iſt vor ihm Licht: Gedanken ſelbſt entfliehn ihm nicht In ihrer erſten Bildung. Auch jetzt, nachdem ich mehr einſam und mir ſelbſt uͤberlaſſen bin, bei dieſem blaſſen Scheine des Lichts, und bei der zu- nehmenden Stille um mich her, iſt der Allgegenwaͤrtige meine Geſellſchaft. Kein Geſchoͤpf iſt jemals allein, ſondern le- bet und webet in Gott. Der Allguͤtige iſt allgegenwaͤrtig ſo wol bei dem Bluturtheil, das auf dem Thron unterſchrieben wird, als bei dem Gefangnen, welcher dis Todesurtheil empfaͤngt, und zitternd mit den Ketten raſſelt. Keine Kreatur, kein Haar, kein Gedanke kan ſeiner genauen Aufſicht entfallen; und bettete ich mir in die Hoͤlle, ſiehe! ſo biſt du auch da. Eine demuͤtigende drohende Idee: daß ich immer minorenn bleibe, und in alle Ewigkeit nicht mir ſelbſt uͤberlaſſen bin! Luft wird zum Leben der koͤrperlichen Geſchoͤpfe, und Licht zu ihrer Sichtbarkeit erfodert, und das alles kan ihnen kein Geringerer geben, als der Allmaͤchtige. Jede frevelhafte That, jeder unhei- lige Gedanke, jede moͤgliche Vorſtellung, welche ich gehabt haben wuͤrde, je nachdem ich dieſe oder jene Reizung gehabt haͤtte: das alles iſt vor den Augen des Allwiſſenden ſo deutlich entwickelt, daß er ſich deſſen in Ewigkeit bewußt ſeyn wird. Erinnere dich, ver,

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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 139[169]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/176>, abgerufen am 21.11.2024.