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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 5te März.
Wer leitet meines Blutes Lauf?
Wer lenkt des Herzens Schläge?
Wer regt die Lung und schwellt sie auf,
Damit ich leben möge?
Gott ist es, der dis alles thut.
Schlag, Herz! entflamme mich, o Blut!
Daß ich den Höchsten preise.


Ich mag mit einer Nadelspitze meinen Körper derühren, wo ich
will, so finde ich Blut oder eine Feuchtigkeit, folglich allent-
halben Adern. So wie die Luft in der Welt allenthalben verbrei-
tet ist, so auch das Blut in der kleinen Welt, im Menschen.
Schon oft hat mich leider mein Blut zu Sünden erhitzt! jetzt soll
es mich erbauen.

Die Naturforscher sagen, daß ein erwachsner Mensch etwa
acht und zwanzig Pfund Blut habe; daß dieses gesamte Blut in
einer Stunde drei und zwanzig mal seinen Umlauf vollende, und
durchs Herz ströme, welches sich zu dem Ende an die fünfthalb
tausend mal in Einer Stunde öfne und zusammenziehe. Ja, man
schätzt die Geschwindigkeit dieses Cirkellaufs so groß, daß unser
Blut in jeder Minute über hundert und fünf und zwanzig Fuß
lang die Adern durchströmt. Sie sagen ferner, daß der Puls
bei Kindern etwa hundert und funfzehn, bei Greisen aber höch-
stens siebzig mal in jeder Minute schlägt. Der Pulsschläge eines
gesunden Erwachsenen, sind in den heissesten Ländern hundert und
zwanzig in der Minute; in unserm Klima aber nach Mitternacht
etwa fünf und sechzig, welche Zahl gegen Morgen zu wachsen
anfängt und immer zunimmt, so, daß sie am Abend bis auf
achtzig steigt. Ich könte demnach berechnen, wie viele Pulsschläge
ich schon erlebt habe. Aber wie viele würden es seyn, die im Dienste

Got-
J 4


Der 5te Maͤrz.
Wer leitet meines Blutes Lauf?
Wer lenkt des Herzens Schlaͤge?
Wer regt die Lung und ſchwellt ſie auf,
Damit ich leben moͤge?
Gott iſt es, der dis alles thut.
Schlag, Herz! entflamme mich, o Blut!
Daß ich den Hoͤchſten preiſe.


Ich mag mit einer Nadelſpitze meinen Koͤrper deruͤhren, wo ich
will, ſo finde ich Blut oder eine Feuchtigkeit, folglich allent-
halben Adern. So wie die Luft in der Welt allenthalben verbrei-
tet iſt, ſo auch das Blut in der kleinen Welt, im Menſchen.
Schon oft hat mich leider mein Blut zu Suͤnden erhitzt! jetzt ſoll
es mich erbauen.

Die Naturforſcher ſagen, daß ein erwachsner Menſch etwa
acht und zwanzig Pfund Blut habe; daß dieſes geſamte Blut in
einer Stunde drei und zwanzig mal ſeinen Umlauf vollende, und
durchs Herz ſtroͤme, welches ſich zu dem Ende an die fuͤnfthalb
tauſend mal in Einer Stunde oͤfne und zuſammenziehe. Ja, man
ſchaͤtzt die Geſchwindigkeit dieſes Cirkellaufs ſo groß, daß unſer
Blut in jeder Minute uͤber hundert und fuͤnf und zwanzig Fuß
lang die Adern durchſtroͤmt. Sie ſagen ferner, daß der Puls
bei Kindern etwa hundert und funfzehn, bei Greiſen aber hoͤch-
ſtens ſiebzig mal in jeder Minute ſchlaͤgt. Der Pulsſchlaͤge eines
geſunden Erwachſenen, ſind in den heiſſeſten Laͤndern hundert und
zwanzig in der Minute; in unſerm Klima aber nach Mitternacht
etwa fuͤnf und ſechzig, welche Zahl gegen Morgen zu wachſen
anfaͤngt und immer zunimmt, ſo, daß ſie am Abend bis auf
achtzig ſteigt. Ich koͤnte demnach berechnen, wie viele Pulsſchlaͤge
ich ſchon erlebt habe. Aber wie viele wuͤrden es ſeyn, die im Dienſte

Got-
J 4
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[135[165]/0172] Der 5te Maͤrz. Wer leitet meines Blutes Lauf? Wer lenkt des Herzens Schlaͤge? Wer regt die Lung und ſchwellt ſie auf, Damit ich leben moͤge? Gott iſt es, der dis alles thut. Schlag, Herz! entflamme mich, o Blut! Daß ich den Hoͤchſten preiſe. Ich mag mit einer Nadelſpitze meinen Koͤrper deruͤhren, wo ich will, ſo finde ich Blut oder eine Feuchtigkeit, folglich allent- halben Adern. So wie die Luft in der Welt allenthalben verbrei- tet iſt, ſo auch das Blut in der kleinen Welt, im Menſchen. Schon oft hat mich leider mein Blut zu Suͤnden erhitzt! jetzt ſoll es mich erbauen. Die Naturforſcher ſagen, daß ein erwachsner Menſch etwa acht und zwanzig Pfund Blut habe; daß dieſes geſamte Blut in einer Stunde drei und zwanzig mal ſeinen Umlauf vollende, und durchs Herz ſtroͤme, welches ſich zu dem Ende an die fuͤnfthalb tauſend mal in Einer Stunde oͤfne und zuſammenziehe. Ja, man ſchaͤtzt die Geſchwindigkeit dieſes Cirkellaufs ſo groß, daß unſer Blut in jeder Minute uͤber hundert und fuͤnf und zwanzig Fuß lang die Adern durchſtroͤmt. Sie ſagen ferner, daß der Puls bei Kindern etwa hundert und funfzehn, bei Greiſen aber hoͤch- ſtens ſiebzig mal in jeder Minute ſchlaͤgt. Der Pulsſchlaͤge eines geſunden Erwachſenen, ſind in den heiſſeſten Laͤndern hundert und zwanzig in der Minute; in unſerm Klima aber nach Mitternacht etwa fuͤnf und ſechzig, welche Zahl gegen Morgen zu wachſen anfaͤngt und immer zunimmt, ſo, daß ſie am Abend bis auf achtzig ſteigt. Ich koͤnte demnach berechnen, wie viele Pulsſchlaͤge ich ſchon erlebt habe. Aber wie viele wuͤrden es ſeyn, die im Dienſte Got- J 4

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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 135[165]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/172>, abgerufen am 21.11.2024.