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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 23te Februar.
hals. Er darbet es sich an Leib und Seele ab, und für wen?
Für seine Kinder spricht er: die Vorsicht aber spricht anders. Oft
hungert er: um das Kind seines Feindes reich zu machen. Seine
schlecht erzogne Tochter freuet sich, einen Mann zu sinden, wel-
cher die verboranen Schätze ihres Vaters mit Anstand verthun
kan. Man könte demnach sagen: die meisten Menschen arbeiten
für Fremde, und folglich wider Willen. Wer die Allee pflanzt,
genießt ihrer schönsten Aussicht nicht, so wenig als ein Eroberer
der reifsten Früchte seiner Siege.

Wir arbeiten und du, o Gott! theilest aus. Wir mögten
gerne nur uns versorgen, für uns nur einernten: du aber rufst
uns von den Garben hinweg und andre samlen sie ein. So lenkst
du die Unart der Sünder zum Beßten und übest Gerechtigkeit
aus. Wann ein Geschlecht nun lange genug in Schlössern wohnte,
und sich durch Uebermuth deiner Huld unwürdig machte: dann
rufst du eine bisher fast nahmenlose Familie aus Hütten hervor,
und weisest ihr jener Palläste an. Es entstehet ein Krieg, und
schüttelt gleichsam die Schicksale unter einander. Der Besitzer
eines Guts zu Anfang des Krieges, muß nicht selten vor Ende
desselben hinaus gehn, und einem ganz Fremden das seinige ab-
treten. Und das alles sind deine Wege, Regierer unsers Schick-
sals! Wir sind arbeitende Knechte: du allein bist Herr. Wir
gönnen einer dem andern sehr wenig! du aber zwingst uns zum
Abgeben. Der Ort, auf dem ich jetzt mit dir rede, ward für
mich wol so wenig angebauet, als meine künftige Grabstäte. Wo
ich vermodern werde, wolte vieleicht vor Jahrhunderten ein Vor-
nehmer seltne Blumen ziehen. Und wo ich jetzt schlafen gehe,
was begann man da vor tausend Jahren? Uralter Beherrscher
der Welt! Nur dein ist die Erde, und alles was darinnen ist.
Du nimst uns am Ende alle unsre Arbeiten aus der Hand: ach!
hätte ich doch heut und jederzeit so gearbeitet, daß meine Seele
gewisses und ewiges Erbtheil davon zu erwarten hätte!

Der

Der 23te Februar.
hals. Er darbet es ſich an Leib und Seele ab, und fuͤr wen?
Fuͤr ſeine Kinder ſpricht er: die Vorſicht aber ſpricht anders. Oft
hungert er: um das Kind ſeines Feindes reich zu machen. Seine
ſchlecht erzogne Tochter freuet ſich, einen Mann zu ſinden, wel-
cher die verboranen Schaͤtze ihres Vaters mit Anſtand verthun
kan. Man koͤnte demnach ſagen: die meiſten Menſchen arbeiten
fuͤr Fremde, und folglich wider Willen. Wer die Allee pflanzt,
genießt ihrer ſchoͤnſten Ausſicht nicht, ſo wenig als ein Eroberer
der reifſten Fruͤchte ſeiner Siege.

Wir arbeiten und du, o Gott! theileſt aus. Wir moͤgten
gerne nur uns verſorgen, fuͤr uns nur einernten: du aber rufſt
uns von den Garben hinweg und andre ſamlen ſie ein. So lenkſt
du die Unart der Suͤnder zum Beßten und uͤbeſt Gerechtigkeit
aus. Wann ein Geſchlecht nun lange genug in Schloͤſſern wohnte,
und ſich durch Uebermuth deiner Huld unwuͤrdig machte: dann
rufſt du eine bisher faſt nahmenloſe Familie aus Huͤtten hervor,
und weiſeſt ihr jener Pallaͤſte an. Es entſtehet ein Krieg, und
ſchuͤttelt gleichſam die Schickſale unter einander. Der Beſitzer
eines Guts zu Anfang des Krieges, muß nicht ſelten vor Ende
deſſelben hinaus gehn, und einem ganz Fremden das ſeinige ab-
treten. Und das alles ſind deine Wege, Regierer unſers Schick-
ſals! Wir ſind arbeitende Knechte: du allein biſt Herr. Wir
goͤnnen einer dem andern ſehr wenig! du aber zwingſt uns zum
Abgeben. Der Ort, auf dem ich jetzt mit dir rede, ward fuͤr
mich wol ſo wenig angebauet, als meine kuͤnftige Grabſtaͤte. Wo
ich vermodern werde, wolte vieleicht vor Jahrhunderten ein Vor-
nehmer ſeltne Blumen ziehen. Und wo ich jetzt ſchlafen gehe,
was begann man da vor tauſend Jahren? Uralter Beherrſcher
der Welt! Nur dein iſt die Erde, und alles was darinnen iſt.
Du nimſt uns am Ende alle unſre Arbeiten aus der Hand: ach!
haͤtte ich doch heut und jederzeit ſo gearbeitet, daß meine Seele
gewiſſes und ewiges Erbtheil davon zu erwarten haͤtte!

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[112[142]/0149] Der 23te Februar. hals. Er darbet es ſich an Leib und Seele ab, und fuͤr wen? Fuͤr ſeine Kinder ſpricht er: die Vorſicht aber ſpricht anders. Oft hungert er: um das Kind ſeines Feindes reich zu machen. Seine ſchlecht erzogne Tochter freuet ſich, einen Mann zu ſinden, wel- cher die verboranen Schaͤtze ihres Vaters mit Anſtand verthun kan. Man koͤnte demnach ſagen: die meiſten Menſchen arbeiten fuͤr Fremde, und folglich wider Willen. Wer die Allee pflanzt, genießt ihrer ſchoͤnſten Ausſicht nicht, ſo wenig als ein Eroberer der reifſten Fruͤchte ſeiner Siege. Wir arbeiten und du, o Gott! theileſt aus. Wir moͤgten gerne nur uns verſorgen, fuͤr uns nur einernten: du aber rufſt uns von den Garben hinweg und andre ſamlen ſie ein. So lenkſt du die Unart der Suͤnder zum Beßten und uͤbeſt Gerechtigkeit aus. Wann ein Geſchlecht nun lange genug in Schloͤſſern wohnte, und ſich durch Uebermuth deiner Huld unwuͤrdig machte: dann rufſt du eine bisher faſt nahmenloſe Familie aus Huͤtten hervor, und weiſeſt ihr jener Pallaͤſte an. Es entſtehet ein Krieg, und ſchuͤttelt gleichſam die Schickſale unter einander. Der Beſitzer eines Guts zu Anfang des Krieges, muß nicht ſelten vor Ende deſſelben hinaus gehn, und einem ganz Fremden das ſeinige ab- treten. Und das alles ſind deine Wege, Regierer unſers Schick- ſals! Wir ſind arbeitende Knechte: du allein biſt Herr. Wir goͤnnen einer dem andern ſehr wenig! du aber zwingſt uns zum Abgeben. Der Ort, auf dem ich jetzt mit dir rede, ward fuͤr mich wol ſo wenig angebauet, als meine kuͤnftige Grabſtaͤte. Wo ich vermodern werde, wolte vieleicht vor Jahrhunderten ein Vor- nehmer ſeltne Blumen ziehen. Und wo ich jetzt ſchlafen gehe, was begann man da vor tauſend Jahren? Uralter Beherrſcher der Welt! Nur dein iſt die Erde, und alles was darinnen iſt. Du nimſt uns am Ende alle unſre Arbeiten aus der Hand: ach! haͤtte ich doch heut und jederzeit ſo gearbeitet, daß meine Seele gewiſſes und ewiges Erbtheil davon zu erwarten haͤtte! Der

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 112[142]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/149>, abgerufen am 22.11.2024.