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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 13te Februar.
bald eine Tugend von uns ausgeübt werden muß, dürfen [unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]
nicht erst den Arzt um seine Einwilligung befragen. Eini[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]
Beispiele machen es klar. Ein Kranker, der keinen ande[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]
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wenn ich eine Reise zu ihm bey rauher Jahrszeit abschlüge; ei[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]
Kind, das im Begriff steht zu ertrinken, und andre alltägliche
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schlag kommen? Und soll ich erst ausrechnen, um wie viel Tag[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]
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könte?

Die natürlichste und wichtigste Folge aus dieser meiner Be-
trachtung ist: daß ich geschickt seyn müsse, täglich zu sterben.
Denn wer stehet mir dafür, daß ich nicht morgen zu einem
Freunde geruffen werde, welcher eine giftige ansteckende Krank-
heit hat? Es kan diese Nacht jemand meine Hülfe fodern, wobei
ich mich tödtlich erkälten muß! Auch erhellet aus meiner heuti-
gen Betrachtung, daß sehr viele Klugheit und Entschlossenheit
dazu gehöre, wenn man in Absicht der Gesundheit und des Lebens
weder zu viel, noch zu wenig thun will. Und wie genau muß
man nicht messen und rechnen, wenn es Leben und Tod betrift!
Könte man nicht vielen zurufen: du bist für deinen Beruf zu ge-
sund, und du hingegen bist zu entkräftet? Selbstmord und sünd-
liche Liebe zum Leben, wie schmal ist nicht der Pfad, der zwischen
beide hindurch führt! Wohl dem Weisen, der seiner niemals
verfehlt!

Und so finde ich denn wieder eine verborgene Quelle von
Sünden, und muß mich vor dir, Herr meiner Tage! demüti-
gen und anklagen. Wie? wenn ich, zu deinem Ruhm, ein
Märtirer werden solte! Ich! der ich kaum den Schlaf überwin-
den kan, wenn ich am Abend dich preisen will? Ach! lehre mich
die grosse Kunst, nicht länger zu leben und nicht früher zu ster-
ben, als es dir gefällig, und meinem Christenthume gemäß ist!

Der

Der 13te Februar.
bald eine Tugend von uns ausgeuͤbt werden muß, duͤrfen [unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]
nicht erſt den Arzt um ſeine Einwilligung befragen. Eini[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]
Beiſpiele machen es klar. Ein Kranker, der keinen ande[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]
Waͤchter als mich hat; ein Freund, den ich verlieren wuͤrd[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]
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koͤnte?

Die natuͤrlichſte und wichtigſte Folge aus dieſer meiner Be-
trachtung iſt: daß ich geſchickt ſeyn muͤſſe, taͤglich zu ſterben.
Denn wer ſtehet mir dafuͤr, daß ich nicht morgen zu einem
Freunde geruffen werde, welcher eine giftige anſteckende Krank-
heit hat? Es kan dieſe Nacht jemand meine Huͤlfe fodern, wobei
ich mich toͤdtlich erkaͤlten muß! Auch erhellet aus meiner heuti-
gen Betrachtung, daß ſehr viele Klugheit und Entſchloſſenheit
dazu gehoͤre, wenn man in Abſicht der Geſundheit und des Lebens
weder zu viel, noch zu wenig thun will. Und wie genau muß
man nicht meſſen und rechnen, wenn es Leben und Tod betrift!
Koͤnte man nicht vielen zurufen: du biſt fuͤr deinen Beruf zu ge-
ſund, und du hingegen biſt zu entkraͤftet? Selbſtmord und ſuͤnd-
liche Liebe zum Leben, wie ſchmal iſt nicht der Pfad, der zwiſchen
beide hindurch fuͤhrt! Wohl dem Weiſen, der ſeiner niemals
verfehlt!

Und ſo finde ich denn wieder eine verborgene Quelle von
Suͤnden, und muß mich vor dir, Herr meiner Tage! demuͤti-
gen und anklagen. Wie? wenn ich, zu deinem Ruhm, ein
Maͤrtirer werden ſolte! Ich! der ich kaum den Schlaf uͤberwin-
den kan, wenn ich am Abend dich preiſen will? Ach! lehre mich
die groſſe Kunſt, nicht laͤnger zu leben und nicht fruͤher zu ſter-
ben, als es dir gefaͤllig, und meinem Chriſtenthume gemaͤß iſt!

Der
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[92[122]/0129] Der 13te Februar. bald eine Tugend von uns ausgeuͤbt werden muß, duͤrfen _ nicht erſt den Arzt um ſeine Einwilligung befragen. Eini_ Beiſpiele machen es klar. Ein Kranker, der keinen ande_ Waͤchter als mich hat; ein Freund, den ich verlieren wuͤrd_ wenn ich eine Reiſe zu ihm bey rauher Jahrszeit abſchluͤge; ei_ Kind, das im Begriff ſteht zu ertrinken, und andre alltaͤgliche Faͤlle mehr: — duͤrfen hier Erkaͤltungen und Katarrh in An_ ſchlag kommen? Und ſoll ich erſt ausrechnen, um wie viel Tag_ ich mein Leben wol durch Erfuͤllung meiner Pflicht verkuͤrzen_ koͤnte? Die natuͤrlichſte und wichtigſte Folge aus dieſer meiner Be- trachtung iſt: daß ich geſchickt ſeyn muͤſſe, taͤglich zu ſterben. Denn wer ſtehet mir dafuͤr, daß ich nicht morgen zu einem Freunde geruffen werde, welcher eine giftige anſteckende Krank- heit hat? Es kan dieſe Nacht jemand meine Huͤlfe fodern, wobei ich mich toͤdtlich erkaͤlten muß! Auch erhellet aus meiner heuti- gen Betrachtung, daß ſehr viele Klugheit und Entſchloſſenheit dazu gehoͤre, wenn man in Abſicht der Geſundheit und des Lebens weder zu viel, noch zu wenig thun will. Und wie genau muß man nicht meſſen und rechnen, wenn es Leben und Tod betrift! Koͤnte man nicht vielen zurufen: du biſt fuͤr deinen Beruf zu ge- ſund, und du hingegen biſt zu entkraͤftet? Selbſtmord und ſuͤnd- liche Liebe zum Leben, wie ſchmal iſt nicht der Pfad, der zwiſchen beide hindurch fuͤhrt! Wohl dem Weiſen, der ſeiner niemals verfehlt! Und ſo finde ich denn wieder eine verborgene Quelle von Suͤnden, und muß mich vor dir, Herr meiner Tage! demuͤti- gen und anklagen. Wie? wenn ich, zu deinem Ruhm, ein Maͤrtirer werden ſolte! Ich! der ich kaum den Schlaf uͤberwin- den kan, wenn ich am Abend dich preiſen will? Ach! lehre mich die groſſe Kunſt, nicht laͤnger zu leben und nicht fruͤher zu ſter- ben, als es dir gefaͤllig, und meinem Chriſtenthume gemaͤß iſt! Der

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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 92[122]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/129>, abgerufen am 24.11.2024.