Wo hätt ich Licht, Wofern mich nicht Dein Wort die Wahrheit lehrte? Gott! ohne sie Verstünd ich nie, Wie ich dich würdig ehrte!
Grundgütiger Gott! mit Wehmut bekenne ich es, daß ich höchst undankbar bin. Alle Augenblicke begehre und erhalte ich neue Wohlthaten von dir, ohne den Werth der vorher em- pfangenen zu überdenken! So lange sie noch in deiner Hand sind, scheinen sie mir groß und reizend: aber kaum üdergiebst du sie mir, so lege ich sie als eine entbehrliche Kleinigkeit an die seite! Und da lieget jetzt, (ach! ich kan es für Scham kaum denken!) dein geoffenbartes Wort lieget da; und mit viel zu flüchtigen Blicken gehe ich täglich die Bibel vorbei. Gleich als ob ich es nicht wüßte, oder wissen könte, daß alle Schätze Indiens, Stoppeln gegen sie sind! O! präge mir, Allgütigster! folgende zwo Wahrheiten unauslöschlich tief in meine Seele:
Ohne die Bibel wäre ich unglücklich. Schon auf meinen äusserlichen Wohlstand hat sie einen grossen Einfluß. Eine Na- tion, welche die heilige Schrift frei und öffentlich lesen darf, ist wohlhabender, gesitteter, tapferer und weiser, als ein benach- bartes Volk, welches diesen Schatz nicht hat, oder nicht ge- brauchen darf. Heiden uud solche Christen, welche vor der Bi- bel fliehen müssen, sind ja so abergläubig, daß selbst unsre Kin- der ihre Mährchen verlachen. Daß ich den Ursprung der Welt, und folglich auch den meinigen, auf einer Gott anständigen Art
weiß;
F 5
Der 12te Februar.
Wo haͤtt ich Licht, Wofern mich nicht Dein Wort die Wahrheit lehrte? Gott! ohne ſie Verſtuͤnd ich nie, Wie ich dich wuͤrdig ehrte!
Grundguͤtiger Gott! mit Wehmut bekenne ich es, daß ich hoͤchſt undankbar bin. Alle Augenblicke begehre und erhalte ich neue Wohlthaten von dir, ohne den Werth der vorher em- pfangenen zu uͤberdenken! So lange ſie noch in deiner Hand ſind, ſcheinen ſie mir groß und reizend: aber kaum uͤdergiebſt du ſie mir, ſo lege ich ſie als eine entbehrliche Kleinigkeit an die ſeite! Und da lieget jetzt, (ach! ich kan es fuͤr Scham kaum denken!) dein geoffenbartes Wort lieget da; und mit viel zu fluͤchtigen Blicken gehe ich taͤglich die Bibel vorbei. Gleich als ob ich es nicht wuͤßte, oder wiſſen koͤnte, daß alle Schaͤtze Indiens, Stoppeln gegen ſie ſind! O! praͤge mir, Allguͤtigſter! folgende zwo Wahrheiten unausloͤſchlich tief in meine Seele:
Ohne die Bibel waͤre ich ungluͤcklich. Schon auf meinen aͤuſſerlichen Wohlſtand hat ſie einen groſſen Einfluß. Eine Na- tion, welche die heilige Schrift frei und oͤffentlich leſen darf, iſt wohlhabender, geſitteter, tapferer und weiſer, als ein benach- bartes Volk, welches dieſen Schatz nicht hat, oder nicht ge- brauchen darf. Heiden uud ſolche Chriſten, welche vor der Bi- bel fliehen muͤſſen, ſind ja ſo aberglaͤubig, daß ſelbſt unſre Kin- der ihre Maͤhrchen verlachen. Daß ich den Urſprung der Welt, und folglich auch den meinigen, auf einer Gott anſtaͤndigen Art
weiß;
F 5
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[89[119]/0126]
Der 12te Februar.
Wo haͤtt ich Licht,
Wofern mich nicht
Dein Wort die Wahrheit lehrte?
Gott! ohne ſie
Verſtuͤnd ich nie,
Wie ich dich wuͤrdig ehrte!
Grundguͤtiger Gott! mit Wehmut bekenne ich es, daß ich
hoͤchſt undankbar bin. Alle Augenblicke begehre und erhalte
ich neue Wohlthaten von dir, ohne den Werth der vorher em-
pfangenen zu uͤberdenken! So lange ſie noch in deiner Hand ſind,
ſcheinen ſie mir groß und reizend: aber kaum uͤdergiebſt du ſie
mir, ſo lege ich ſie als eine entbehrliche Kleinigkeit an die ſeite!
Und da lieget jetzt, (ach! ich kan es fuͤr Scham kaum denken!)
dein geoffenbartes Wort lieget da; und mit viel zu fluͤchtigen
Blicken gehe ich taͤglich die Bibel vorbei. Gleich als ob ich es
nicht wuͤßte, oder wiſſen koͤnte, daß alle Schaͤtze Indiens,
Stoppeln gegen ſie ſind! O! praͤge mir, Allguͤtigſter! folgende
zwo Wahrheiten unausloͤſchlich tief in meine Seele:
Ohne die Bibel waͤre ich ungluͤcklich. Schon auf meinen
aͤuſſerlichen Wohlſtand hat ſie einen groſſen Einfluß. Eine Na-
tion, welche die heilige Schrift frei und oͤffentlich leſen darf,
iſt wohlhabender, geſitteter, tapferer und weiſer, als ein benach-
bartes Volk, welches dieſen Schatz nicht hat, oder nicht ge-
brauchen darf. Heiden uud ſolche Chriſten, welche vor der Bi-
bel fliehen muͤſſen, ſind ja ſo aberglaͤubig, daß ſelbſt unſre Kin-
der ihre Maͤhrchen verlachen. Daß ich den Urſprung der Welt,
und folglich auch den meinigen, auf einer Gott anſtaͤndigen Art
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 89[119]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/126>, abgerufen am 22.11.2024.
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