che ich längst unter Lustbarkeiten vergraben hatte. Bisher lagen sie unter den über sie hingestreuten Feigenblättern stille; aber nun erhebt jede ihren Schlangenkopf und zischet mich an! Die Hölle schien mir sonst ein Rätzel, ein Unding: und jetzt scheinet mir nichts natürlicher, nichts nothwendiger in der Schöpfung zu seyn, als sie. Schon hör ich deinen rollenden Donnerwagen, beleidigter Richter!
Mich dünkt, da lieg ich schon vor dir Jn größter Hitz, ohn Kraft und Zier, Mit höchster Herzensangst befallen: Gehör und Rede nehmen ab, Die Augen werden mir ein Grab: Doch kränkt die Sünde mich vor allen!
Jesus! -- O du entzückender Name, der du allein die Hölle auslöschen kanst: niemals warst du meiner Seele so süß, als auf diesem Kampfplatz! Du zertritst den Kops der Ungeheuer, die mich anbrüllen; an deiner Hand schöpfe ich erst wieder Luft, und meine niedergesunkne Augen bekommen den letzten Glanz. Die Todesangst nimt zu: aber deine Gnade auch. Mein Geist schmach- tet nach Trost, und du zeigst ihn mir von ferne, ja reichest mit auch dann und wann einen Vorschmack davon dar. Jch winsele, bete, hoffe, freue mich, ermahne die Umstehenden, zittre, bete wieder, lobe, zucke -- ich sterbe.
Mein Gott! laß mich dieser meiner Sterbefeier öfters in Ge- danken beiwohnen. Laß mich jetzt so leben, wie ich alsdann wün- schen werde gelebt zu haben. Jede schlechte Handlung, jede un- vollendete gute That, jede unergrifne Gelegenheit zur Tugend ist alsdann schmerzhafter als alle Seitenstiche und Erstickungen. Aber gehegte Liebe gegen Gott, Nachfolge Jesu, jeder göttliche vor Jahren gedachte Gedanke ist alsdann Beruhigung und Bal- sam. Auch meine heutige Abendandacht kan mir alsdann eine Materie zum Lobe Gottes, folglich ein Trost in meiner Noth werden. O! mein Gott! auch im Tode mein Gott! laß sie um Jesu Christi willen dazu gesegnet seyn!
Der
Der 31te Januar.
che ich laͤngſt unter Luſtbarkeiten vergraben hatte. Bisher lagen ſie unter den uͤber ſie hingeſtreuten Feigenblaͤttern ſtille; aber nun erhebt jede ihren Schlangenkopf und ziſchet mich an! Die Hoͤlle ſchien mir ſonſt ein Raͤtzel, ein Unding: und jetzt ſcheinet mir nichts natuͤrlicher, nichts nothwendiger in der Schoͤpfung zu ſeyn, als ſie. Schon hoͤr ich deinen rollenden Donnerwagen, beleidigter Richter!
Mich duͤnkt, da lieg ich ſchon vor dir Jn groͤßter Hitz, ohn Kraft und Zier, Mit hoͤchſter Herzensangſt befallen: Gehoͤr und Rede nehmen ab, Die Augen werden mir ein Grab: Doch kraͤnkt die Suͤnde mich vor allen!
Jeſus! — O du entzuͤckender Name, der du allein die Hoͤlle ausloͤſchen kanſt: niemals warſt du meiner Seele ſo ſuͤß, als auf dieſem Kampfplatz! Du zertritſt den Kopſ der Ungeheuer, die mich anbruͤllen; an deiner Hand ſchoͤpfe ich erſt wieder Luft, und meine niedergeſunkne Augen bekommen den letzten Glanz. Die Todesangſt nimt zu: aber deine Gnade auch. Mein Geiſt ſchmach- tet nach Troſt, und du zeigſt ihn mir von ferne, ja reicheſt mit auch dann und wann einen Vorſchmack davon dar. Jch winſele, bete, hoffe, freue mich, ermahne die Umſtehenden, zittre, bete wieder, lobe, zucke — ich ſterbe.
Mein Gott! laß mich dieſer meiner Sterbefeier oͤfters in Ge- danken beiwohnen. Laß mich jetzt ſo leben, wie ich alsdann wuͤn- ſchen werde gelebt zu haben. Jede ſchlechte Handlung, jede un- vollendete gute That, jede unergrifne Gelegenheit zur Tugend iſt alsdann ſchmerzhafter als alle Seitenſtiche und Erſtickungen. Aber gehegte Liebe gegen Gott, Nachfolge Jeſu, jeder goͤttliche vor Jahren gedachte Gedanke iſt alsdann Beruhigung und Bal- ſam. Auch meine heutige Abendandacht kan mir alsdann eine Materie zum Lobe Gottes, folglich ein Troſt in meiner Noth werden. O! mein Gott! auch im Tode mein Gott! laß ſie um Jeſu Chriſti willen dazu geſegnet ſeyn!
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[64[94]/0101]
Der 31te Januar.
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ſie unter den uͤber ſie hingeſtreuten Feigenblaͤttern ſtille; aber nun
erhebt jede ihren Schlangenkopf und ziſchet mich an! Die Hoͤlle
ſchien mir ſonſt ein Raͤtzel, ein Unding: und jetzt ſcheinet mir nichts
natuͤrlicher, nichts nothwendiger in der Schoͤpfung zu ſeyn, als ſie.
Schon hoͤr ich deinen rollenden Donnerwagen, beleidigter Richter!
Mich duͤnkt, da lieg ich ſchon vor dir
Jn groͤßter Hitz, ohn Kraft und Zier,
Mit hoͤchſter Herzensangſt befallen:
Gehoͤr und Rede nehmen ab,
Die Augen werden mir ein Grab:
Doch kraͤnkt die Suͤnde mich vor allen!
Jeſus! — O du entzuͤckender Name, der du allein die
Hoͤlle ausloͤſchen kanſt: niemals warſt du meiner Seele ſo ſuͤß, als
auf dieſem Kampfplatz! Du zertritſt den Kopſ der Ungeheuer,
die mich anbruͤllen; an deiner Hand ſchoͤpfe ich erſt wieder Luft,
und meine niedergeſunkne Augen bekommen den letzten Glanz. Die
Todesangſt nimt zu: aber deine Gnade auch. Mein Geiſt ſchmach-
tet nach Troſt, und du zeigſt ihn mir von ferne, ja reicheſt mit
auch dann und wann einen Vorſchmack davon dar. Jch winſele,
bete, hoffe, freue mich, ermahne die Umſtehenden, zittre, bete
wieder, lobe, zucke — ich ſterbe.
Mein Gott! laß mich dieſer meiner Sterbefeier oͤfters in Ge-
danken beiwohnen. Laß mich jetzt ſo leben, wie ich alsdann wuͤn-
ſchen werde gelebt zu haben. Jede ſchlechte Handlung, jede un-
vollendete gute That, jede unergrifne Gelegenheit zur Tugend iſt
alsdann ſchmerzhafter als alle Seitenſtiche und Erſtickungen.
Aber gehegte Liebe gegen Gott, Nachfolge Jeſu, jeder goͤttliche
vor Jahren gedachte Gedanke iſt alsdann Beruhigung und Bal-
ſam. Auch meine heutige Abendandacht kan mir alsdann eine
Materie zum Lobe Gottes, folglich ein Troſt in meiner Noth
werden. O! mein Gott! auch im Tode mein Gott! laß ſie um
Jeſu Chriſti willen dazu geſegnet ſeyn!
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 64[94]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/101>, abgerufen am 16.07.2024.
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