Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.gesehen; du fertigst sie jetzt immer des Morgens schon früh ab, wenn ich noch schlafe; du nimmst dann von ihr das eingekaufte Brod, sowie den Wasserkrug. Ich weiß, daß sie oft für andere Familien arbeitet; alt ist sie, ihre Nahrung nur eine dürftige, wenn also ihre Schwäche zunimmt, so kann sie leicht erkranken. Warum ist sie nicht schon längst wieder einmal zu uns heraufgekommen? Je nun, sagte Heinrich nicht ohne einige Verlegenheit, welche Clara auch bemerkte, und die ihr auffallen mußte, es wird sich wohl bald wieder eine Gelegenheit finden, warte nur noch einige Zeit. Nein, Liebster! rief sie mit ihrer Lebhaftigkeit aus, du willst mir etwas verbergen, es muß etwas vorgefallen sein. Du sollst mich nicht abhalten, ich will gleich selbst hinuntergehen, ob sie etwa in ihrem Kämmerchen ist, ob sie leidet, ob sie unzufrieden mit uns sein mag. Du hast diese fatale Treppe schon seit so lange nicht betreten, sagte Heinrich; es ist finster draußen, du könntest fallen. Nein, rief sie, du sollst mich nicht zurückhalten; die Treppe kenne ich; ich werde mich in der Finsterniß schon zurechtfinden. Da wir aber das Geländer verbraucht haben, sagte Heinrich, welches mir damals als ein Ueberfluß erschien, so fürchte ich jetzt, da du dich nicht anhalten kannst, daß du stolpern und stürzen könntest. gesehen; du fertigst sie jetzt immer des Morgens schon früh ab, wenn ich noch schlafe; du nimmst dann von ihr das eingekaufte Brod, sowie den Wasserkrug. Ich weiß, daß sie oft für andere Familien arbeitet; alt ist sie, ihre Nahrung nur eine dürftige, wenn also ihre Schwäche zunimmt, so kann sie leicht erkranken. Warum ist sie nicht schon längst wieder einmal zu uns heraufgekommen? Je nun, sagte Heinrich nicht ohne einige Verlegenheit, welche Clara auch bemerkte, und die ihr auffallen mußte, es wird sich wohl bald wieder eine Gelegenheit finden, warte nur noch einige Zeit. Nein, Liebster! rief sie mit ihrer Lebhaftigkeit aus, du willst mir etwas verbergen, es muß etwas vorgefallen sein. Du sollst mich nicht abhalten, ich will gleich selbst hinuntergehen, ob sie etwa in ihrem Kämmerchen ist, ob sie leidet, ob sie unzufrieden mit uns sein mag. Du hast diese fatale Treppe schon seit so lange nicht betreten, sagte Heinrich; es ist finster draußen, du könntest fallen. Nein, rief sie, du sollst mich nicht zurückhalten; die Treppe kenne ich; ich werde mich in der Finsterniß schon zurechtfinden. Da wir aber das Geländer verbraucht haben, sagte Heinrich, welches mir damals als ein Ueberfluß erschien, so fürchte ich jetzt, da du dich nicht anhalten kannst, daß du stolpern und stürzen könntest. <TEI> <text> <body> <div n="4"> <p><pb facs="#f0062"/> gesehen; du fertigst sie jetzt immer des Morgens schon früh ab, wenn ich noch schlafe; du nimmst dann von ihr das eingekaufte Brod, sowie den Wasserkrug. Ich weiß, daß sie oft für andere Familien arbeitet; alt ist sie, ihre Nahrung nur eine dürftige, wenn also ihre Schwäche zunimmt, so kann sie leicht erkranken. Warum ist sie nicht schon längst wieder einmal zu uns heraufgekommen?</p><lb/> <p>Je nun, sagte Heinrich nicht ohne einige Verlegenheit, welche Clara auch bemerkte, und die ihr auffallen mußte, es wird sich wohl bald wieder eine Gelegenheit finden, warte nur noch einige Zeit.</p><lb/> <p>Nein, Liebster! rief sie mit ihrer Lebhaftigkeit aus, du willst mir etwas verbergen, es muß etwas vorgefallen sein. Du sollst mich nicht abhalten, ich will gleich selbst hinuntergehen, ob sie etwa in ihrem Kämmerchen ist, ob sie leidet, ob sie unzufrieden mit uns sein mag.</p><lb/> <p>Du hast diese fatale Treppe schon seit so lange nicht betreten, sagte Heinrich; es ist finster draußen, du könntest fallen.</p><lb/> <p>Nein, rief sie, du sollst mich nicht zurückhalten; die Treppe kenne ich; ich werde mich in der Finsterniß schon zurechtfinden.</p><lb/> <p>Da wir aber das Geländer verbraucht haben, sagte Heinrich, welches mir damals als ein Ueberfluß erschien, so fürchte ich jetzt, da du dich nicht anhalten kannst, daß du stolpern und stürzen könntest.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0062]
gesehen; du fertigst sie jetzt immer des Morgens schon früh ab, wenn ich noch schlafe; du nimmst dann von ihr das eingekaufte Brod, sowie den Wasserkrug. Ich weiß, daß sie oft für andere Familien arbeitet; alt ist sie, ihre Nahrung nur eine dürftige, wenn also ihre Schwäche zunimmt, so kann sie leicht erkranken. Warum ist sie nicht schon längst wieder einmal zu uns heraufgekommen?
Je nun, sagte Heinrich nicht ohne einige Verlegenheit, welche Clara auch bemerkte, und die ihr auffallen mußte, es wird sich wohl bald wieder eine Gelegenheit finden, warte nur noch einige Zeit.
Nein, Liebster! rief sie mit ihrer Lebhaftigkeit aus, du willst mir etwas verbergen, es muß etwas vorgefallen sein. Du sollst mich nicht abhalten, ich will gleich selbst hinuntergehen, ob sie etwa in ihrem Kämmerchen ist, ob sie leidet, ob sie unzufrieden mit uns sein mag.
Du hast diese fatale Treppe schon seit so lange nicht betreten, sagte Heinrich; es ist finster draußen, du könntest fallen.
Nein, rief sie, du sollst mich nicht zurückhalten; die Treppe kenne ich; ich werde mich in der Finsterniß schon zurechtfinden.
Da wir aber das Geländer verbraucht haben, sagte Heinrich, welches mir damals als ein Ueberfluß erschien, so fürchte ich jetzt, da du dich nicht anhalten kannst, daß du stolpern und stürzen könntest.
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Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/62>, abgerufen am 17.07.2024. |