Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.und sagte: Sehn meine Herrschaften hier einen noch ziemlich gut conservirten Diplomaten, etwas eingeschrumpft und abgerissen, von Würmern und Motten hier und da zernagt, aber doch noch brauchbar als Kaminschirm, um gegen zu große Flamme und Hitze zu schützen und abzukühlen, oder um ihn als Karyatide zu nutzen und ihm etwa eine Uhr auf den Kopf zu stellen. Auch kann man ihn vor das Fenster hängen, daß er die Witterung anzeigt. Es ist ihm selbst noch ein klein wenig Verstand geblieben, so daß er auf alltägliche Dinge, wenn die Frage nicht zu tief geht, ganz leidlich antworten und darüber sprechen kann. Wie hoch wollen Sie auf ihn bieten? Keine Antwort im Saal. Der Auctionator rief: Nun, meine Herren und Damen? Er kann ja in einem Gesandtschaftslocal noch Thürsteher werden; er könnte ja als Kronleuchter in der Entree angehangen werden und die Kerzen mit Armen, Beinen und auf dem Kopfe tragen. Es ist ja ein lieber anstelliger Mensch. Wenn eine Herrschaft eine Hausorgel besitzen sollte, kann er auch die Balgen treten; seine Beine, wie Sie sehen, sind ja noch von leidlicher Beschaffenheit. -- Aber immer keine Antwort. -- Ich fühlte mich im Zustand der tiefsten Erniedrigung und meine Beschämung war ohne Grenzen; denn Manche meiner Bekannten sahen grinzend und schadenfroh nach mir, Manche lachten, Andre zuckten die Schultern, wie in tief verachtendem Mitleid. Mein Bedienter und sagte: Sehn meine Herrschaften hier einen noch ziemlich gut conservirten Diplomaten, etwas eingeschrumpft und abgerissen, von Würmern und Motten hier und da zernagt, aber doch noch brauchbar als Kaminschirm, um gegen zu große Flamme und Hitze zu schützen und abzukühlen, oder um ihn als Karyatide zu nutzen und ihm etwa eine Uhr auf den Kopf zu stellen. Auch kann man ihn vor das Fenster hängen, daß er die Witterung anzeigt. Es ist ihm selbst noch ein klein wenig Verstand geblieben, so daß er auf alltägliche Dinge, wenn die Frage nicht zu tief geht, ganz leidlich antworten und darüber sprechen kann. Wie hoch wollen Sie auf ihn bieten? Keine Antwort im Saal. Der Auctionator rief: Nun, meine Herren und Damen? Er kann ja in einem Gesandtschaftslocal noch Thürsteher werden; er könnte ja als Kronleuchter in der Entrée angehangen werden und die Kerzen mit Armen, Beinen und auf dem Kopfe tragen. Es ist ja ein lieber anstelliger Mensch. Wenn eine Herrschaft eine Hausorgel besitzen sollte, kann er auch die Balgen treten; seine Beine, wie Sie sehen, sind ja noch von leidlicher Beschaffenheit. — Aber immer keine Antwort. — Ich fühlte mich im Zustand der tiefsten Erniedrigung und meine Beschämung war ohne Grenzen; denn Manche meiner Bekannten sahen grinzend und schadenfroh nach mir, Manche lachten, Andre zuckten die Schultern, wie in tief verachtendem Mitleid. Mein Bedienter <TEI> <text> <body> <div n="3"> <p><pb facs="#f0048"/> und sagte: Sehn meine Herrschaften hier einen noch ziemlich gut conservirten Diplomaten, etwas eingeschrumpft und abgerissen, von Würmern und Motten hier und da zernagt, aber doch noch brauchbar als Kaminschirm, um gegen zu große Flamme und Hitze zu schützen und abzukühlen, oder um ihn als Karyatide zu nutzen und ihm etwa eine Uhr auf den Kopf zu stellen. Auch kann man ihn vor das Fenster hängen, daß er die Witterung anzeigt. Es ist ihm selbst noch ein klein wenig Verstand geblieben, so daß er auf alltägliche Dinge, wenn die Frage nicht zu tief geht, ganz leidlich antworten und darüber sprechen kann. Wie hoch wollen Sie auf ihn bieten?</p><lb/> <p>Keine Antwort im Saal. Der Auctionator rief: Nun, meine Herren und Damen? Er kann ja in einem Gesandtschaftslocal noch Thürsteher werden; er könnte ja als Kronleuchter in der Entrée angehangen werden und die Kerzen mit Armen, Beinen und auf dem Kopfe tragen. Es ist ja ein lieber anstelliger Mensch. Wenn eine Herrschaft eine Hausorgel besitzen sollte, kann er auch die Balgen treten; seine Beine, wie Sie sehen, sind ja noch von leidlicher Beschaffenheit. — Aber immer keine Antwort. — Ich fühlte mich im Zustand der tiefsten Erniedrigung und meine Beschämung war ohne Grenzen; denn Manche meiner Bekannten sahen grinzend und schadenfroh nach mir, Manche lachten, Andre zuckten die Schultern, wie in tief verachtendem Mitleid. Mein Bedienter<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0048]
und sagte: Sehn meine Herrschaften hier einen noch ziemlich gut conservirten Diplomaten, etwas eingeschrumpft und abgerissen, von Würmern und Motten hier und da zernagt, aber doch noch brauchbar als Kaminschirm, um gegen zu große Flamme und Hitze zu schützen und abzukühlen, oder um ihn als Karyatide zu nutzen und ihm etwa eine Uhr auf den Kopf zu stellen. Auch kann man ihn vor das Fenster hängen, daß er die Witterung anzeigt. Es ist ihm selbst noch ein klein wenig Verstand geblieben, so daß er auf alltägliche Dinge, wenn die Frage nicht zu tief geht, ganz leidlich antworten und darüber sprechen kann. Wie hoch wollen Sie auf ihn bieten?
Keine Antwort im Saal. Der Auctionator rief: Nun, meine Herren und Damen? Er kann ja in einem Gesandtschaftslocal noch Thürsteher werden; er könnte ja als Kronleuchter in der Entrée angehangen werden und die Kerzen mit Armen, Beinen und auf dem Kopfe tragen. Es ist ja ein lieber anstelliger Mensch. Wenn eine Herrschaft eine Hausorgel besitzen sollte, kann er auch die Balgen treten; seine Beine, wie Sie sehen, sind ja noch von leidlicher Beschaffenheit. — Aber immer keine Antwort. — Ich fühlte mich im Zustand der tiefsten Erniedrigung und meine Beschämung war ohne Grenzen; denn Manche meiner Bekannten sahen grinzend und schadenfroh nach mir, Manche lachten, Andre zuckten die Schultern, wie in tief verachtendem Mitleid. Mein Bedienter
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Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/48>, abgerufen am 17.02.2025. |