Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.solltest du mir lieber den deinigen vortragen, der besser und poetischer sein wird. Du beschämst mich in der That, sagte Heinrich erröthend, weil du diesmal mein Traumtalent viel zu hoch anschlägst. Ueberzeuge dich selbst. Ich war noch bei meinem ehemaligen Gesandten dort in der großen Stadt und in der vornehmen Umgebung. Man sprach bei Tische von einer Auction, die nächstens stattfinden werde. So oft das Wort Auction bei Tische nur genannt wurde, befiel mich eine unbeschreibliche Angst, und doch begriff ich nicht warum. In meiner frühen Jugend war es meine Leidenschaft gewesen, bei Bücherauctionen zugegen zu sein, und wenn es mir auch fast immer unmöglich fiel, jene Werke, die ich liebte, zu erstehen, so hatte ich doch meine Freude daran, sie ausgeboten zu hören und mir die Möglichkeit zu denken, daß sie in meinen Besitz gelangen könnten. Die Kataloge der Auctionen konnte ich wie meine Lieblingsdichter lesen, und diese Thorheit und Schwärmerei war nur eine von den vielen, an welchen meine Jugend litt; denn ich war weit von dem entfernt, was man einen soliden, verständigen Jüngling nennt, und ich zweifelte in einsamen Stunden oft, ob aus mir je ein sogenannter vernünftiger und brauchbarer Mann werden würde. Clara lachte laut auf, umarmte ihn dann und küßte ihn heftig. Nein, rief sie, bis jetzt ist davon, dem Himmel sei Dank, noch nichts eingetroffen. Ich solltest du mir lieber den deinigen vortragen, der besser und poetischer sein wird. Du beschämst mich in der That, sagte Heinrich erröthend, weil du diesmal mein Traumtalent viel zu hoch anschlägst. Ueberzeuge dich selbst. Ich war noch bei meinem ehemaligen Gesandten dort in der großen Stadt und in der vornehmen Umgebung. Man sprach bei Tische von einer Auction, die nächstens stattfinden werde. So oft das Wort Auction bei Tische nur genannt wurde, befiel mich eine unbeschreibliche Angst, und doch begriff ich nicht warum. In meiner frühen Jugend war es meine Leidenschaft gewesen, bei Bücherauctionen zugegen zu sein, und wenn es mir auch fast immer unmöglich fiel, jene Werke, die ich liebte, zu erstehen, so hatte ich doch meine Freude daran, sie ausgeboten zu hören und mir die Möglichkeit zu denken, daß sie in meinen Besitz gelangen könnten. Die Kataloge der Auctionen konnte ich wie meine Lieblingsdichter lesen, und diese Thorheit und Schwärmerei war nur eine von den vielen, an welchen meine Jugend litt; denn ich war weit von dem entfernt, was man einen soliden, verständigen Jüngling nennt, und ich zweifelte in einsamen Stunden oft, ob aus mir je ein sogenannter vernünftiger und brauchbarer Mann werden würde. Clara lachte laut auf, umarmte ihn dann und küßte ihn heftig. Nein, rief sie, bis jetzt ist davon, dem Himmel sei Dank, noch nichts eingetroffen. Ich <TEI> <text> <body> <div n="3"> <p><pb facs="#f0046"/> solltest du mir lieber den deinigen vortragen, der besser und poetischer sein wird.</p><lb/> <p>Du beschämst mich in der That, sagte Heinrich erröthend, weil du diesmal mein Traumtalent viel zu hoch anschlägst. Ueberzeuge dich selbst.</p><lb/> <p>Ich war noch bei meinem ehemaligen Gesandten dort in der großen Stadt und in der vornehmen Umgebung. Man sprach bei Tische von einer Auction, die nächstens stattfinden werde. So oft das Wort Auction bei Tische nur genannt wurde, befiel mich eine unbeschreibliche Angst, und doch begriff ich nicht warum. In meiner frühen Jugend war es meine Leidenschaft gewesen, bei Bücherauctionen zugegen zu sein, und wenn es mir auch fast immer unmöglich fiel, jene Werke, die ich liebte, zu erstehen, so hatte ich doch meine Freude daran, sie ausgeboten zu hören und mir die Möglichkeit zu denken, daß sie in meinen Besitz gelangen könnten. Die Kataloge der Auctionen konnte ich wie meine Lieblingsdichter lesen, und diese Thorheit und Schwärmerei war nur eine von den vielen, an welchen meine Jugend litt; denn ich war weit von dem entfernt, was man einen soliden, verständigen Jüngling nennt, und ich zweifelte in einsamen Stunden oft, ob aus mir je ein sogenannter vernünftiger und brauchbarer Mann werden würde.</p><lb/> <p>Clara lachte laut auf, umarmte ihn dann und küßte ihn heftig. Nein, rief sie, bis jetzt ist davon, dem Himmel sei Dank, noch nichts eingetroffen. Ich<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0046]
solltest du mir lieber den deinigen vortragen, der besser und poetischer sein wird.
Du beschämst mich in der That, sagte Heinrich erröthend, weil du diesmal mein Traumtalent viel zu hoch anschlägst. Ueberzeuge dich selbst.
Ich war noch bei meinem ehemaligen Gesandten dort in der großen Stadt und in der vornehmen Umgebung. Man sprach bei Tische von einer Auction, die nächstens stattfinden werde. So oft das Wort Auction bei Tische nur genannt wurde, befiel mich eine unbeschreibliche Angst, und doch begriff ich nicht warum. In meiner frühen Jugend war es meine Leidenschaft gewesen, bei Bücherauctionen zugegen zu sein, und wenn es mir auch fast immer unmöglich fiel, jene Werke, die ich liebte, zu erstehen, so hatte ich doch meine Freude daran, sie ausgeboten zu hören und mir die Möglichkeit zu denken, daß sie in meinen Besitz gelangen könnten. Die Kataloge der Auctionen konnte ich wie meine Lieblingsdichter lesen, und diese Thorheit und Schwärmerei war nur eine von den vielen, an welchen meine Jugend litt; denn ich war weit von dem entfernt, was man einen soliden, verständigen Jüngling nennt, und ich zweifelte in einsamen Stunden oft, ob aus mir je ein sogenannter vernünftiger und brauchbarer Mann werden würde.
Clara lachte laut auf, umarmte ihn dann und küßte ihn heftig. Nein, rief sie, bis jetzt ist davon, dem Himmel sei Dank, noch nichts eingetroffen. Ich
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/46 |
Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/46>, abgerufen am 16.07.2024. |