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Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

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fragte: Könnt Ihr Euch vielleicht erinnern,
ob damals bei diesem Meister Pietro noch
Rafael in der Lehre stand? Rafael Sanzio?

O ja, sagte der Alte, es war ein klei¬
ner unbedeutender Knabe, auf den Niemand
sonderliche Rücksicht nahm. Ich erstaune,
daß Ihr den Namen so eigentlich wißt.

Und ich erstaune über das, was Ihr
mir sagt, rief Sternbald aus. So wißt Ihr
es denn gar nicht, daß dieser Knabe seitdem
der erste von allen Mahlern geworden ist?
daß jedermann ihn im Munde führt, jeder
ihn anbetet? Er ist seit einem Jahre gestor¬
ben, und ganz Europa trauert über seinen
Verlust, wo Menschen wohnen, die die Kunst
kennen, da ist auch er gekannt, noch keiner
hat die Göttlichkeit der Mahlerei so tief er¬
gründet.

Anselm stand eine Weile in sich gekehrt,
dann brach er aus: O, wunderbare Ver¬

I 2

fragte: Könnt Ihr Euch vielleicht erinnern,
ob damals bei dieſem Meiſter Pietro noch
Rafael in der Lehre ſtand? Rafael Sanzio?

O ja, ſagte der Alte, es war ein klei¬
ner unbedeutender Knabe, auf den Niemand
ſonderliche Rückſicht nahm. Ich erſtaune,
daß Ihr den Namen ſo eigentlich wißt.

Und ich erſtaune über das, was Ihr
mir ſagt, rief Sternbald aus. So wißt Ihr
es denn gar nicht, daß dieſer Knabe ſeitdem
der erſte von allen Mahlern geworden iſt?
daß jedermann ihn im Munde führt, jeder
ihn anbetet? Er iſt ſeit einem Jahre geſtor¬
ben, und ganz Europa trauert über ſeinen
Verluſt, wo Menſchen wohnen, die die Kunſt
kennen, da iſt auch er gekannt, noch keiner
hat die Göttlichkeit der Mahlerei ſo tief er¬
gründet.

Anſelm ſtand eine Weile in ſich gekehrt,
dann brach er aus: O, wunderbare Ver¬

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[131/0139] fragte: Könnt Ihr Euch vielleicht erinnern, ob damals bei dieſem Meiſter Pietro noch Rafael in der Lehre ſtand? Rafael Sanzio? O ja, ſagte der Alte, es war ein klei¬ ner unbedeutender Knabe, auf den Niemand ſonderliche Rückſicht nahm. Ich erſtaune, daß Ihr den Namen ſo eigentlich wißt. Und ich erſtaune über das, was Ihr mir ſagt, rief Sternbald aus. So wißt Ihr es denn gar nicht, daß dieſer Knabe ſeitdem der erſte von allen Mahlern geworden iſt? daß jedermann ihn im Munde führt, jeder ihn anbetet? Er iſt ſeit einem Jahre geſtor¬ ben, und ganz Europa trauert über ſeinen Verluſt, wo Menſchen wohnen, die die Kunſt kennen, da iſt auch er gekannt, noch keiner hat die Göttlichkeit der Mahlerei ſo tief er¬ gründet. Anſelm ſtand eine Weile in ſich gekehrt, dann brach er aus: O, wunderbare Ver¬ I 2

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/139>, abgerufen am 23.11.2024.