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Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

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schilderte die Lebensart der ganzen Familie
und die Eigenheiten eines jeden Charakters
bis auf den kleinsten Umstand, sie ging so
weit, daß sie Stellungen und Mienen nach¬
ahmte, wodurch denn Franz zuweilen im
Mahlen aufgehalten wurde, ja sie unterließ
nicht, die Arbeit nach ihrer Laune zu unter¬
brechen, um mit ihm durch den Garten zu
spazieren. Oft verlor sie sich dann so plötz¬
lich in ein trübseliges Nachsinnen, in weh¬
müthige Klagen, daß Franz mit vieler An¬
strengung das Amt eines tröstenden Freun¬
des bei ihr übernehmen mußte.

Als Sternbald ihren Kopf fast vollendet
hatte, und er nun an die Abschilderung des
Ritters ging, war ihre Lebhaftigkeit noch
mehr erhöht. Ihr müßt wissen, lieber
Freund, sagte sie, daß jenes Bild von ei¬
nem wahren Stümper in der edlen Kunst
herrührt, der es noch gar nicht einmal ver¬

(2r Th.) G

ſchilderte die Lebensart der ganzen Familie
und die Eigenheiten eines jeden Charakters
bis auf den kleinſten Umſtand, ſie ging ſo
weit, daß ſie Stellungen und Mienen nach¬
ahmte, wodurch denn Franz zuweilen im
Mahlen aufgehalten wurde, ja ſie unterließ
nicht, die Arbeit nach ihrer Laune zu unter¬
brechen, um mit ihm durch den Garten zu
ſpazieren. Oft verlor ſie ſich dann ſo plötz¬
lich in ein trübſeliges Nachſinnen, in weh¬
müthige Klagen, daß Franz mit vieler An¬
ſtrengung das Amt eines tröſtenden Freun¬
des bei ihr übernehmen mußte.

Als Sternbald ihren Kopf faſt vollendet
hatte, und er nun an die Abſchilderung des
Ritters ging, war ihre Lebhaftigkeit noch
mehr erhöht. Ihr müßt wiſſen, lieber
Freund, ſagte ſie, daß jenes Bild von ei¬
nem wahren Stümper in der edlen Kunſt
herrührt, der es noch gar nicht einmal ver¬

(2r Th.) G
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[97/0105] ſchilderte die Lebensart der ganzen Familie und die Eigenheiten eines jeden Charakters bis auf den kleinſten Umſtand, ſie ging ſo weit, daß ſie Stellungen und Mienen nach¬ ahmte, wodurch denn Franz zuweilen im Mahlen aufgehalten wurde, ja ſie unterließ nicht, die Arbeit nach ihrer Laune zu unter¬ brechen, um mit ihm durch den Garten zu ſpazieren. Oft verlor ſie ſich dann ſo plötz¬ lich in ein trübſeliges Nachſinnen, in weh¬ müthige Klagen, daß Franz mit vieler An¬ ſtrengung das Amt eines tröſtenden Freun¬ des bei ihr übernehmen mußte. Als Sternbald ihren Kopf faſt vollendet hatte, und er nun an die Abſchilderung des Ritters ging, war ihre Lebhaftigkeit noch mehr erhöht. Ihr müßt wiſſen, lieber Freund, ſagte ſie, daß jenes Bild von ei¬ nem wahren Stümper in der edlen Kunſt herrührt, der es noch gar nicht einmal ver¬ (2r Th.) G

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/105>, abgerufen am 23.11.2024.