Die Leiche des Alten lag in der Kammer auf Stroh ausgebreitet, und Franz stand sinnend vor der Thür. Die Nachbarn tra¬ ten herzu und trösteten ihn; Brigitte weinte von neuem, so oft darüber gesprochen wur¬ de, sein Herz war zu, seine Augen waren wie vertrocknet, tausend neue Bilder zogen durch seine Sinne, er konnte sich selber nicht verstehn, er hätte gern mit Jemand sprechen mögen, er wünschte Sebastian herbei, um ihm alles klagen zu können.
Am dritten Tage war das Begräbniß, und Brigitte weinte und klagte laut am Grabe als sie nun den mit Erde zudeckten, den sie seit zwanzig Jahren so genau ge¬ kannt hatte, den sie fast einzig liebte. Sie wünschte auch bald zu sterben, um wie¬ der in seiner Gesellschaft zu seyn, um mit
Sechtes Kapitel.
Die Leiche des Alten lag in der Kammer auf Stroh ausgebreitet, und Franz ſtand ſinnend vor der Thür. Die Nachbarn tra¬ ten herzu und tröſteten ihn; Brigitte weinte von neuem, ſo oft darüber geſprochen wur¬ de, ſein Herz war zu, ſeine Augen waren wie vertrocknet, tauſend neue Bilder zogen durch ſeine Sinne, er konnte ſich ſelber nicht verſtehn, er hätte gern mit Jemand ſprechen mögen, er wünſchte Sebaſtian herbei, um ihm alles klagen zu können.
Am dritten Tage war das Begräbniß, und Brigitte weinte und klagte laut am Grabe als ſie nun den mit Erde zudeckten, den ſie ſeit zwanzig Jahren ſo genau ge¬ kannt hatte, den ſie faſt einzig liebte. Sie wünſchte auch bald zu ſterben, um wie¬ der in ſeiner Geſellſchaft zu ſeyn, um mit
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0098"n="87"/></div><divn="3"><head><hirendition="#g">Sechtes Kapitel.</hi><lb/></head><p><hirendition="#in">D</hi>ie Leiche des Alten lag in der Kammer<lb/>
auf Stroh ausgebreitet, und Franz ſtand<lb/>ſinnend vor der Thür. Die Nachbarn tra¬<lb/>
ten herzu und tröſteten ihn; Brigitte weinte<lb/>
von neuem, ſo oft darüber geſprochen wur¬<lb/>
de, ſein Herz war zu, ſeine Augen waren<lb/>
wie vertrocknet, tauſend neue Bilder zogen<lb/>
durch ſeine Sinne, er konnte ſich ſelber nicht<lb/>
verſtehn, er hätte gern mit Jemand ſprechen<lb/>
mögen, er wünſchte Sebaſtian herbei, um<lb/>
ihm alles klagen zu können.</p><lb/><p>Am dritten Tage war das Begräbniß,<lb/>
und Brigitte weinte und klagte laut am<lb/>
Grabe als ſie nun den mit Erde zudeckten,<lb/>
den ſie ſeit zwanzig Jahren ſo genau ge¬<lb/>
kannt hatte, den ſie faſt einzig liebte. Sie<lb/>
wünſchte auch bald zu ſterben, um wie¬<lb/>
der in ſeiner Geſellſchaft zu ſeyn, um mit<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[87/0098]
Sechtes Kapitel.
Die Leiche des Alten lag in der Kammer
auf Stroh ausgebreitet, und Franz ſtand
ſinnend vor der Thür. Die Nachbarn tra¬
ten herzu und tröſteten ihn; Brigitte weinte
von neuem, ſo oft darüber geſprochen wur¬
de, ſein Herz war zu, ſeine Augen waren
wie vertrocknet, tauſend neue Bilder zogen
durch ſeine Sinne, er konnte ſich ſelber nicht
verſtehn, er hätte gern mit Jemand ſprechen
mögen, er wünſchte Sebaſtian herbei, um
ihm alles klagen zu können.
Am dritten Tage war das Begräbniß,
und Brigitte weinte und klagte laut am
Grabe als ſie nun den mit Erde zudeckten,
den ſie ſeit zwanzig Jahren ſo genau ge¬
kannt hatte, den ſie faſt einzig liebte. Sie
wünſchte auch bald zu ſterben, um wie¬
der in ſeiner Geſellſchaft zu ſeyn, um mit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/98>, abgerufen am 16.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.