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Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798.

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züglich scheint ordentlich dazu erfunden, die
bessern Kräfte im Menschen zu erlahmen,
und nach und nach abzutödten. Ihre gau¬
kelnde Nachäffung, diese armselige Nachah¬
mung der Wirklichkeit, worauf doch alles
hinausläuft, zieht den Menschen von allen
ernsten Betrachtungen ab, und verleitet ihn,
seine angeborne Würde zu vergessen. Wenn
unser innrer Geist uns zur Tugend antreibt,
so lehren uns die mannichfaltigen Künstler
sie zu verspotten; wenn die Erhabenheit
mich in ihrer göttlichen Sprache anredet, so
unterlassen es die Reimer oder Poeten nicht,
sie mit Nichtswürdigkeiten zu überschreien.
Und daß ich namentlich von der gepriesenen
Mahlerey rede -- Ich habe den Mahler, der
mir Figuren, oder Bäume und Thiere auf
flacher Leinwand hinzeichnet, nie höher an¬
geschlagen, als den Menschen, der mit sei¬
nem Munde Vögel- und Thiergeschrei nach¬

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züglich ſcheint ordentlich dazu erfunden, die
beſſern Kräfte im Menſchen zu erlahmen,
und nach und nach abzutödten. Ihre gau¬
kelnde Nachäffung, dieſe armſelige Nachah¬
mung der Wirklichkeit, worauf doch alles
hinausläuft, zieht den Menſchen von allen
ernſten Betrachtungen ab, und verleitet ihn,
ſeine angeborne Würde zu vergeſſen. Wenn
unſer innrer Geiſt uns zur Tugend antreibt,
ſo lehren uns die mannichfaltigen Künſtler
ſie zu verſpotten; wenn die Erhabenheit
mich in ihrer göttlichen Sprache anredet, ſo
unterlaſſen es die Reimer oder Poeten nicht,
ſie mit Nichtswürdigkeiten zu überſchreien.
Und daß ich namentlich von der geprieſenen
Mahlerey rede — Ich habe den Mahler, der
mir Figuren, oder Bäume und Thiere auf
flacher Leinwand hinzeichnet, nie höher an¬
geſchlagen, als den Menſchen, der mit ſei¬
nem Munde Vögel- und Thiergeſchrei nach¬

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[339/0350] züglich ſcheint ordentlich dazu erfunden, die beſſern Kräfte im Menſchen zu erlahmen, und nach und nach abzutödten. Ihre gau¬ kelnde Nachäffung, dieſe armſelige Nachah¬ mung der Wirklichkeit, worauf doch alles hinausläuft, zieht den Menſchen von allen ernſten Betrachtungen ab, und verleitet ihn, ſeine angeborne Würde zu vergeſſen. Wenn unſer innrer Geiſt uns zur Tugend antreibt, ſo lehren uns die mannichfaltigen Künſtler ſie zu verſpotten; wenn die Erhabenheit mich in ihrer göttlichen Sprache anredet, ſo unterlaſſen es die Reimer oder Poeten nicht, ſie mit Nichtswürdigkeiten zu überſchreien. Und daß ich namentlich von der geprieſenen Mahlerey rede — Ich habe den Mahler, der mir Figuren, oder Bäume und Thiere auf flacher Leinwand hinzeichnet, nie höher an¬ geſchlagen, als den Menſchen, der mit ſei¬ nem Munde Vögel- und Thiergeſchrei nach¬ Y 2

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/350>, abgerufen am 22.11.2024.