daß es mir doch auch einmahl so ging. Ohne etwas davon zu verstehn, und ohne die Anlagen von der Natur zu haben, fiel ich einmahl darauf ein Poet zu seyn. Ich dachte in meinem einfältigen Sinne, Verse müsse ja wohl jedermann machen können, und ich wunderte mich über mich selber, daß ich nicht schon weit früher auf die Dichtkunst verfallen sey. Ich machte also ein zierlich großes Kupferblatt, und stach mühsam rund herum meine Verse mit zierlichen Buchsta¬ ben ein: es sollte ein moralisches Gedicht vorstellen, und ich unterstund mich, der gan¬ zen Welt darinn gute Lehren zu geben. Wie nun aber alles fertig war, siehe da, so war es erbärmlich gerathen. Was ich da für Leiden von dem gelehrten Pirkheimer habe ausstehn müssen, der mir lange nicht meine Verwegenheit vergeben konnte! Er sagte immer zu mir: Schuster bleib bei
O
daß es mir doch auch einmahl ſo ging. Ohne etwas davon zu verſtehn, und ohne die Anlagen von der Natur zu haben, fiel ich einmahl darauf ein Poet zu ſeyn. Ich dachte in meinem einfältigen Sinne, Verſe müſſe ja wohl jedermann machen können, und ich wunderte mich über mich ſelber, daß ich nicht ſchon weit früher auf die Dichtkunſt verfallen ſey. Ich machte alſo ein zierlich großes Kupferblatt, und ſtach mühſam rund herum meine Verſe mit zierlichen Buchſta¬ ben ein: es ſollte ein moraliſches Gedicht vorſtellen, und ich unterſtund mich, der gan¬ zen Welt darinn gute Lehren zu geben. Wie nun aber alles fertig war, ſiehe da, ſo war es erbärmlich gerathen. Was ich da für Leiden von dem gelehrten Pirkheimer habe ausſtehn müſſen, der mir lange nicht meine Verwegenheit vergeben konnte! Er ſagte immer zu mir: Schuſter bleib bei
O
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0220"n="209"/>
daß es mir doch auch einmahl ſo ging.<lb/>
Ohne etwas davon zu verſtehn, und ohne<lb/>
die Anlagen von der Natur zu haben, fiel<lb/>
ich einmahl darauf ein Poet zu ſeyn. Ich<lb/>
dachte in meinem einfältigen Sinne, Verſe<lb/>
müſſe ja wohl jedermann machen können,<lb/>
und ich wunderte mich über mich ſelber, daß<lb/>
ich nicht ſchon weit früher auf die Dichtkunſt<lb/>
verfallen ſey. Ich machte alſo ein zierlich<lb/>
großes Kupferblatt, und ſtach mühſam rund<lb/>
herum meine Verſe mit zierlichen Buchſta¬<lb/>
ben ein: es ſollte ein moraliſches Gedicht<lb/>
vorſtellen, und ich unterſtund mich, der gan¬<lb/>
zen Welt darinn gute Lehren zu geben.<lb/>
Wie nun aber alles fertig war, ſiehe da, ſo<lb/>
war es erbärmlich gerathen. Was ich da<lb/>
für Leiden von dem gelehrten Pirkheimer<lb/>
habe ausſtehn müſſen, der mir lange nicht<lb/>
meine Verwegenheit vergeben konnte! Er<lb/>ſagte immer zu mir: Schuſter bleib bei<lb/><fwplace="bottom"type="sig">O<lb/></fw></p></div></div></div></body></text></TEI>
[209/0220]
daß es mir doch auch einmahl ſo ging.
Ohne etwas davon zu verſtehn, und ohne
die Anlagen von der Natur zu haben, fiel
ich einmahl darauf ein Poet zu ſeyn. Ich
dachte in meinem einfältigen Sinne, Verſe
müſſe ja wohl jedermann machen können,
und ich wunderte mich über mich ſelber, daß
ich nicht ſchon weit früher auf die Dichtkunſt
verfallen ſey. Ich machte alſo ein zierlich
großes Kupferblatt, und ſtach mühſam rund
herum meine Verſe mit zierlichen Buchſta¬
ben ein: es ſollte ein moraliſches Gedicht
vorſtellen, und ich unterſtund mich, der gan¬
zen Welt darinn gute Lehren zu geben.
Wie nun aber alles fertig war, ſiehe da, ſo
war es erbärmlich gerathen. Was ich da
für Leiden von dem gelehrten Pirkheimer
habe ausſtehn müſſen, der mir lange nicht
meine Verwegenheit vergeben konnte! Er
ſagte immer zu mir: Schuſter bleib bei
O
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/220>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.