Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

nachzueilen, er hatte auch nicht gefragt, wo¬
hin sie sich wenden wollten, er wuste den Na¬
men der Reisenden nicht, und ob das Frauen¬
zimmer die Tochter oder die Gattinn des
Mannes sey. Alles dies beunruhigte ihn erst
jetzt, als er die Brieftasche in seinen Händen
hielt. Er mußte sie behalten, und sie war
ihm theuer, er wagte es nicht sie zu eröff¬
nen, sondern eilte damit seinem geliebten
Walde zu; hier setzte er sich auf dem Pla¬
tze nieder der ihm so theuer war, hier mach¬
te er sie mit zitternden Händen auf, und
das erste was ihm in die Augen fiel, war
ein Gebinde wilder vertrockneter Blumen.
Er blickte um sich her, er besann sich, ob
es Traum seyn könne, er konnte sich nicht
zurückhalten, er küßte die Blumen und
weinte heftig, innerlich ertönte der Gesang
des Waldhorns, den er in der Kindheit ge¬
hört hatte.

nachzueilen, er hatte auch nicht gefragt, wo¬
hin ſie ſich wenden wollten, er wuſte den Na¬
men der Reiſenden nicht, und ob das Frauen¬
zimmer die Tochter oder die Gattinn des
Mannes ſey. Alles dies beunruhigte ihn erſt
jetzt, als er die Brieftaſche in ſeinen Händen
hielt. Er mußte ſie behalten, und ſie war
ihm theuer, er wagte es nicht ſie zu eröff¬
nen, ſondern eilte damit ſeinem geliebten
Walde zu; hier ſetzte er ſich auf dem Pla¬
tze nieder der ihm ſo theuer war, hier mach¬
te er ſie mit zitternden Händen auf, und
das erſte was ihm in die Augen fiel, war
ein Gebinde wilder vertrockneter Blumen.
Er blickte um ſich her, er beſann ſich, ob
es Traum ſeyn könne, er konnte ſich nicht
zurückhalten, er küßte die Blumen und
weinte heftig, innerlich ertönte der Geſang
des Waldhorns, den er in der Kindheit ge¬
hört hatte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0147" n="136"/>
nachzueilen, er hatte auch nicht gefragt, wo¬<lb/>
hin &#x017F;ie &#x017F;ich wenden wollten, er wu&#x017F;te den Na¬<lb/>
men der Rei&#x017F;enden nicht, und ob das Frauen¬<lb/>
zimmer die Tochter oder die Gattinn des<lb/>
Mannes &#x017F;ey. Alles dies beunruhigte ihn er&#x017F;t<lb/>
jetzt, als er die Briefta&#x017F;che in &#x017F;einen Händen<lb/>
hielt. Er mußte &#x017F;ie behalten, und &#x017F;ie war<lb/>
ihm theuer, er wagte es nicht &#x017F;ie zu eröff¬<lb/>
nen, &#x017F;ondern eilte damit &#x017F;einem geliebten<lb/>
Walde zu; hier &#x017F;etzte er &#x017F;ich auf dem Pla¬<lb/>
tze nieder der ihm &#x017F;o theuer war, hier mach¬<lb/>
te er &#x017F;ie mit zitternden Händen auf, und<lb/>
das er&#x017F;te was ihm in die Augen fiel, war<lb/>
ein Gebinde wilder vertrockneter Blumen.<lb/>
Er blickte um &#x017F;ich her, er be&#x017F;ann &#x017F;ich, ob<lb/>
es Traum &#x017F;eyn könne, er konnte &#x017F;ich nicht<lb/>
zurückhalten, er küßte die Blumen und<lb/>
weinte heftig, innerlich ertönte der Ge&#x017F;ang<lb/>
des Waldhorns, den er in der Kindheit ge¬<lb/>
hört hatte.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[136/0147] nachzueilen, er hatte auch nicht gefragt, wo¬ hin ſie ſich wenden wollten, er wuſte den Na¬ men der Reiſenden nicht, und ob das Frauen¬ zimmer die Tochter oder die Gattinn des Mannes ſey. Alles dies beunruhigte ihn erſt jetzt, als er die Brieftaſche in ſeinen Händen hielt. Er mußte ſie behalten, und ſie war ihm theuer, er wagte es nicht ſie zu eröff¬ nen, ſondern eilte damit ſeinem geliebten Walde zu; hier ſetzte er ſich auf dem Pla¬ tze nieder der ihm ſo theuer war, hier mach¬ te er ſie mit zitternden Händen auf, und das erſte was ihm in die Augen fiel, war ein Gebinde wilder vertrockneter Blumen. Er blickte um ſich her, er beſann ſich, ob es Traum ſeyn könne, er konnte ſich nicht zurückhalten, er küßte die Blumen und weinte heftig, innerlich ertönte der Geſang des Waldhorns, den er in der Kindheit ge¬ hört hatte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/147
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/147>, abgerufen am 22.11.2024.