Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.Zweite Abtheilung. Dichters, er hätte den Geist übernehmen sol-len. Viele der Schillerschen Charaktere wa- ren ganz für ihn gedichtet. Wallenstein hat ihn späterhin auch denen bekannt gemacht, die frü- her das Theater nicht wichtig finden wollten: Leicester dagegen wurde durch ihn undeutlich, dieser schwankende Character war seinem starken Naturell nicht angemessen; Fi[s]sko gab er nur stellenweise vortrefflich, vom Ferdinand in Ka- bale den Schluß des zweiten Aktes so, daß die Erinnerung davon nie erlöschen kann: aber der Triumph seiner Größe war wohl, so groß er auch in vielem seyn mochte, der Räuber Moor. Dieses Titanen-artige Geschöpf einer jungen und kühnen Imagination erhielt durch ihn solche furchtbare Wahrheit, edle Ergebenheit, die Wildheit mit so rührender Zartheit gemischt, daß ohne Zweifel der Dichter bei diesem Anblick selbst über seine Schöpfung hätte erstaunen müs- sen. Hier konnte der Künstler alle seine Töne, alle Furie, alle Verzweiflung geltend machen, und entsetzte sich der Zuhörer über dies ungeheu- re Gefühl, das im Ton und Körper dieses Jüng- lings die ganze volle Kraft antraf, so erstarrte er, wenn in der furchtbaren Rede an die Räu- ber nach Erkennung seines Vaters noch gewal- tiger derselbe Mensch raset, ihn aber nun das Gefühl des Ungeheuersten nieder wirft, er die Stimme verliert, schluchzt, in Lachen aus- bricht über seine Schwäche, sich knirschend auf- Zweite Abtheilung. Dichters, er haͤtte den Geiſt uͤbernehmen ſol-len. Viele der Schillerſchen Charaktere wa- ren ganz fuͤr ihn gedichtet. Wallenſtein hat ihn ſpaͤterhin auch denen bekannt gemacht, die fruͤ- her das Theater nicht wichtig finden wollten: Leiceſter dagegen wurde durch ihn undeutlich, dieſer ſchwankende Character war ſeinem ſtarken Naturell nicht angemeſſen; Fi[ſ]sko gab er nur ſtellenweiſe vortrefflich, vom Ferdinand in Ka- bale den Schluß des zweiten Aktes ſo, daß die Erinnerung davon nie erloͤſchen kann: aber der Triumph ſeiner Groͤße war wohl, ſo groß er auch in vielem ſeyn mochte, der Raͤuber Moor. Dieſes Titanen-artige Geſchoͤpf einer jungen und kuͤhnen Imagination erhielt durch ihn ſolche furchtbare Wahrheit, edle Ergebenheit, die Wildheit mit ſo ruͤhrender Zartheit gemiſcht, daß ohne Zweifel der Dichter bei dieſem Anblick ſelbſt uͤber ſeine Schoͤpfung haͤtte erſtaunen muͤſ- ſen. Hier konnte der Kuͤnſtler alle ſeine Toͤne, alle Furie, alle Verzweiflung geltend machen, und entſetzte ſich der Zuhoͤrer uͤber dies ungeheu- re Gefuͤhl, das im Ton und Koͤrper dieſes Juͤng- lings die ganze volle Kraft antraf, ſo erſtarrte er, wenn in der furchtbaren Rede an die Raͤu- ber nach Erkennung ſeines Vaters noch gewal- tiger derſelbe Menſch raſet, ihn aber nun das Gefuͤhl des Ungeheuerſten nieder wirft, er die Stimme verliert, ſchluchzt, in Lachen aus- bricht uͤber ſeine Schwaͤche, ſich knirſchend auf- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0519" n="509"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> Dichters, er haͤtte den Geiſt uͤbernehmen ſol-<lb/> len. Viele der Schillerſchen Charaktere wa-<lb/> ren ganz fuͤr ihn gedichtet. Wallenſtein hat ihn<lb/> ſpaͤterhin auch denen bekannt gemacht, die fruͤ-<lb/> her das Theater nicht wichtig finden wollten:<lb/> Leiceſter dagegen wurde durch ihn undeutlich,<lb/> dieſer ſchwankende Character war ſeinem ſtarken<lb/> Naturell nicht angemeſſen; Fi<supplied>ſ</supplied>sko gab er nur<lb/> ſtellenweiſe vortrefflich, vom Ferdinand in Ka-<lb/> bale den Schluß des zweiten Aktes ſo, daß die<lb/> Erinnerung davon nie erloͤſchen kann: aber der<lb/> Triumph ſeiner Groͤße war wohl, ſo groß er<lb/> auch in vielem ſeyn mochte, der Raͤuber Moor.<lb/> Dieſes Titanen-artige Geſchoͤpf einer jungen<lb/> und kuͤhnen Imagination erhielt durch ihn ſolche<lb/> furchtbare Wahrheit, edle Ergebenheit, die<lb/> Wildheit mit ſo ruͤhrender Zartheit gemiſcht,<lb/> daß ohne Zweifel der Dichter bei dieſem Anblick<lb/> ſelbſt uͤber ſeine Schoͤpfung haͤtte erſtaunen muͤſ-<lb/> ſen. Hier konnte der Kuͤnſtler alle ſeine Toͤne,<lb/> alle Furie, alle Verzweiflung geltend machen,<lb/> und entſetzte ſich der Zuhoͤrer uͤber dies ungeheu-<lb/> re Gefuͤhl, das im Ton und Koͤrper dieſes Juͤng-<lb/> lings die ganze volle Kraft antraf, ſo erſtarrte<lb/> er, wenn in der furchtbaren Rede an die Raͤu-<lb/> ber nach Erkennung ſeines Vaters noch gewal-<lb/> tiger derſelbe Menſch raſet, ihn aber nun das<lb/> Gefuͤhl des Ungeheuerſten nieder wirft, er die<lb/> Stimme verliert, ſchluchzt, in Lachen aus-<lb/> bricht uͤber ſeine Schwaͤche, ſich knirſchend auf-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [509/0519]
Zweite Abtheilung.
Dichters, er haͤtte den Geiſt uͤbernehmen ſol-
len. Viele der Schillerſchen Charaktere wa-
ren ganz fuͤr ihn gedichtet. Wallenſtein hat ihn
ſpaͤterhin auch denen bekannt gemacht, die fruͤ-
her das Theater nicht wichtig finden wollten:
Leiceſter dagegen wurde durch ihn undeutlich,
dieſer ſchwankende Character war ſeinem ſtarken
Naturell nicht angemeſſen; Fiſsko gab er nur
ſtellenweiſe vortrefflich, vom Ferdinand in Ka-
bale den Schluß des zweiten Aktes ſo, daß die
Erinnerung davon nie erloͤſchen kann: aber der
Triumph ſeiner Groͤße war wohl, ſo groß er
auch in vielem ſeyn mochte, der Raͤuber Moor.
Dieſes Titanen-artige Geſchoͤpf einer jungen
und kuͤhnen Imagination erhielt durch ihn ſolche
furchtbare Wahrheit, edle Ergebenheit, die
Wildheit mit ſo ruͤhrender Zartheit gemiſcht,
daß ohne Zweifel der Dichter bei dieſem Anblick
ſelbſt uͤber ſeine Schoͤpfung haͤtte erſtaunen muͤſ-
ſen. Hier konnte der Kuͤnſtler alle ſeine Toͤne,
alle Furie, alle Verzweiflung geltend machen,
und entſetzte ſich der Zuhoͤrer uͤber dies ungeheu-
re Gefuͤhl, das im Ton und Koͤrper dieſes Juͤng-
lings die ganze volle Kraft antraf, ſo erſtarrte
er, wenn in der furchtbaren Rede an die Raͤu-
ber nach Erkennung ſeines Vaters noch gewal-
tiger derſelbe Menſch raſet, ihn aber nun das
Gefuͤhl des Ungeheuerſten nieder wirft, er die
Stimme verliert, ſchluchzt, in Lachen aus-
bricht uͤber ſeine Schwaͤche, ſich knirſchend auf-
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