Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.Zweite Abtheilung. nicht anders wohin verlaufen. Wenn aber einTheater alles leisten will, so kann es kaum mehr in irgend einer Art vortrefflich seyn. Schon ziemlich früh entstand nun auch die Liebhaberei an den sogenannten natürlichen Stücken, die gewissermaßen alle Kunst und alles Spiel ent- behrlich machten, denn je mehr der Darsteller von jener Linie herunter trat, die ihn von sei- nen Zuschauern trennen soll, um so willkom- mener war er und so entschiedener sein Beifall. Sollen nun einmal wieder ältere Charakter- stücke, oder tragische Rollen gegeben werden, so ist es nicht befremdend, wenn die entwöhn- ten Spieler ihnen dieselbe unbefangene Natür- lichkeit beizubringen wissen, da sie überdies in dieser Manier auch gefallen. In den neueren Zeiten hat man wieder das Wunderbare und Große auf die Bühne bringen wollen, dieses aber ist für die darstellende Kunst gewisserma- ßen noch gefährlicher geworden, weil diese Her- vorbringungen sich ebenfalls durch ihre Situa- tionen, Theaterkoups und Effecte von selber spielen, und dadurch des Beifalls gewiß sind, daß sie jeder Weichlichkeit, Verwöhnung und Albernheit der Menge schmeicheln. Unsre Vor- fahren wurden von jenen alten Tragödien in Alexandrinern durch die Kunst und Deklama- tion ihrer Schauspieler hingerissen, von denen die unsrigen auch nicht einen Akt dem Publi- kum erträglich machen könnten: aber den Schutz- Zweite Abtheilung. nicht anders wohin verlaufen. Wenn aber einTheater alles leiſten will, ſo kann es kaum mehr in irgend einer Art vortrefflich ſeyn. Schon ziemlich fruͤh entſtand nun auch die Liebhaberei an den ſogenannten natuͤrlichen Stuͤcken, die gewiſſermaßen alle Kunſt und alles Spiel ent- behrlich machten, denn je mehr der Darſteller von jener Linie herunter trat, die ihn von ſei- nen Zuſchauern trennen ſoll, um ſo willkom- mener war er und ſo entſchiedener ſein Beifall. Sollen nun einmal wieder aͤltere Charakter- ſtuͤcke, oder tragiſche Rollen gegeben werden, ſo iſt es nicht befremdend, wenn die entwoͤhn- ten Spieler ihnen dieſelbe unbefangene Natuͤr- lichkeit beizubringen wiſſen, da ſie uͤberdies in dieſer Manier auch gefallen. In den neueren Zeiten hat man wieder das Wunderbare und Große auf die Buͤhne bringen wollen, dieſes aber iſt fuͤr die darſtellende Kunſt gewiſſerma- ßen noch gefaͤhrlicher geworden, weil dieſe Her- vorbringungen ſich ebenfalls durch ihre Situa- tionen, Theaterkoups und Effecte von ſelber ſpielen, und dadurch des Beifalls gewiß ſind, daß ſie jeder Weichlichkeit, Verwoͤhnung und Albernheit der Menge ſchmeicheln. Unſre Vor- fahren wurden von jenen alten Tragoͤdien in Alexandrinern durch die Kunſt und Deklama- tion ihrer Schauſpieler hingeriſſen, von denen die unſrigen auch nicht einen Akt dem Publi- kum ertraͤglich machen koͤnnten: aber den Schutz- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0510" n="500"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> nicht anders wohin verlaufen. Wenn aber ein<lb/> Theater alles leiſten will, ſo kann es kaum<lb/> mehr in irgend einer Art vortrefflich ſeyn. Schon<lb/> ziemlich fruͤh entſtand nun auch die Liebhaberei<lb/> an den ſogenannten natuͤrlichen Stuͤcken, die<lb/> gewiſſermaßen alle Kunſt und alles Spiel ent-<lb/> behrlich machten, denn je mehr der Darſteller<lb/> von jener Linie herunter trat, die ihn von ſei-<lb/> nen Zuſchauern trennen ſoll, um ſo willkom-<lb/> mener war er und ſo entſchiedener ſein Beifall.<lb/> Sollen nun einmal wieder aͤltere Charakter-<lb/> ſtuͤcke, oder tragiſche Rollen gegeben werden,<lb/> ſo iſt es nicht befremdend, wenn die entwoͤhn-<lb/> ten Spieler ihnen dieſelbe unbefangene Natuͤr-<lb/> lichkeit beizubringen wiſſen, da ſie uͤberdies in<lb/> dieſer Manier auch gefallen. In den neueren<lb/> Zeiten hat man wieder das Wunderbare und<lb/> Große auf die Buͤhne bringen wollen, dieſes<lb/> aber iſt fuͤr die darſtellende Kunſt gewiſſerma-<lb/> ßen noch gefaͤhrlicher geworden, weil dieſe Her-<lb/> vorbringungen ſich ebenfalls durch ihre Situa-<lb/> tionen, Theaterkoups und Effecte von ſelber<lb/> ſpielen, und dadurch des Beifalls gewiß ſind,<lb/> daß ſie jeder Weichlichkeit, Verwoͤhnung und<lb/> Albernheit der Menge ſchmeicheln. Unſre Vor-<lb/> fahren wurden von jenen alten Tragoͤdien in<lb/> Alexandrinern durch die Kunſt und Deklama-<lb/> tion ihrer Schauſpieler hingeriſſen, von denen<lb/> die unſrigen auch nicht einen Akt dem Publi-<lb/> kum ertraͤglich machen koͤnnten: aber den Schutz-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [500/0510]
Zweite Abtheilung.
nicht anders wohin verlaufen. Wenn aber ein
Theater alles leiſten will, ſo kann es kaum
mehr in irgend einer Art vortrefflich ſeyn. Schon
ziemlich fruͤh entſtand nun auch die Liebhaberei
an den ſogenannten natuͤrlichen Stuͤcken, die
gewiſſermaßen alle Kunſt und alles Spiel ent-
behrlich machten, denn je mehr der Darſteller
von jener Linie herunter trat, die ihn von ſei-
nen Zuſchauern trennen ſoll, um ſo willkom-
mener war er und ſo entſchiedener ſein Beifall.
Sollen nun einmal wieder aͤltere Charakter-
ſtuͤcke, oder tragiſche Rollen gegeben werden,
ſo iſt es nicht befremdend, wenn die entwoͤhn-
ten Spieler ihnen dieſelbe unbefangene Natuͤr-
lichkeit beizubringen wiſſen, da ſie uͤberdies in
dieſer Manier auch gefallen. In den neueren
Zeiten hat man wieder das Wunderbare und
Große auf die Buͤhne bringen wollen, dieſes
aber iſt fuͤr die darſtellende Kunſt gewiſſerma-
ßen noch gefaͤhrlicher geworden, weil dieſe Her-
vorbringungen ſich ebenfalls durch ihre Situa-
tionen, Theaterkoups und Effecte von ſelber
ſpielen, und dadurch des Beifalls gewiß ſind,
daß ſie jeder Weichlichkeit, Verwoͤhnung und
Albernheit der Menge ſchmeicheln. Unſre Vor-
fahren wurden von jenen alten Tragoͤdien in
Alexandrinern durch die Kunſt und Deklama-
tion ihrer Schauſpieler hingeriſſen, von denen
die unſrigen auch nicht einen Akt dem Publi-
kum ertraͤglich machen koͤnnten: aber den Schutz-
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