Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.Zweite Abtheilung. schest, daß Du eine Regel brechen willst, diewir alle übernommen haben, um mit einem ge- wissen nöthigen Ernst und mit Ordnung unser Spiel zu treiben, die zu allen ernsten und leich- ten Dingen nothwendig sind, wenn das Leben nicht zu einem leeren Gespenst verflattern soll. Dann mißfällt mir auch höchlich Dein Miß- fallen am eigenen Scherz; dulde es doch nicht in Dir, daß sich Deinen edlen und stolzen Em- pfindungen auch etwas verwerflich Vornehmes beimische, das auf Heiterkeit und Lust verach- tend hinab sehn will. Ist denn nicht die Frucht der Liebe bitter und süß der Geschmack? Du kannst Dich ja doch eben so wenig Deinem übri- gen gewöhnlichen Leben entziehn, und sollst es auch nicht, weil das Höchste in uns selbst sein Gegengewicht im Irdischen sucht, um nicht in leeren Schein hinauf zu schwindeln. Quält Dich aber die Vorlesung so übermäßig: nun, so magst Du denken, daß die poetische Nemesis Dich er- eilt hat, denn in manchen Augenblicken möchtest Du Dich doch vielleicht an denselben Empfindun- gen versündigt haben, die Du jetzt einzig näh- ren und nur in ihnen athmen und leben willst. Und, mit einem Wort, um alles zu sagen: Du mußt! Du magst Recht haben, sagte Friedrich la- chend, ich will Dir Folge leisten und diese Stun- den als eine Buße ansehn. Wäre nur das leere so ernsthafte Gesicht des guten Walther nicht Zweite Abtheilung. ſcheſt, daß Du eine Regel brechen willſt, diewir alle uͤbernommen haben, um mit einem ge- wiſſen noͤthigen Ernſt und mit Ordnung unſer Spiel zu treiben, die zu allen ernſten und leich- ten Dingen nothwendig ſind, wenn das Leben nicht zu einem leeren Geſpenſt verflattern ſoll. Dann mißfaͤllt mir auch hoͤchlich Dein Miß- fallen am eigenen Scherz; dulde es doch nicht in Dir, daß ſich Deinen edlen und ſtolzen Em- pfindungen auch etwas verwerflich Vornehmes beimiſche, das auf Heiterkeit und Luſt verach- tend hinab ſehn will. Iſt denn nicht die Frucht der Liebe bitter und ſuͤß der Geſchmack? Du kannſt Dich ja doch eben ſo wenig Deinem uͤbri- gen gewoͤhnlichen Leben entziehn, und ſollſt es auch nicht, weil das Hoͤchſte in uns ſelbſt ſein Gegengewicht im Irdiſchen ſucht, um nicht in leeren Schein hinauf zu ſchwindeln. Quaͤlt Dich aber die Vorleſung ſo uͤbermaͤßig: nun, ſo magſt Du denken, daß die poetiſche Nemeſis Dich er- eilt hat, denn in manchen Augenblicken moͤchteſt Du Dich doch vielleicht an denſelben Empfindun- gen verſuͤndigt haben, die Du jetzt einzig naͤh- ren und nur in ihnen athmen und leben willſt. Und, mit einem Wort, um alles zu ſagen: Du mußt! Du magſt Recht haben, ſagte Friedrich la- chend, ich will Dir Folge leiſten und dieſe Stun- den als eine Buße anſehn. Waͤre nur das leere ſo ernſthafte Geſicht des guten Walther nicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <sp who="#VAL"> <p><pb facs="#f0257" n="247"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> ſcheſt, daß Du eine Regel brechen willſt, die<lb/> wir alle uͤbernommen haben, um mit einem ge-<lb/> wiſſen noͤthigen Ernſt und mit Ordnung unſer<lb/> Spiel zu treiben, die zu allen ernſten und leich-<lb/> ten Dingen nothwendig ſind, wenn das Leben<lb/> nicht zu einem leeren Geſpenſt verflattern ſoll.<lb/> Dann mißfaͤllt mir auch hoͤchlich Dein Miß-<lb/> fallen am eigenen Scherz; dulde es doch nicht<lb/> in Dir, daß ſich Deinen edlen und ſtolzen Em-<lb/> pfindungen auch etwas verwerflich Vornehmes<lb/> beimiſche, das auf Heiterkeit und Luſt verach-<lb/> tend hinab ſehn will. Iſt denn nicht die Frucht<lb/> der Liebe bitter und ſuͤß der Geſchmack? Du<lb/> kannſt Dich ja doch eben ſo wenig Deinem uͤbri-<lb/> gen gewoͤhnlichen Leben entziehn, und ſollſt es<lb/> auch nicht, weil das Hoͤchſte in uns ſelbſt ſein<lb/> Gegengewicht im Irdiſchen ſucht, um nicht in<lb/> leeren Schein hinauf zu ſchwindeln. Quaͤlt Dich<lb/> aber die Vorleſung ſo uͤbermaͤßig: nun, ſo magſt<lb/> Du denken, daß die poetiſche Nemeſis Dich er-<lb/> eilt hat, denn in manchen Augenblicken moͤchteſt<lb/> Du Dich doch vielleicht an denſelben Empfindun-<lb/> gen verſuͤndigt haben, die Du jetzt einzig naͤh-<lb/> ren und nur in ihnen athmen und leben willſt.<lb/> Und, mit einem Wort, um alles zu ſagen: Du<lb/> mußt!</p><lb/> <p>Du magſt Recht haben, ſagte Friedrich la-<lb/> chend, ich will Dir Folge leiſten und dieſe Stun-<lb/> den als eine Buße anſehn. Waͤre nur das leere<lb/> ſo ernſthafte Geſicht des guten Walther nicht<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [247/0257]
Zweite Abtheilung.
ſcheſt, daß Du eine Regel brechen willſt, die
wir alle uͤbernommen haben, um mit einem ge-
wiſſen noͤthigen Ernſt und mit Ordnung unſer
Spiel zu treiben, die zu allen ernſten und leich-
ten Dingen nothwendig ſind, wenn das Leben
nicht zu einem leeren Geſpenſt verflattern ſoll.
Dann mißfaͤllt mir auch hoͤchlich Dein Miß-
fallen am eigenen Scherz; dulde es doch nicht
in Dir, daß ſich Deinen edlen und ſtolzen Em-
pfindungen auch etwas verwerflich Vornehmes
beimiſche, das auf Heiterkeit und Luſt verach-
tend hinab ſehn will. Iſt denn nicht die Frucht
der Liebe bitter und ſuͤß der Geſchmack? Du
kannſt Dich ja doch eben ſo wenig Deinem uͤbri-
gen gewoͤhnlichen Leben entziehn, und ſollſt es
auch nicht, weil das Hoͤchſte in uns ſelbſt ſein
Gegengewicht im Irdiſchen ſucht, um nicht in
leeren Schein hinauf zu ſchwindeln. Quaͤlt Dich
aber die Vorleſung ſo uͤbermaͤßig: nun, ſo magſt
Du denken, daß die poetiſche Nemeſis Dich er-
eilt hat, denn in manchen Augenblicken moͤchteſt
Du Dich doch vielleicht an denſelben Empfindun-
gen verſuͤndigt haben, die Du jetzt einzig naͤh-
ren und nur in ihnen athmen und leben willſt.
Und, mit einem Wort, um alles zu ſagen: Du
mußt!
Du magſt Recht haben, ſagte Friedrich la-
chend, ich will Dir Folge leiſten und dieſe Stun-
den als eine Buße anſehn. Waͤre nur das leere
ſo ernſthafte Geſicht des guten Walther nicht
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Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/257>, abgerufen am 16.02.2025. |