Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.Zweite Abtheilung. nach dem nahen Städtchen gefahren, um jenesalte Stück zu sehen, welches er ihnen so sehr angepriesen hatte. Nur Friedrich war gedan- kenvoll zurück geblieben, weil er einen Boten von Adelheid erwartete. Die Sonne war schon längst untergegangen, als er noch immer in dem Walde umher wandelte, der über dem Garten- hause sich den Berg hinauf erstreckte. Seine Unruhe litt ihn nicht im Hause. Alles war ihm zu eng, zu einsam und zu still, und doch suchte er den dichtesten Schatten des Waldes auf, um seiner Melankolie und Sehnsucht recht ungestört nachhängen zu können. Plötzlich, als die Fin- sterniß schon die Erde rings bedeckt hatte, fiel es ihm schwer in die Gedanken, daß er jetzt den Boten versäumen, daß der Brief vielleicht in unrechte Hände fallen könne. Er arbeitete sich ängstlich aus den verwachsenen Gebüschen her- vor, und stand auf der Landstraße, indem ein rothes Feuer jenseit des Berges heraufsprühte. Er eilte nach der obersten Höhe, besorgt, es könne wohl gar ein Feuer im Städtchen ausge- kommen, und seine Freunde möchten dort in Noth seyn; freilich wußte er nicht, was er in diesem Falle thun sollte, weil er immer zu ent- fernt war, um ihnen beistehn zu können. Als er oben war, sah er zu seiner Freude, wie sehr er sich übereilt und getäuscht habe, denn die ro- the Scheibe des Mondes stand ihm groß und leuchtend gegenüber, noch auf den niedern Hü- Zweite Abtheilung. nach dem nahen Staͤdtchen gefahren, um jenesalte Stuͤck zu ſehen, welches er ihnen ſo ſehr angeprieſen hatte. Nur Friedrich war gedan- kenvoll zuruͤck geblieben, weil er einen Boten von Adelheid erwartete. Die Sonne war ſchon laͤngſt untergegangen, als er noch immer in dem Walde umher wandelte, der uͤber dem Garten- hauſe ſich den Berg hinauf erſtreckte. Seine Unruhe litt ihn nicht im Hauſe. Alles war ihm zu eng, zu einſam und zu ſtill, und doch ſuchte er den dichteſten Schatten des Waldes auf, um ſeiner Melankolie und Sehnſucht recht ungeſtoͤrt nachhaͤngen zu koͤnnen. Ploͤtzlich, als die Fin- ſterniß ſchon die Erde rings bedeckt hatte, fiel es ihm ſchwer in die Gedanken, daß er jetzt den Boten verſaͤumen, daß der Brief vielleicht in unrechte Haͤnde fallen koͤnne. Er arbeitete ſich aͤngſtlich aus den verwachſenen Gebuͤſchen her- vor, und ſtand auf der Landſtraße, indem ein rothes Feuer jenſeit des Berges heraufſpruͤhte. Er eilte nach der oberſten Hoͤhe, beſorgt, es koͤnne wohl gar ein Feuer im Staͤdtchen ausge- kommen, und ſeine Freunde moͤchten dort in Noth ſeyn; freilich wußte er nicht, was er in dieſem Falle thun ſollte, weil er immer zu ent- fernt war, um ihnen beiſtehn zu koͤnnen. Als er oben war, ſah er zu ſeiner Freude, wie ſehr er ſich uͤbereilt und getaͤuſcht habe, denn die ro- the Scheibe des Mondes ſtand ihm groß und leuchtend gegenuͤber, noch auf den niedern Huͤ- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <sp who="#VAL"> <p><pb facs="#f0242" n="232"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> nach dem nahen Staͤdtchen gefahren, um jenes<lb/> alte Stuͤck zu ſehen, welches er ihnen ſo ſehr<lb/> angeprieſen hatte. Nur Friedrich war gedan-<lb/> kenvoll zuruͤck geblieben, weil er einen Boten<lb/> von Adelheid erwartete. Die Sonne war ſchon<lb/> laͤngſt untergegangen, als er noch immer in dem<lb/> Walde umher wandelte, der uͤber dem Garten-<lb/> hauſe ſich den Berg hinauf erſtreckte. Seine<lb/> Unruhe litt ihn nicht im Hauſe. Alles war ihm<lb/> zu eng, zu einſam und zu ſtill, und doch ſuchte<lb/> er den dichteſten Schatten des Waldes auf, um<lb/> ſeiner Melankolie und Sehnſucht recht ungeſtoͤrt<lb/> nachhaͤngen zu koͤnnen. Ploͤtzlich, als die Fin-<lb/> ſterniß ſchon die Erde rings bedeckt hatte, fiel<lb/> es ihm ſchwer in die Gedanken, daß er jetzt den<lb/> Boten verſaͤumen, daß der Brief vielleicht in<lb/> unrechte Haͤnde fallen koͤnne. Er arbeitete ſich<lb/> aͤngſtlich aus den verwachſenen Gebuͤſchen her-<lb/> vor, und ſtand auf der Landſtraße, indem ein<lb/> rothes Feuer jenſeit des Berges heraufſpruͤhte.<lb/> Er eilte nach der oberſten Hoͤhe, beſorgt, es<lb/> koͤnne wohl gar ein Feuer im Staͤdtchen ausge-<lb/> kommen, und ſeine Freunde moͤchten dort in<lb/> Noth ſeyn; freilich wußte er nicht, was er in<lb/> dieſem Falle thun ſollte, weil er immer zu ent-<lb/> fernt war, um ihnen beiſtehn zu koͤnnen. Als<lb/> er oben war, ſah er zu ſeiner Freude, wie ſehr<lb/> er ſich uͤbereilt und getaͤuſcht habe, denn die ro-<lb/> the Scheibe des Mondes ſtand ihm groß und<lb/> leuchtend gegenuͤber, noch auf den niedern Huͤ-<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [232/0242]
Zweite Abtheilung.
nach dem nahen Staͤdtchen gefahren, um jenes
alte Stuͤck zu ſehen, welches er ihnen ſo ſehr
angeprieſen hatte. Nur Friedrich war gedan-
kenvoll zuruͤck geblieben, weil er einen Boten
von Adelheid erwartete. Die Sonne war ſchon
laͤngſt untergegangen, als er noch immer in dem
Walde umher wandelte, der uͤber dem Garten-
hauſe ſich den Berg hinauf erſtreckte. Seine
Unruhe litt ihn nicht im Hauſe. Alles war ihm
zu eng, zu einſam und zu ſtill, und doch ſuchte
er den dichteſten Schatten des Waldes auf, um
ſeiner Melankolie und Sehnſucht recht ungeſtoͤrt
nachhaͤngen zu koͤnnen. Ploͤtzlich, als die Fin-
ſterniß ſchon die Erde rings bedeckt hatte, fiel
es ihm ſchwer in die Gedanken, daß er jetzt den
Boten verſaͤumen, daß der Brief vielleicht in
unrechte Haͤnde fallen koͤnne. Er arbeitete ſich
aͤngſtlich aus den verwachſenen Gebuͤſchen her-
vor, und ſtand auf der Landſtraße, indem ein
rothes Feuer jenſeit des Berges heraufſpruͤhte.
Er eilte nach der oberſten Hoͤhe, beſorgt, es
koͤnne wohl gar ein Feuer im Staͤdtchen ausge-
kommen, und ſeine Freunde moͤchten dort in
Noth ſeyn; freilich wußte er nicht, was er in
dieſem Falle thun ſollte, weil er immer zu ent-
fernt war, um ihnen beiſtehn zu koͤnnen. Als
er oben war, ſah er zu ſeiner Freude, wie ſehr
er ſich uͤbereilt und getaͤuſcht habe, denn die ro-
the Scheibe des Mondes ſtand ihm groß und
leuchtend gegenuͤber, noch auf den niedern Huͤ-
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