Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.Zweite Abtheilung. unsrer Freunde von einer liederlichen und obscö-nen Musik spricht. Jetzt erst kann man recht verstehen, weshalb die griechische Gesetzgebung auch über die Musik wachte, und eine gewisse Gattung verbot, denn eben so wie sie heiligt, er- hebt, stärkt, und alles Edle unsrer Brust erweckt, so kann sie auch wahrhaft sündlich verächtlich und ruchlos werden. Leider gehören wohl manche der beliebtesten und gepriesensten neuern Sachen zu diesen eben bezeichneten. Ich sage Ihnen ganz unbefangen, sagte Clara mit ihrer dreisten Art, daß ich sie hier gar nicht verstehe. Lassen wir es gut seyn, rief Manfred, als er sahe, daß Friedrich über seine ausgesprochene Meinung erröthete; man soll auch eben nicht alles verstehen, du bist zu gut, um jedes Ver- ständniß erringen zu wollen. Vergessen wir aber diese Seite, und gedenken wir einmal der Instrumental-Begleitung in so manchen moder- nen Opern: waren unsre Hiller zu nüchtern, so sind wir jetzt berauscht und toll, und im Grunde doch geistesarm. Wenigstens glaube oder hoffe ich, daß unsre Nachkommen die Barbarei nicht werden begreifen können, mit der wir uns so ge- duldig von einem Ferdinand Cortes des Spon- tini durch ununterbrochenes Lärmen und Ge- wirre haben betäuben lassen. Alle Instrumental-Musik, warf Auguste Zweite Abtheilung. unſrer Freunde von einer liederlichen und obſcoͤ-nen Muſik ſpricht. Jetzt erſt kann man recht verſtehen, weshalb die griechiſche Geſetzgebung auch uͤber die Muſik wachte, und eine gewiſſe Gattung verbot, denn eben ſo wie ſie heiligt, er- hebt, ſtaͤrkt, und alles Edle unſrer Bruſt erweckt, ſo kann ſie auch wahrhaft ſuͤndlich veraͤchtlich und ruchlos werden. Leider gehoͤren wohl manche der beliebteſten und geprieſenſten neuern Sachen zu dieſen eben bezeichneten. Ich ſage Ihnen ganz unbefangen, ſagte Clara mit ihrer dreiſten Art, daß ich ſie hier gar nicht verſtehe. Laſſen wir es gut ſeyn, rief Manfred, als er ſahe, daß Friedrich uͤber ſeine ausgeſprochene Meinung erroͤthete; man ſoll auch eben nicht alles verſtehen, du biſt zu gut, um jedes Ver- ſtaͤndniß erringen zu wollen. Vergeſſen wir aber dieſe Seite, und gedenken wir einmal der Inſtrumental-Begleitung in ſo manchen moder- nen Opern: waren unſre Hiller zu nuͤchtern, ſo ſind wir jetzt berauſcht und toll, und im Grunde doch geiſtesarm. Wenigſtens glaube oder hoffe ich, daß unſre Nachkommen die Barbarei nicht werden begreifen koͤnnen, mit der wir uns ſo ge- duldig von einem Ferdinand Cortes des Spon- tini durch ununterbrochenes Laͤrmen und Ge- wirre haben betaͤuben laſſen. Alle Inſtrumental-Muſik, warf Auguſte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <sp who="#VAL"> <p><pb facs="#f0239" n="229"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> unſrer Freunde von einer liederlichen und obſcoͤ-<lb/> nen Muſik ſpricht. Jetzt erſt kann man recht<lb/> verſtehen, weshalb die griechiſche Geſetzgebung<lb/> auch uͤber die Muſik wachte, und eine gewiſſe<lb/> Gattung verbot, denn eben ſo wie ſie heiligt, er-<lb/> hebt, ſtaͤrkt, und alles Edle unſrer Bruſt erweckt,<lb/> ſo kann ſie auch wahrhaft ſuͤndlich veraͤchtlich<lb/> und ruchlos werden. Leider gehoͤren wohl<lb/> manche der beliebteſten und geprieſenſten neuern<lb/> Sachen zu dieſen eben bezeichneten.</p><lb/> <p>Ich ſage Ihnen ganz unbefangen, ſagte<lb/> Clara mit ihrer dreiſten Art, daß ich ſie hier gar<lb/> nicht verſtehe.</p><lb/> <p>Laſſen wir es gut ſeyn, rief Manfred, als<lb/> er ſahe, daß Friedrich uͤber ſeine ausgeſprochene<lb/> Meinung erroͤthete; man ſoll auch eben nicht<lb/> alles verſtehen, du biſt zu gut, um jedes Ver-<lb/> ſtaͤndniß erringen zu wollen. Vergeſſen wir<lb/> aber dieſe Seite, und gedenken wir einmal der<lb/> Inſtrumental-Begleitung in ſo manchen moder-<lb/> nen Opern: waren unſre Hiller zu nuͤchtern, ſo<lb/> ſind wir jetzt berauſcht und toll, und im Grunde<lb/> doch geiſtesarm. Wenigſtens glaube oder hoffe<lb/> ich, daß unſre Nachkommen die Barbarei nicht<lb/> werden begreifen koͤnnen, mit der wir uns ſo ge-<lb/> duldig von einem Ferdinand Cortes des Spon-<lb/> tini durch ununterbrochenes Laͤrmen und Ge-<lb/> wirre haben betaͤuben laſſen.</p><lb/> <p>Alle Inſtrumental-Muſik, warf Auguſte<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [229/0239]
Zweite Abtheilung.
unſrer Freunde von einer liederlichen und obſcoͤ-
nen Muſik ſpricht. Jetzt erſt kann man recht
verſtehen, weshalb die griechiſche Geſetzgebung
auch uͤber die Muſik wachte, und eine gewiſſe
Gattung verbot, denn eben ſo wie ſie heiligt, er-
hebt, ſtaͤrkt, und alles Edle unſrer Bruſt erweckt,
ſo kann ſie auch wahrhaft ſuͤndlich veraͤchtlich
und ruchlos werden. Leider gehoͤren wohl
manche der beliebteſten und geprieſenſten neuern
Sachen zu dieſen eben bezeichneten.
Ich ſage Ihnen ganz unbefangen, ſagte
Clara mit ihrer dreiſten Art, daß ich ſie hier gar
nicht verſtehe.
Laſſen wir es gut ſeyn, rief Manfred, als
er ſahe, daß Friedrich uͤber ſeine ausgeſprochene
Meinung erroͤthete; man ſoll auch eben nicht
alles verſtehen, du biſt zu gut, um jedes Ver-
ſtaͤndniß erringen zu wollen. Vergeſſen wir
aber dieſe Seite, und gedenken wir einmal der
Inſtrumental-Begleitung in ſo manchen moder-
nen Opern: waren unſre Hiller zu nuͤchtern, ſo
ſind wir jetzt berauſcht und toll, und im Grunde
doch geiſtesarm. Wenigſtens glaube oder hoffe
ich, daß unſre Nachkommen die Barbarei nicht
werden begreifen koͤnnen, mit der wir uns ſo ge-
duldig von einem Ferdinand Cortes des Spon-
tini durch ununterbrochenes Laͤrmen und Ge-
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