Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.

Bild:
<< vorherige Seite
Fortunat.
fällt die Religion auch von Jahr zu Jahr. Der
eigentliche wahre Lamadienst ist in der ganzen kul-
tivirten Welt verbreitet.
Daniel. Wie seyd Ihr, große Seele, mit
den Kenntnissen und Eurem Ahndungsvermögen nur
zum Aufwärter in einem Wirthshause geworden?
Adam. Bei uns in Griechenland sind zu viele
Denker, und darüber bleibt keinem was Rechts zu
denken übrig, tausend theilen sich in die Masse,
und keiner bekömmt deshalb das Maul voll. Will
man mit einer Ansicht heraus rücken, so haben sie
alle Menschen schon gehabt und wieder vergessen,
so wie sie vorgeben. Ich wollte mich erst zum
Denker aufwerfen, ich habe die Welt gesehn, ich
kann gründlich und umfassend sprechen, ich bin nicht
ohne Gaben, aber mein Beifall verlor sich bald,
und da ich außer meiner geistigen Kraft eine große
Inklinazion zum Trinken habe, so dachte ich mich
an die Quelle zu begeben, und bin darum in die-
sem Wirthshaus als Küfer in Dienste getreten.
Daniel. Und geht's euch nicht, wie den Lehr-
lingen der Zuckerbäcker, denen man das Naschen
erlaubt, weil sie sehr bald übersättigt werden, und
nachher aus Eckel nichts von den Süßigkeiten mehr
anrühren mögen?
Adam. Nein, Herr Camerad, im Gegentheil,
je länger ich mich unter den Fässern umtreibe, je
mehr ich probire und koste, um so mehr komm'
ich auf den richtigen guten Geschmack. Unter uns,
Freunde, ich saufe oft mehr als die Gäste, beson-
ders wenn dummes Volk ins Haus kommt, das
Fortunat.
faͤllt die Religion auch von Jahr zu Jahr. Der
eigentliche wahre Lamadienſt iſt in der ganzen kul-
tivirten Welt verbreitet.
Daniel. Wie ſeyd Ihr, große Seele, mit
den Kenntniſſen und Eurem Ahndungsvermoͤgen nur
zum Aufwaͤrter in einem Wirthshauſe geworden?
Adam. Bei uns in Griechenland ſind zu viele
Denker, und daruͤber bleibt keinem was Rechts zu
denken uͤbrig, tauſend theilen ſich in die Maſſe,
und keiner bekoͤmmt deshalb das Maul voll. Will
man mit einer Anſicht heraus ruͤcken, ſo haben ſie
alle Menſchen ſchon gehabt und wieder vergeſſen,
ſo wie ſie vorgeben. Ich wollte mich erſt zum
Denker aufwerfen, ich habe die Welt geſehn, ich
kann gruͤndlich und umfaſſend ſprechen, ich bin nicht
ohne Gaben, aber mein Beifall verlor ſich bald,
und da ich außer meiner geiſtigen Kraft eine große
Inklinazion zum Trinken habe, ſo dachte ich mich
an die Quelle zu begeben, und bin darum in die-
ſem Wirthshaus als Kuͤfer in Dienſte getreten.
Daniel. Und geht's euch nicht, wie den Lehr-
lingen der Zuckerbaͤcker, denen man das Naſchen
erlaubt, weil ſie ſehr bald uͤberſaͤttigt werden, und
nachher aus Eckel nichts von den Suͤßigkeiten mehr
anruͤhren moͤgen?
Adam. Nein, Herr Camerad, im Gegentheil,
je laͤnger ich mich unter den Faͤſſern umtreibe, je
mehr ich probire und koſte, um ſo mehr komm'
ich auf den richtigen guten Geſchmack. Unter uns,
Freunde, ich ſaufe oft mehr als die Gaͤſte, beſon-
ders wenn dummes Volk ins Haus kommt, das
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <sp who="#Adam">
                <p><pb facs="#f0175" n="165"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fortunat</hi>.</fw><lb/>
fa&#x0364;llt die Religion auch von Jahr zu Jahr. Der<lb/>
eigentliche wahre Lamadien&#x017F;t i&#x017F;t in der ganzen kul-<lb/>
tivirten Welt verbreitet.</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#Daniel">
                <speaker><hi rendition="#g">Daniel</hi>.</speaker>
                <p>Wie &#x017F;eyd Ihr, große Seele, mit<lb/>
den Kenntni&#x017F;&#x017F;en und Eurem Ahndungsvermo&#x0364;gen nur<lb/>
zum Aufwa&#x0364;rter in einem Wirthshau&#x017F;e geworden?</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#Adam">
                <speaker><hi rendition="#g">Adam</hi>.</speaker>
                <p>Bei uns in Griechenland &#x017F;ind zu viele<lb/>
Denker, und daru&#x0364;ber bleibt keinem was Rechts zu<lb/>
denken u&#x0364;brig, tau&#x017F;end theilen &#x017F;ich in die Ma&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
und keiner beko&#x0364;mmt deshalb das Maul voll. Will<lb/>
man mit einer An&#x017F;icht heraus ru&#x0364;cken, &#x017F;o haben &#x017F;ie<lb/>
alle Men&#x017F;chen &#x017F;chon gehabt und wieder verge&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
&#x017F;o wie &#x017F;ie vorgeben. Ich wollte mich er&#x017F;t zum<lb/>
Denker aufwerfen, ich habe die Welt ge&#x017F;ehn, ich<lb/>
kann gru&#x0364;ndlich und umfa&#x017F;&#x017F;end &#x017F;prechen, ich bin nicht<lb/>
ohne Gaben, aber mein Beifall verlor &#x017F;ich bald,<lb/>
und da ich außer meiner gei&#x017F;tigen Kraft eine große<lb/>
Inklinazion zum Trinken habe, &#x017F;o dachte ich mich<lb/>
an die Quelle zu begeben, und bin darum in die-<lb/>
&#x017F;em Wirthshaus als Ku&#x0364;fer in Dien&#x017F;te getreten.</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#Daniel">
                <speaker><hi rendition="#g">Daniel</hi>.</speaker>
                <p>Und geht's euch nicht, wie den Lehr-<lb/>
lingen der Zuckerba&#x0364;cker, denen man das Na&#x017F;chen<lb/>
erlaubt, weil &#x017F;ie &#x017F;ehr bald u&#x0364;ber&#x017F;a&#x0364;ttigt werden, und<lb/>
nachher aus Eckel nichts von den Su&#x0364;ßigkeiten mehr<lb/>
anru&#x0364;hren mo&#x0364;gen?</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#Adam">
                <speaker><hi rendition="#g">Adam</hi>.</speaker>
                <p>Nein, Herr Camerad, im Gegentheil,<lb/>
je la&#x0364;nger ich mich unter den Fa&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern umtreibe, je<lb/>
mehr ich probire und ko&#x017F;te, um &#x017F;o mehr komm'<lb/>
ich auf den richtigen guten Ge&#x017F;chmack. Unter uns,<lb/>
Freunde, ich &#x017F;aufe oft mehr als die Ga&#x0364;&#x017F;te, be&#x017F;on-<lb/>
ders wenn dummes Volk ins Haus kommt, das<lb/></p>
              </sp>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[165/0175] Fortunat. faͤllt die Religion auch von Jahr zu Jahr. Der eigentliche wahre Lamadienſt iſt in der ganzen kul- tivirten Welt verbreitet. Daniel. Wie ſeyd Ihr, große Seele, mit den Kenntniſſen und Eurem Ahndungsvermoͤgen nur zum Aufwaͤrter in einem Wirthshauſe geworden? Adam. Bei uns in Griechenland ſind zu viele Denker, und daruͤber bleibt keinem was Rechts zu denken uͤbrig, tauſend theilen ſich in die Maſſe, und keiner bekoͤmmt deshalb das Maul voll. Will man mit einer Anſicht heraus ruͤcken, ſo haben ſie alle Menſchen ſchon gehabt und wieder vergeſſen, ſo wie ſie vorgeben. Ich wollte mich erſt zum Denker aufwerfen, ich habe die Welt geſehn, ich kann gruͤndlich und umfaſſend ſprechen, ich bin nicht ohne Gaben, aber mein Beifall verlor ſich bald, und da ich außer meiner geiſtigen Kraft eine große Inklinazion zum Trinken habe, ſo dachte ich mich an die Quelle zu begeben, und bin darum in die- ſem Wirthshaus als Kuͤfer in Dienſte getreten. Daniel. Und geht's euch nicht, wie den Lehr- lingen der Zuckerbaͤcker, denen man das Naſchen erlaubt, weil ſie ſehr bald uͤberſaͤttigt werden, und nachher aus Eckel nichts von den Suͤßigkeiten mehr anruͤhren moͤgen? Adam. Nein, Herr Camerad, im Gegentheil, je laͤnger ich mich unter den Faͤſſern umtreibe, je mehr ich probire und koſte, um ſo mehr komm' ich auf den richtigen guten Geſchmack. Unter uns, Freunde, ich ſaufe oft mehr als die Gaͤſte, beſon- ders wenn dummes Volk ins Haus kommt, das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/175
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/175>, abgerufen am 23.11.2024.