Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.Fortunat. Bald schwand das Wenige, was ich besaß,Ich eilte weiter, ohne Ziel und Zweck, Und endlich führte mich mein bös Gestirn In dieses Waldreviers endlos Dunkel. Seit dreien Tagen sah' ich keinen Menschen, Seit dreien Tagen hab' ich nichts genossen, Als gestern an dem Quell den frischen Trunk; In Nächten hör' ich Wolf und Bär um mich Mit gräßlichem Geheul, ich darf nicht schlafen, Unsichre Stätte deut mir dann der Baum; Den Weg verlor ich, tiefer immer tiefer Zieht sich hinab der Wälder Labyrinth, Kein Köhler, keine Hütte, nirgend, nirgend -- Ja wenn ich auf den grimmen Mörder stieße, Er wäre Rettung mir. Was such' ich Wege? Der Fuß gehorcht nicht dem Gebot des Willens, Die Sehnen all entstrickt, und jedes Glied Zum Tode matt: -- so end' auch hier der Wille! -- Sanft, sanft -- schläft sich's, Still, still -- stirbt sich's, Ruhe, Ruhe -- weit umher. Ach, wie gut, wie froh -- nur weckt mich nicht! Willst Du was von mir, strahlend Gebild? Siehe, ich lande, betrete den güldnen Boden, Wo der Träume kindisch Gespinst zur Wahrheit wird, Meiner alten Amme Lieder, die lieben Geschichten, Die wohnen, wie seltsam, in diesem, diesem Wald! Da fliegt mit goldnem Gelock, mit blauem Schleier, Frei die Brust und frei die Schultern und Arme, Ein süß Gebild, und rings erglänzen die Tannen Fortunat. Bald ſchwand das Wenige, was ich beſaß,Ich eilte weiter, ohne Ziel und Zweck, Und endlich fuͤhrte mich mein boͤs Geſtirn In dieſes Waldreviers endlos Dunkel. Seit dreien Tagen ſah' ich keinen Menſchen, Seit dreien Tagen hab' ich nichts genoſſen, Als geſtern an dem Quell den friſchen Trunk; In Naͤchten hoͤr' ich Wolf und Baͤr um mich Mit graͤßlichem Geheul, ich darf nicht ſchlafen, Unſichre Staͤtte deut mir dann der Baum; Den Weg verlor ich, tiefer immer tiefer Zieht ſich hinab der Waͤlder Labyrinth, Kein Koͤhler, keine Huͤtte, nirgend, nirgend — Ja wenn ich auf den grimmen Moͤrder ſtieße, Er waͤre Rettung mir. Was ſuch' ich Wege? Der Fuß gehorcht nicht dem Gebot des Willens, Die Sehnen all entſtrickt, und jedes Glied Zum Tode matt: — ſo end' auch hier der Wille! — Sanft, ſanft — ſchlaͤft ſich's, Still, ſtill — ſtirbt ſich's, Ruhe, Ruhe — weit umher. Ach, wie gut, wie froh — nur weckt mich nicht! Willſt Du was von mir, ſtrahlend Gebild? Siehe, ich lande, betrete den guͤldnen Boden, Wo der Traͤume kindiſch Geſpinſt zur Wahrheit wird, Meiner alten Amme Lieder, die lieben Geſchichten, Die wohnen, wie ſeltſam, in dieſem, dieſem Wald! Da fliegt mit goldnem Gelock, mit blauem Schleier, Frei die Bruſt und frei die Schultern und Arme, Ein ſuͤß Gebild, und rings erglaͤnzen die Tannen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0119" n="109"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fortunat</hi>.</fw><lb/> Bald ſchwand das Wenige, was ich beſaß,<lb/> Ich eilte weiter, ohne Ziel und Zweck,<lb/> Und endlich fuͤhrte mich mein boͤs Geſtirn<lb/> In dieſes Waldreviers endlos Dunkel.<lb/> Seit dreien Tagen ſah' ich keinen Menſchen,<lb/> Seit dreien Tagen hab' ich nichts genoſſen,<lb/> Als geſtern an dem Quell den friſchen Trunk;<lb/> In Naͤchten hoͤr' ich Wolf und Baͤr um mich<lb/> Mit graͤßlichem Geheul, ich darf nicht ſchlafen,<lb/> Unſichre Staͤtte deut mir dann der Baum;<lb/> Den Weg verlor ich, tiefer immer tiefer<lb/> Zieht ſich hinab der Waͤlder Labyrinth,<lb/> Kein Koͤhler, keine Huͤtte, nirgend, nirgend —<lb/> Ja wenn ich auf den grimmen Moͤrder ſtieße,<lb/> Er waͤre Rettung mir. Was ſuch' ich Wege?<lb/> Der Fuß gehorcht nicht dem Gebot des Willens,<lb/> Die Sehnen all entſtrickt, und jedes Glied<lb/> Zum Tode matt: — ſo end' auch hier der Wille! —<lb/><hi rendition="#et">Sanft, ſanft — ſchlaͤft ſich's,<lb/> Still, ſtill — ſtirbt ſich's,<lb/> Ruhe, Ruhe — weit umher.</hi><lb/> Ach, wie gut, wie froh — nur weckt mich nicht!<lb/> Willſt Du was von mir, ſtrahlend Gebild?<lb/> Siehe, ich lande, betrete den guͤldnen Boden,<lb/> Wo der Traͤume kindiſch Geſpinſt zur Wahrheit<lb/><hi rendition="#et">wird,</hi><lb/> Meiner alten Amme Lieder, die lieben Geſchichten,<lb/> Die wohnen, wie ſeltſam, in dieſem, dieſem Wald!<lb/> Da fliegt mit goldnem Gelock, mit blauem Schleier,<lb/> Frei die Bruſt und frei die Schultern und Arme,<lb/> Ein ſuͤß Gebild, und rings erglaͤnzen die Tannen<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [109/0119]
Fortunat.
Bald ſchwand das Wenige, was ich beſaß,
Ich eilte weiter, ohne Ziel und Zweck,
Und endlich fuͤhrte mich mein boͤs Geſtirn
In dieſes Waldreviers endlos Dunkel.
Seit dreien Tagen ſah' ich keinen Menſchen,
Seit dreien Tagen hab' ich nichts genoſſen,
Als geſtern an dem Quell den friſchen Trunk;
In Naͤchten hoͤr' ich Wolf und Baͤr um mich
Mit graͤßlichem Geheul, ich darf nicht ſchlafen,
Unſichre Staͤtte deut mir dann der Baum;
Den Weg verlor ich, tiefer immer tiefer
Zieht ſich hinab der Waͤlder Labyrinth,
Kein Koͤhler, keine Huͤtte, nirgend, nirgend —
Ja wenn ich auf den grimmen Moͤrder ſtieße,
Er waͤre Rettung mir. Was ſuch' ich Wege?
Der Fuß gehorcht nicht dem Gebot des Willens,
Die Sehnen all entſtrickt, und jedes Glied
Zum Tode matt: — ſo end' auch hier der Wille! —
Sanft, ſanft — ſchlaͤft ſich's,
Still, ſtill — ſtirbt ſich's,
Ruhe, Ruhe — weit umher.
Ach, wie gut, wie froh — nur weckt mich nicht!
Willſt Du was von mir, ſtrahlend Gebild?
Siehe, ich lande, betrete den guͤldnen Boden,
Wo der Traͤume kindiſch Geſpinſt zur Wahrheit
wird,
Meiner alten Amme Lieder, die lieben Geſchichten,
Die wohnen, wie ſeltſam, in dieſem, dieſem Wald!
Da fliegt mit goldnem Gelock, mit blauem Schleier,
Frei die Bruſt und frei die Schultern und Arme,
Ein ſuͤß Gebild, und rings erglaͤnzen die Tannen
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