Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
Däumchen.

Alfred kommt mit den Kindern der Malwina.
Alfred. Hier, Madam Leidgast, sind die
Kleinen zurück, und, wie ich mir schmeichle, völlig
kurirt.
Malwina. O ich glückliche Mutter! Kommt
denn, ihr menschlich Gewordenen, an mein mensch-
liches Herz.
Alfred. Dieser älteste wird gewiß ein fleißi-
ger Schüler von mir werden, denn ich spüre einen
auffallenden Trieb zur Botanik in ihm; unten im
Garten hat er viele gelbe Rüben ausgezogen, und
nicht nur genau betrachtet, sondern auch an den
Mund geführt und gekostet, um ihre Eigenschaften
zu erproben; nach den Weitrauben schien er noch
begieriger. -- Sieh, lieber Semmelziege, da bist
Du ja auch wieder.
Semmelziege. Ja, mein Guter, und Du?
Alfred. Ich bin jetzt als Philosoph, Bota-
niker, und Erzieher angestellt, und habe so eben
diese jungen Kinder der Madam Leidgast, welche
durch übertriebne philanthropische Manier waren
verdorben worden, durch die neue Methode wieder
zurecht gebracht. Doch, Madam Leidgast --
Malwina. Nennen Sie mich lieber Mal-
wina, das Andenken des Schändlichen, der sich
selbst ermordet hat, ist mir zu schmerzlich.
Alfred. Da Sie, schöne Malwina, jetzt
Wittwe sind, und ich ein gutes Auskommen habe,
so wollt ich fragen --
Malwina. Sie beschämen mich, meine Trauer
ist noch so neu.

Daͤumchen.

Alfred kommt mit den Kindern der Malwina.
Alfred. Hier, Madam Leidgaſt, ſind die
Kleinen zuruͤck, und, wie ich mir ſchmeichle, voͤllig
kurirt.
Malwina. O ich gluͤckliche Mutter! Kommt
denn, ihr menſchlich Gewordenen, an mein menſch-
liches Herz.
Alfred. Dieſer aͤlteſte wird gewiß ein fleißi-
ger Schuͤler von mir werden, denn ich ſpuͤre einen
auffallenden Trieb zur Botanik in ihm; unten im
Garten hat er viele gelbe Ruͤben ausgezogen, und
nicht nur genau betrachtet, ſondern auch an den
Mund gefuͤhrt und gekoſtet, um ihre Eigenſchaften
zu erproben; nach den Weitrauben ſchien er noch
begieriger. — Sieh, lieber Semmelziege, da biſt
Du ja auch wieder.
Semmelziege. Ja, mein Guter, und Du?
Alfred. Ich bin jetzt als Philoſoph, Bota-
niker, und Erzieher angeſtellt, und habe ſo eben
dieſe jungen Kinder der Madam Leidgaſt, welche
durch uͤbertriebne philanthropiſche Manier waren
verdorben worden, durch die neue Methode wieder
zurecht gebracht. Doch, Madam Leidgaſt —
Malwina. Nennen Sie mich lieber Mal-
wina, das Andenken des Schaͤndlichen, der ſich
ſelbſt ermordet hat, iſt mir zu ſchmerzlich.
Alfred. Da Sie, ſchoͤne Malwina, jetzt
Wittwe ſind, und ich ein gutes Auskommen habe,
ſo wollt ich fragen —
Malwina. Sie beſchaͤmen mich, meine Trauer
iſt noch ſo neu.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <sp who="#MAL">
                <pb facs="#f0540" n="531"/>
                <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Da&#x0364;umchen</hi>.</fw><lb/>
                <stage><hi rendition="#g">Alfred</hi> kommt mit den Kindern der Malwina.</stage>
              </sp><lb/>
              <sp who="#ALF">
                <speaker><hi rendition="#g">Alfred</hi>.</speaker>
                <p>Hier, Madam Leidga&#x017F;t, &#x017F;ind die<lb/>
Kleinen zuru&#x0364;ck, und, wie ich mir &#x017F;chmeichle, vo&#x0364;llig<lb/>
kurirt.</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#MAL">
                <speaker><hi rendition="#g">Malwina</hi>.</speaker>
                <p>O ich glu&#x0364;ckliche Mutter! Kommt<lb/>
denn, ihr men&#x017F;chlich Gewordenen, an mein men&#x017F;ch-<lb/>
liches Herz.</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#ALF">
                <speaker><hi rendition="#g">Alfred</hi>.</speaker>
                <p>Die&#x017F;er a&#x0364;lte&#x017F;te wird gewiß ein fleißi-<lb/>
ger Schu&#x0364;ler von mir werden, denn ich &#x017F;pu&#x0364;re einen<lb/>
auffallenden Trieb zur Botanik in ihm; unten im<lb/>
Garten hat er viele gelbe Ru&#x0364;ben ausgezogen, und<lb/>
nicht nur genau betrachtet, &#x017F;ondern auch an den<lb/>
Mund gefu&#x0364;hrt und geko&#x017F;tet, um ihre Eigen&#x017F;chaften<lb/>
zu erproben; nach den Weitrauben &#x017F;chien er noch<lb/>
begieriger. &#x2014; Sieh, lieber Semmelziege, da bi&#x017F;t<lb/>
Du ja auch wieder.</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#SEM">
                <speaker><hi rendition="#g">Semmelziege</hi>.</speaker>
                <p>Ja, mein Guter, und Du?</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#ALF">
                <speaker><hi rendition="#g">Alfred</hi>.</speaker>
                <p>Ich bin jetzt als Philo&#x017F;oph, Bota-<lb/>
niker, und Erzieher ange&#x017F;tellt, und habe &#x017F;o eben<lb/>
die&#x017F;e jungen Kinder der Madam Leidga&#x017F;t, welche<lb/>
durch u&#x0364;bertriebne philanthropi&#x017F;che Manier waren<lb/>
verdorben worden, durch die neue Methode wieder<lb/>
zurecht gebracht. Doch, Madam Leidga&#x017F;t &#x2014;</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#MAL">
                <speaker><hi rendition="#g">Malwina</hi>.</speaker>
                <p>Nennen Sie mich lieber Mal-<lb/>
wina, das Andenken des Scha&#x0364;ndlichen, der &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t ermordet hat, i&#x017F;t mir zu &#x017F;chmerzlich.</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#ALF">
                <speaker><hi rendition="#g">Alfred</hi>.</speaker>
                <p>Da Sie, &#x017F;cho&#x0364;ne Malwina, jetzt<lb/>
Wittwe &#x017F;ind, und ich ein gutes Auskommen habe,<lb/>
&#x017F;o wollt ich fragen &#x2014;</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#MAL">
                <speaker><hi rendition="#g">Malwina</hi>.</speaker>
                <p>Sie be&#x017F;cha&#x0364;men mich, meine Trauer<lb/>
i&#x017F;t noch &#x017F;o neu.</p>
              </sp><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[531/0540] Daͤumchen. Alfred kommt mit den Kindern der Malwina. Alfred. Hier, Madam Leidgaſt, ſind die Kleinen zuruͤck, und, wie ich mir ſchmeichle, voͤllig kurirt. Malwina. O ich gluͤckliche Mutter! Kommt denn, ihr menſchlich Gewordenen, an mein menſch- liches Herz. Alfred. Dieſer aͤlteſte wird gewiß ein fleißi- ger Schuͤler von mir werden, denn ich ſpuͤre einen auffallenden Trieb zur Botanik in ihm; unten im Garten hat er viele gelbe Ruͤben ausgezogen, und nicht nur genau betrachtet, ſondern auch an den Mund gefuͤhrt und gekoſtet, um ihre Eigenſchaften zu erproben; nach den Weitrauben ſchien er noch begieriger. — Sieh, lieber Semmelziege, da biſt Du ja auch wieder. Semmelziege. Ja, mein Guter, und Du? Alfred. Ich bin jetzt als Philoſoph, Bota- niker, und Erzieher angeſtellt, und habe ſo eben dieſe jungen Kinder der Madam Leidgaſt, welche durch uͤbertriebne philanthropiſche Manier waren verdorben worden, durch die neue Methode wieder zurecht gebracht. Doch, Madam Leidgaſt — Malwina. Nennen Sie mich lieber Mal- wina, das Andenken des Schaͤndlichen, der ſich ſelbſt ermordet hat, iſt mir zu ſchmerzlich. Alfred. Da Sie, ſchoͤne Malwina, jetzt Wittwe ſind, und ich ein gutes Auskommen habe, ſo wollt ich fragen — Malwina. Sie beſchaͤmen mich, meine Trauer iſt noch ſo neu.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/540
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/540>, abgerufen am 27.11.2024.