Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
Däumchen.
nicht davon reden. Wenn Sie mir nicht noch, gnä-
diger Herr, manchmal ein Verdienstchen zuschanz-
ten, daß Sie so ein Bischen ein Einsehn thäten
und die Leute in Ordnung hielten, so wie heut
mit dem Fremden, so wäre gar nichts. Hat er
mir doch, der gute Mann, einen Gulden für
meine Mühe gegeben, und ich hatte nur vier Gro-
schen zu fordern.
Kay. Seht Ihr, wies manchmal unvermu-
thet kömmt? Ihr steht Euch immer noch gut.
Kirmes. Die Abgaben sind zu hoch, Ihr
Gnaden, und alle Woche neue, darüber verlieren
nun die Leutchen vollends die Lust, sich schröpfen
oder zur Ader zu lassen. Wie gehts mir? Da
hör ich, der dicke Gottfried ist in eine gefährliche
Krankheit gefallen, ich geh denn so unter der Hand
zu ihm, und sehe, wies mit ihm steht, frage, ob
er nicht was brauchen will; er schüttelt mit dem
Kopf, seine gute, liebe Frau ermahnt ihn, einzu-
nehmen: nein, spricht er, es ist die Frage, ob ich
kurirt werde, das ist aber keine Frage, daß es mir
ein Thaler fünf oder sechs kosten wird, die kann
ich nicht dran wenden, und bleib ich auch leben,
so hat doch die Last von Abgaben und Durchmär-
schen, die Angst und Noth kein Ende, drum will
ich lieber frisch weg sterben. Sehn Sie, Ihr Gna-
den, so räsonnirt, so philosophirt das Volk heut
zu Tage, und mein Seel, man kanns den Leut-
chen nicht übel nehmen, denn sie werden allzu po-
ver. Letzt hatte einer den Blutsturz gehabt, der
wollte zur Ader lassen, ja das bischen Verdienst
Daͤumchen.
nicht davon reden. Wenn Sie mir nicht noch, gnaͤ-
diger Herr, manchmal ein Verdienſtchen zuſchanz-
ten, daß Sie ſo ein Bischen ein Einſehn thaͤten
und die Leute in Ordnung hielten, ſo wie heut
mit dem Fremden, ſo waͤre gar nichts. Hat er
mir doch, der gute Mann, einen Gulden fuͤr
meine Muͤhe gegeben, und ich hatte nur vier Gro-
ſchen zu fordern.
Kay. Seht Ihr, wies manchmal unvermu-
thet koͤmmt? Ihr ſteht Euch immer noch gut.
Kirmes. Die Abgaben ſind zu hoch, Ihr
Gnaden, und alle Woche neue, daruͤber verlieren
nun die Leutchen vollends die Luſt, ſich ſchroͤpfen
oder zur Ader zu laſſen. Wie gehts mir? Da
hoͤr ich, der dicke Gottfried iſt in eine gefaͤhrliche
Krankheit gefallen, ich geh denn ſo unter der Hand
zu ihm, und ſehe, wies mit ihm ſteht, frage, ob
er nicht was brauchen will; er ſchuͤttelt mit dem
Kopf, ſeine gute, liebe Frau ermahnt ihn, einzu-
nehmen: nein, ſpricht er, es iſt die Frage, ob ich
kurirt werde, das iſt aber keine Frage, daß es mir
ein Thaler fuͤnf oder ſechs koſten wird, die kann
ich nicht dran wenden, und bleib ich auch leben,
ſo hat doch die Laſt von Abgaben und Durchmaͤr-
ſchen, die Angſt und Noth kein Ende, drum will
ich lieber friſch weg ſterben. Sehn Sie, Ihr Gna-
den, ſo raͤſonnirt, ſo philoſophirt das Volk heut
zu Tage, und mein Seel, man kanns den Leut-
chen nicht uͤbel nehmen, denn ſie werden allzu po-
ver. Letzt hatte einer den Blutſturz gehabt, der
wollte zur Ader laſſen, ja das bischen Verdienſt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <sp who="#KIR">
                <p><pb facs="#f0486" n="477"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Da&#x0364;umchen</hi>.</fw><lb/>
nicht davon reden. Wenn Sie mir nicht noch, gna&#x0364;-<lb/>
diger Herr, manchmal ein Verdien&#x017F;tchen zu&#x017F;chanz-<lb/>
ten, daß Sie &#x017F;o ein Bischen ein Ein&#x017F;ehn tha&#x0364;ten<lb/>
und die Leute in Ordnung hielten, &#x017F;o wie heut<lb/>
mit dem Fremden, &#x017F;o wa&#x0364;re gar nichts. Hat er<lb/>
mir doch, der gute Mann, einen Gulden fu&#x0364;r<lb/>
meine Mu&#x0364;he gegeben, und ich hatte nur vier Gro-<lb/>
&#x017F;chen zu fordern.</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#KAY">
                <speaker><hi rendition="#g">Kay</hi>.</speaker>
                <p>Seht Ihr, wies manchmal unvermu-<lb/>
thet ko&#x0364;mmt? Ihr &#x017F;teht Euch immer noch gut.</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#KIR">
                <speaker><hi rendition="#g">Kirmes</hi>.</speaker>
                <p>Die Abgaben &#x017F;ind zu hoch, Ihr<lb/>
Gnaden, und alle Woche neue, daru&#x0364;ber verlieren<lb/>
nun die Leutchen vollends die Lu&#x017F;t, &#x017F;ich &#x017F;chro&#x0364;pfen<lb/>
oder zur Ader zu la&#x017F;&#x017F;en. Wie gehts mir? Da<lb/>
ho&#x0364;r ich, der dicke Gottfried i&#x017F;t in eine gefa&#x0364;hrliche<lb/>
Krankheit gefallen, ich geh denn &#x017F;o unter der Hand<lb/>
zu ihm, und &#x017F;ehe, wies mit ihm &#x017F;teht, frage, ob<lb/>
er nicht was brauchen will; er &#x017F;chu&#x0364;ttelt mit dem<lb/>
Kopf, &#x017F;eine gute, liebe Frau ermahnt ihn, einzu-<lb/>
nehmen: nein, &#x017F;pricht er, es i&#x017F;t die Frage, ob ich<lb/>
kurirt werde, das i&#x017F;t aber keine Frage, daß es mir<lb/>
ein Thaler fu&#x0364;nf oder &#x017F;echs ko&#x017F;ten wird, die kann<lb/>
ich nicht dran wenden, und bleib ich auch leben,<lb/>
&#x017F;o hat doch die La&#x017F;t von Abgaben und Durchma&#x0364;r-<lb/>
&#x017F;chen, die Ang&#x017F;t und Noth kein Ende, drum will<lb/>
ich lieber fri&#x017F;ch weg &#x017F;terben. Sehn Sie, Ihr Gna-<lb/>
den, &#x017F;o ra&#x0364;&#x017F;onnirt, &#x017F;o philo&#x017F;ophirt das Volk heut<lb/>
zu Tage, und mein Seel, man kanns den Leut-<lb/>
chen nicht u&#x0364;bel nehmen, denn &#x017F;ie werden allzu po-<lb/>
ver. Letzt hatte einer den Blut&#x017F;turz gehabt, der<lb/>
wollte zur Ader la&#x017F;&#x017F;en, ja das bischen Verdien&#x017F;t<lb/></p>
              </sp>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[477/0486] Daͤumchen. nicht davon reden. Wenn Sie mir nicht noch, gnaͤ- diger Herr, manchmal ein Verdienſtchen zuſchanz- ten, daß Sie ſo ein Bischen ein Einſehn thaͤten und die Leute in Ordnung hielten, ſo wie heut mit dem Fremden, ſo waͤre gar nichts. Hat er mir doch, der gute Mann, einen Gulden fuͤr meine Muͤhe gegeben, und ich hatte nur vier Gro- ſchen zu fordern. Kay. Seht Ihr, wies manchmal unvermu- thet koͤmmt? Ihr ſteht Euch immer noch gut. Kirmes. Die Abgaben ſind zu hoch, Ihr Gnaden, und alle Woche neue, daruͤber verlieren nun die Leutchen vollends die Luſt, ſich ſchroͤpfen oder zur Ader zu laſſen. Wie gehts mir? Da hoͤr ich, der dicke Gottfried iſt in eine gefaͤhrliche Krankheit gefallen, ich geh denn ſo unter der Hand zu ihm, und ſehe, wies mit ihm ſteht, frage, ob er nicht was brauchen will; er ſchuͤttelt mit dem Kopf, ſeine gute, liebe Frau ermahnt ihn, einzu- nehmen: nein, ſpricht er, es iſt die Frage, ob ich kurirt werde, das iſt aber keine Frage, daß es mir ein Thaler fuͤnf oder ſechs koſten wird, die kann ich nicht dran wenden, und bleib ich auch leben, ſo hat doch die Laſt von Abgaben und Durchmaͤr- ſchen, die Angſt und Noth kein Ende, drum will ich lieber friſch weg ſterben. Sehn Sie, Ihr Gna- den, ſo raͤſonnirt, ſo philoſophirt das Volk heut zu Tage, und mein Seel, man kanns den Leut- chen nicht uͤbel nehmen, denn ſie werden allzu po- ver. Letzt hatte einer den Blutſturz gehabt, der wollte zur Ader laſſen, ja das bischen Verdienſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/486
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/486>, abgerufen am 25.11.2024.