Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Zweite Abtheilung. Sinnesarten, und alles froh und heiter. -- Er-zähle mir doch, wie ist es denn eigentlich mit dei- ner Liebe, ich weiß fast kein Wort davon. Anne. O laß mich, liebe Schwester. Agnes. Wie lange ist er nun schon fort? -- Drei Jahr? Anne. Ach! Agnes. Siehst du, du seufzest noch immer, aber du solltest lieber einmal vernünftig erzählen. Anne. Ich bin eine schlechte Erzählerinn. Agnes. Aber im Ernst, es muß mit der Liebe ein äußerst wunderbares Ding seyn. Anne. Du bist glücklich, daß du es nicht begreifst. Agnes. Mir ist immer leicht und heiter, aber du bist die Schwerfälligkeit selbst, ohne Le- ben, ohne Theilnahme für die Welt und ihre Be- gebenheiten, du lebst nur noch zum Schein, nur ein geringfügiges äußerliches Leben, aber innerlich bist du schon lange abgestorben. Anne. Jeder Mensch hat seine eigene Weise, laß mir die meinige. Agnes. Daß man sich selbst so alle Freuden verderben kann! Die Welt ist so schön und freund- lich, alles so mannigfaltig durch einander, daß man nicht genug sehen, nicht genug erfahren kann. Ich möchte immer auf Reisen seyn, durch unbekannte Städte gehn, fremde Berge besteigen, andre Trach- ten, andre Sitten kennen lernen. Dann mich wieder ganz allein in einem Pallaste einsperren lassen, und die Schlüssel zu jedem Gemach, zu Zweite Abtheilung. Sinnesarten, und alles froh und heiter. — Er-zaͤhle mir doch, wie iſt es denn eigentlich mit dei- ner Liebe, ich weiß faſt kein Wort davon. Anne. O laß mich, liebe Schweſter. Agnes. Wie lange iſt er nun ſchon fort? — Drei Jahr? Anne. Ach! Agnes. Siehſt du, du ſeufzeſt noch immer, aber du ſollteſt lieber einmal vernuͤnftig erzaͤhlen. Anne. Ich bin eine ſchlechte Erzaͤhlerinn. Agnes. Aber im Ernſt, es muß mit der Liebe ein aͤußerſt wunderbares Ding ſeyn. Anne. Du biſt gluͤcklich, daß du es nicht begreifſt. Agnes. Mir iſt immer leicht und heiter, aber du biſt die Schwerfaͤlligkeit ſelbſt, ohne Le- ben, ohne Theilnahme fuͤr die Welt und ihre Be- gebenheiten, du lebſt nur noch zum Schein, nur ein geringfuͤgiges aͤußerliches Leben, aber innerlich biſt du ſchon lange abgeſtorben. Anne. Jeder Menſch hat ſeine eigene Weiſe, laß mir die meinige. Agnes. Daß man ſich ſelbſt ſo alle Freuden verderben kann! Die Welt iſt ſo ſchoͤn und freund- lich, alles ſo mannigfaltig durch einander, daß man nicht genug ſehen, nicht genug erfahren kann. Ich moͤchte immer auf Reiſen ſeyn, durch unbekannte Staͤdte gehn, fremde Berge beſteigen, andre Trach- ten, andre Sitten kennen lernen. Dann mich wieder ganz allein in einem Pallaſte einſperren laſſen, und die Schluͤſſel zu jedem Gemach, zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <sp who="#AGN"> <p><pb facs="#f0047" n="38"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> Sinnesarten, und alles froh und heiter. — Er-<lb/> zaͤhle mir doch, wie iſt es denn eigentlich mit <hi rendition="#g">dei-<lb/> ner</hi> Liebe, ich weiß faſt kein Wort davon.</p> </sp><lb/> <sp who="#ANN"> <speaker><hi rendition="#g">Anne</hi>.</speaker> <p>O laß mich, liebe Schweſter.</p> </sp><lb/> <sp who="#AGN"> <speaker><hi rendition="#g">Agnes</hi>.</speaker> <p>Wie lange iſt er nun ſchon fort? —<lb/> Drei Jahr?</p> </sp><lb/> <sp who="#ANN"> <speaker><hi rendition="#g">Anne</hi>.</speaker> <p>Ach!</p> </sp><lb/> <sp who="#AGN"> <speaker><hi rendition="#g">Agnes</hi>.</speaker> <p>Siehſt du, du ſeufzeſt noch immer,<lb/> aber du ſollteſt lieber einmal vernuͤnftig erzaͤhlen.</p> </sp><lb/> <sp who="#ANN"> <speaker><hi rendition="#g">Anne</hi>.</speaker> <p>Ich bin eine ſchlechte Erzaͤhlerinn.</p> </sp><lb/> <sp who="#AGN"> <speaker><hi rendition="#g">Agnes</hi>.</speaker> <p>Aber im Ernſt, es muß mit der<lb/> Liebe ein aͤußerſt wunderbares Ding ſeyn.</p> </sp><lb/> <sp who="#ANN"> <speaker><hi rendition="#g">Anne</hi>.</speaker> <p>Du biſt gluͤcklich, daß du es nicht<lb/> begreifſt.</p> </sp><lb/> <sp who="#AGN"> <speaker><hi rendition="#g">Agnes</hi>.</speaker> <p>Mir iſt immer leicht und heiter,<lb/> aber du biſt die Schwerfaͤlligkeit ſelbſt, ohne Le-<lb/> ben, ohne Theilnahme fuͤr die Welt und ihre Be-<lb/> gebenheiten, du lebſt nur noch zum Schein, nur<lb/> ein geringfuͤgiges aͤußerliches Leben, aber innerlich<lb/> biſt du ſchon lange abgeſtorben.</p> </sp><lb/> <sp who="#ANN"> <speaker><hi rendition="#g">Anne</hi>.</speaker> <p>Jeder Menſch hat ſeine eigene Weiſe,<lb/> laß mir die meinige.</p> </sp><lb/> <sp who="#AGN"> <speaker><hi rendition="#g">Agnes</hi>.</speaker> <p>Daß man ſich ſelbſt ſo alle Freuden<lb/> verderben kann! 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Zweite Abtheilung.
Sinnesarten, und alles froh und heiter. — Er-
zaͤhle mir doch, wie iſt es denn eigentlich mit dei-
ner Liebe, ich weiß faſt kein Wort davon.
Anne. O laß mich, liebe Schweſter.
Agnes. Wie lange iſt er nun ſchon fort? —
Drei Jahr?
Anne. Ach!
Agnes. Siehſt du, du ſeufzeſt noch immer,
aber du ſollteſt lieber einmal vernuͤnftig erzaͤhlen.
Anne. Ich bin eine ſchlechte Erzaͤhlerinn.
Agnes. Aber im Ernſt, es muß mit der
Liebe ein aͤußerſt wunderbares Ding ſeyn.
Anne. Du biſt gluͤcklich, daß du es nicht
begreifſt.
Agnes. Mir iſt immer leicht und heiter,
aber du biſt die Schwerfaͤlligkeit ſelbſt, ohne Le-
ben, ohne Theilnahme fuͤr die Welt und ihre Be-
gebenheiten, du lebſt nur noch zum Schein, nur
ein geringfuͤgiges aͤußerliches Leben, aber innerlich
biſt du ſchon lange abgeſtorben.
Anne. Jeder Menſch hat ſeine eigene Weiſe,
laß mir die meinige.
Agnes. Daß man ſich ſelbſt ſo alle Freuden
verderben kann! Die Welt iſt ſo ſchoͤn und freund-
lich, alles ſo mannigfaltig durch einander, daß man
nicht genug ſehen, nicht genug erfahren kann. Ich
moͤchte immer auf Reiſen ſeyn, durch unbekannte
Staͤdte gehn, fremde Berge beſteigen, andre Trach-
ten, andre Sitten kennen lernen. Dann mich
wieder ganz allein in einem Pallaſte einſperren
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