Sitte herrschen, doch soll auch die Freiheit des Publikums bei öffentlicher Ausstellung nicht ge- fährdet werden, denn sonst verschwindet jenes geistige Band zwischen Bühne und Parterr, wel- ches den Genuß erst hervorbringt, indem unbe- wußt die Zuschauer mitspielen und das Ganze wie ein gutgestimmtes Instrument mit verschie- denen Tönen und Oktaven zusammen klingt. Diese beste Verfassung trifft man in der Regel nur, wo noch Unbefangenheit und nicht zu viel Bewußtseyn und Kritik herrscht. Hebt aber Kri- tik, die meist einseitig ist, diese Unbefangenheit schon auf, wie viel mehr wird sie und jene Frei- heit dadurch gestört, wenn man vorgeben darf, die Regierung sey mit der Direktion zugleich we- gen eines nicht gefallenden Schauspielers kom- promittirt, dann ist nur noch der Schritt übrig, das Auszischen eines Comödianten zum Hoch- verrath zu stempeln. Die besten Fürsten, wenn sie von Jugend auf die Klagen hören müssen, daß von ihresgleichen von je so wenig für die Kunst geschehen sey, und daß diese befördern ihren schönsten Beruf ausmache, wollen die Ver- säumniß zuweilen mit Wucher ersetzen, und er- fahren nicht, daß sie mit edlem Willen die Sache nur schlimmer machen.
Diese Freiheit des Publikums, sagte Lothar, ist um so unerlaßlicher, wenn Schauspieler und Direktor nur eine Person sind. Man glaube doch nicht, daß ein beliebter und talentvoller
Zweite Abtheilung.
Sitte herrſchen, doch ſoll auch die Freiheit des Publikums bei oͤffentlicher Ausſtellung nicht ge- faͤhrdet werden, denn ſonſt verſchwindet jenes geiſtige Band zwiſchen Buͤhne und Parterr, wel- ches den Genuß erſt hervorbringt, indem unbe- wußt die Zuſchauer mitſpielen und das Ganze wie ein gutgeſtimmtes Inſtrument mit verſchie- denen Toͤnen und Oktaven zuſammen klingt. Dieſe beſte Verfaſſung trifft man in der Regel nur, wo noch Unbefangenheit und nicht zu viel Bewußtſeyn und Kritik herrſcht. Hebt aber Kri- tik, die meiſt einſeitig iſt, dieſe Unbefangenheit ſchon auf, wie viel mehr wird ſie und jene Frei- heit dadurch geſtoͤrt, wenn man vorgeben darf, die Regierung ſey mit der Direktion zugleich we- gen eines nicht gefallenden Schauſpielers kom- promittirt, dann iſt nur noch der Schritt uͤbrig, das Ausziſchen eines Comoͤdianten zum Hoch- verrath zu ſtempeln. Die beſten Fuͤrſten, wenn ſie von Jugend auf die Klagen hoͤren muͤſſen, daß von ihresgleichen von je ſo wenig fuͤr die Kunſt geſchehen ſey, und daß dieſe befoͤrdern ihren ſchoͤnſten Beruf ausmache, wollen die Ver- ſaͤumniß zuweilen mit Wucher erſetzen, und er- fahren nicht, daß ſie mit edlem Willen die Sache nur ſchlimmer machen.
Dieſe Freiheit des Publikums, ſagte Lothar, iſt um ſo unerlaßlicher, wenn Schauſpieler und Direktor nur eine Perſon ſind. Man glaube doch nicht, daß ein beliebter und talentvoller
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Zweite Abtheilung.
Sitte herrſchen, doch ſoll auch die Freiheit des
Publikums bei oͤffentlicher Ausſtellung nicht ge-
faͤhrdet werden, denn ſonſt verſchwindet jenes
geiſtige Band zwiſchen Buͤhne und Parterr, wel-
ches den Genuß erſt hervorbringt, indem unbe-
wußt die Zuſchauer mitſpielen und das Ganze
wie ein gutgeſtimmtes Inſtrument mit verſchie-
denen Toͤnen und Oktaven zuſammen klingt.
Dieſe beſte Verfaſſung trifft man in der Regel
nur, wo noch Unbefangenheit und nicht zu viel
Bewußtſeyn und Kritik herrſcht. Hebt aber Kri-
tik, die meiſt einſeitig iſt, dieſe Unbefangenheit
ſchon auf, wie viel mehr wird ſie und jene Frei-
heit dadurch geſtoͤrt, wenn man vorgeben darf,
die Regierung ſey mit der Direktion zugleich we-
gen eines nicht gefallenden Schauſpielers kom-
promittirt, dann iſt nur noch der Schritt uͤbrig,
das Ausziſchen eines Comoͤdianten zum Hoch-
verrath zu ſtempeln. Die beſten Fuͤrſten, wenn
ſie von Jugend auf die Klagen hoͤren muͤſſen,
daß von ihresgleichen von je ſo wenig fuͤr die
Kunſt geſchehen ſey, und daß dieſe befoͤrdern
ihren ſchoͤnſten Beruf ausmache, wollen die Ver-
ſaͤumniß zuweilen mit Wucher erſetzen, und er-
fahren nicht, daß ſie mit edlem Willen die Sache
nur ſchlimmer machen.
Dieſe Freiheit des Publikums, ſagte Lothar,
iſt um ſo unerlaßlicher, wenn Schauſpieler und
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/434>, abgerufen am 16.02.2025.
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