Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweite Abtheilung.
das Hohle und Leere, die gespannte Empfind-
samkeit, Unglück und mißverstandne Tugend,
Kummer und Hunger, die Rührung in den
Spielenden wie in den Zuhörern hervor brin-
gen: diese Dinge, welche niemals auf das Thea-
ter hätten kommen sollen, sind Ursach, daß die
darstellenden Talente immer mehr verschwinden.

Auf der andern Seite, sagte Friedrich, die
Pracht der Dekorationen und Schaugepränge,
oder wollüstige Tänze, welche immer mehr die
staunende und grobe Sinnlichkeit des Menschen
in Anspruch nehmen, unsre Theater in wahre
kindische Kuckkasten verwandeln, und bald die
letzte Spur von Kunst auslöschen werden.

Diese Sucht nach Armseligkeiten, fuhr Ernst
fort, hat sich in allen Ländern verbreitet, und
verdrängt immer mehr das Theater vom Thea-
ter. Die unglückliche Form und Einrichtung
unsrer Bühne hat die Sache möglich und leicht
gemacht, und bald wird sie nur zu Krönungs-
Aufzügen, Sonnentempeln und widersinnigen
Tänzen gebraucht werden. Es ist gewiß lächer-
lich, daß in manchen Städten die Kleidungen
der Theater-Fürsten in der Kostbarkeit die der
wirklichen erreichen, daß diese Prachtgewänder
im Kreise zwischen bemahlter Leinwand herum
geschleppt werden, welche wieder ansehnliche Sum-
men kostet, um ein Gemählde darzustellen, wel-
ches nur aus einem einzigen Punkte richtig und
täuschend seyn kann, indessen die Logen zwischen

II. [ 27 ]

Zweite Abtheilung.
das Hohle und Leere, die geſpannte Empfind-
ſamkeit, Ungluͤck und mißverſtandne Tugend,
Kummer und Hunger, die Ruͤhrung in den
Spielenden wie in den Zuhoͤrern hervor brin-
gen: dieſe Dinge, welche niemals auf das Thea-
ter haͤtten kommen ſollen, ſind Urſach, daß die
darſtellenden Talente immer mehr verſchwinden.

Auf der andern Seite, ſagte Friedrich, die
Pracht der Dekorationen und Schaugepraͤnge,
oder wolluͤſtige Taͤnze, welche immer mehr die
ſtaunende und grobe Sinnlichkeit des Menſchen
in Anſpruch nehmen, unſre Theater in wahre
kindiſche Kuckkaſten verwandeln, und bald die
letzte Spur von Kunſt ausloͤſchen werden.

Dieſe Sucht nach Armſeligkeiten, fuhr Ernſt
fort, hat ſich in allen Laͤndern verbreitet, und
verdraͤngt immer mehr das Theater vom Thea-
ter. Die ungluͤckliche Form und Einrichtung
unſrer Buͤhne hat die Sache moͤglich und leicht
gemacht, und bald wird ſie nur zu Kroͤnungs-
Aufzuͤgen, Sonnentempeln und widerſinnigen
Taͤnzen gebraucht werden. Es iſt gewiß laͤcher-
lich, daß in manchen Staͤdten die Kleidungen
der Theater-Fuͤrſten in der Koſtbarkeit die der
wirklichen erreichen, daß dieſe Prachtgewaͤnder
im Kreiſe zwiſchen bemahlter Leinwand herum
geſchleppt werden, welche wieder anſehnliche Sum-
men koſtet, um ein Gemaͤhlde darzuſtellen, wel-
ches nur aus einem einzigen Punkte richtig und
taͤuſchend ſeyn kann, indeſſen die Logen zwiſchen

II. [ 27 ]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0426" n="417"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
das Hohle und Leere, die ge&#x017F;pannte Empfind-<lb/>
&#x017F;amkeit, Unglu&#x0364;ck und mißver&#x017F;tandne Tugend,<lb/>
Kummer und Hunger, die Ru&#x0364;hrung in den<lb/>
Spielenden wie in den Zuho&#x0364;rern hervor brin-<lb/>
gen: die&#x017F;e Dinge, welche niemals auf das Thea-<lb/>
ter ha&#x0364;tten kommen &#x017F;ollen, &#x017F;ind Ur&#x017F;ach, daß die<lb/>
dar&#x017F;tellenden Talente immer mehr ver&#x017F;chwinden.</p><lb/>
            <p>Auf der andern Seite, &#x017F;agte Friedrich, die<lb/>
Pracht der Dekorationen und Schaugepra&#x0364;nge,<lb/>
oder wollu&#x0364;&#x017F;tige Ta&#x0364;nze, welche immer mehr die<lb/>
&#x017F;taunende und grobe Sinnlichkeit des Men&#x017F;chen<lb/>
in An&#x017F;pruch nehmen, un&#x017F;re Theater in wahre<lb/>
kindi&#x017F;che Kuckka&#x017F;ten verwandeln, und bald die<lb/>
letzte Spur von Kun&#x017F;t auslo&#x0364;&#x017F;chen werden.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;e Sucht nach Arm&#x017F;eligkeiten, fuhr Ern&#x017F;t<lb/>
fort, hat &#x017F;ich in allen La&#x0364;ndern verbreitet, und<lb/>
verdra&#x0364;ngt immer mehr das Theater vom Thea-<lb/>
ter. Die unglu&#x0364;ckliche Form und Einrichtung<lb/>
un&#x017F;rer Bu&#x0364;hne hat die Sache mo&#x0364;glich und leicht<lb/>
gemacht, und bald wird &#x017F;ie nur zu Kro&#x0364;nungs-<lb/>
Aufzu&#x0364;gen, Sonnentempeln und wider&#x017F;innigen<lb/>
Ta&#x0364;nzen gebraucht werden. Es i&#x017F;t gewiß la&#x0364;cher-<lb/>
lich, daß in manchen Sta&#x0364;dten die Kleidungen<lb/>
der Theater-Fu&#x0364;r&#x017F;ten in der Ko&#x017F;tbarkeit die der<lb/>
wirklichen erreichen, daß die&#x017F;e Prachtgewa&#x0364;nder<lb/>
im Krei&#x017F;e zwi&#x017F;chen bemahlter Leinwand herum<lb/>
ge&#x017F;chleppt werden, welche wieder an&#x017F;ehnliche Sum-<lb/>
men ko&#x017F;tet, um ein Gema&#x0364;hlde darzu&#x017F;tellen, wel-<lb/>
ches nur aus einem einzigen Punkte richtig und<lb/>
ta&#x0364;u&#x017F;chend &#x017F;eyn kann, inde&#x017F;&#x017F;en die Logen zwi&#x017F;chen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">II.</hi> [ 27 ]</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[417/0426] Zweite Abtheilung. das Hohle und Leere, die geſpannte Empfind- ſamkeit, Ungluͤck und mißverſtandne Tugend, Kummer und Hunger, die Ruͤhrung in den Spielenden wie in den Zuhoͤrern hervor brin- gen: dieſe Dinge, welche niemals auf das Thea- ter haͤtten kommen ſollen, ſind Urſach, daß die darſtellenden Talente immer mehr verſchwinden. Auf der andern Seite, ſagte Friedrich, die Pracht der Dekorationen und Schaugepraͤnge, oder wolluͤſtige Taͤnze, welche immer mehr die ſtaunende und grobe Sinnlichkeit des Menſchen in Anſpruch nehmen, unſre Theater in wahre kindiſche Kuckkaſten verwandeln, und bald die letzte Spur von Kunſt ausloͤſchen werden. Dieſe Sucht nach Armſeligkeiten, fuhr Ernſt fort, hat ſich in allen Laͤndern verbreitet, und verdraͤngt immer mehr das Theater vom Thea- ter. Die ungluͤckliche Form und Einrichtung unſrer Buͤhne hat die Sache moͤglich und leicht gemacht, und bald wird ſie nur zu Kroͤnungs- Aufzuͤgen, Sonnentempeln und widerſinnigen Taͤnzen gebraucht werden. Es iſt gewiß laͤcher- lich, daß in manchen Staͤdten die Kleidungen der Theater-Fuͤrſten in der Koſtbarkeit die der wirklichen erreichen, daß dieſe Prachtgewaͤnder im Kreiſe zwiſchen bemahlter Leinwand herum geſchleppt werden, welche wieder anſehnliche Sum- men koſtet, um ein Gemaͤhlde darzuſtellen, wel- ches nur aus einem einzigen Punkte richtig und taͤuſchend ſeyn kann, indeſſen die Logen zwiſchen II. [ 27 ]

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/426
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/426>, abgerufen am 22.11.2024.