Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Zweite Abtheilung. sen, die aus den geringfügigsten, ja oft wider-wärtigsten Dingen auf mich einströmten. Jeder Lampenputzer war mir geweiht, nur im Theater brannten solche Lichter, so wie dort das Stim- men der Violinen klang, ertönte es nirgend, mein theures Billet, das ich glücklich wieder nach Hause brachte, war ganz etwas andres, als das Papier der übrigen Welt, und ich konnte nicht unterlassen, es in den langweiligen Schul- stunden mit Inbrunst zu betrachten. Die Ein- richtungen bei der Bühne waren damals noch häuslicher und unschuldiger, die täglich wech- selnden Einlaßkarten waren noch nicht erfunden, weniger Aufseher aber auch freilich weniger Zu- schauer waren außerhalb und innerhalb der Schau- bühne, und ich wurde, da es gelang, mit meinem Freibillet immer dreister. Der trockne Alte über- sah mich jedesmal und das liebe Billet blieb mir für einige Wochen. An einem Abend, als ein beliebtes Stück gegeben wurde, und das Haus sich schneller füllte, wollte ein Bursche, der zu einer Gesellschaft, die schon Platz genom- men hatte, gehören mogte, sich auch auf seine Art einen freien Eintritt verschaffen, und stürmte plötzlich mit bloßem Kopf herein, um sich un- befangen niederzusetzen, als wenn er schon frü- her im Hause gewesen und seine Karte abgege- ben hätte; der Alte aber, der ein gutes Auge und Gedächtniß hatte, ließ sich nicht irre ma- chen: du mußt keinen alten Mann zum Narren Zweite Abtheilung. ſen, die aus den geringfuͤgigſten, ja oft wider-waͤrtigſten Dingen auf mich einſtroͤmten. Jeder Lampenputzer war mir geweiht, nur im Theater brannten ſolche Lichter, ſo wie dort das Stim- men der Violinen klang, ertoͤnte es nirgend, mein theures Billet, das ich gluͤcklich wieder nach Hauſe brachte, war ganz etwas andres, als das Papier der uͤbrigen Welt, und ich konnte nicht unterlaſſen, es in den langweiligen Schul- ſtunden mit Inbrunſt zu betrachten. Die Ein- richtungen bei der Buͤhne waren damals noch haͤuslicher und unſchuldiger, die taͤglich wech- ſelnden Einlaßkarten waren noch nicht erfunden, weniger Aufſeher aber auch freilich weniger Zu- ſchauer waren außerhalb und innerhalb der Schau- buͤhne, und ich wurde, da es gelang, mit meinem Freibillet immer dreiſter. Der trockne Alte uͤber- ſah mich jedesmal und das liebe Billet blieb mir fuͤr einige Wochen. An einem Abend, als ein beliebtes Stuͤck gegeben wurde, und das Haus ſich ſchneller fuͤllte, wollte ein Burſche, der zu einer Geſellſchaft, die ſchon Platz genom- men hatte, gehoͤren mogte, ſich auch auf ſeine Art einen freien Eintritt verſchaffen, und ſtuͤrmte ploͤtzlich mit bloßem Kopf herein, um ſich un- befangen niederzuſetzen, als wenn er ſchon fruͤ- her im Hauſe geweſen und ſeine Karte abgege- ben haͤtte; der Alte aber, der ein gutes Auge und Gedaͤchtniß hatte, ließ ſich nicht irre ma- chen: du mußt keinen alten Mann zum Narren <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0414" n="405"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> ſen, die aus den geringfuͤgigſten, ja oft wider-<lb/> waͤrtigſten Dingen auf mich einſtroͤmten. Jeder<lb/> Lampenputzer war mir geweiht, nur im Theater<lb/> brannten ſolche Lichter, ſo wie dort das Stim-<lb/> men der Violinen klang, ertoͤnte es nirgend,<lb/> mein theures Billet, das ich gluͤcklich wieder<lb/> nach Hauſe brachte, war ganz etwas andres,<lb/> als das Papier der uͤbrigen Welt, und ich konnte<lb/> nicht unterlaſſen, es in den langweiligen Schul-<lb/> ſtunden mit Inbrunſt zu betrachten. Die Ein-<lb/> richtungen bei der Buͤhne waren damals noch<lb/> haͤuslicher und unſchuldiger, die taͤglich wech-<lb/> ſelnden Einlaßkarten waren noch nicht erfunden,<lb/> weniger Aufſeher aber auch freilich weniger Zu-<lb/> ſchauer waren außerhalb und innerhalb der Schau-<lb/> buͤhne, und ich wurde, da es gelang, mit meinem<lb/> Freibillet immer dreiſter. Der trockne Alte uͤber-<lb/> ſah mich jedesmal und das liebe Billet blieb<lb/> mir fuͤr einige Wochen. An einem Abend, als<lb/> ein beliebtes Stuͤck gegeben wurde, und das<lb/> Haus ſich ſchneller fuͤllte, wollte ein Burſche,<lb/> der zu einer Geſellſchaft, die ſchon Platz genom-<lb/> men hatte, gehoͤren mogte, ſich auch auf ſeine<lb/> Art einen freien Eintritt verſchaffen, und ſtuͤrmte<lb/> ploͤtzlich mit bloßem Kopf herein, um ſich un-<lb/> befangen niederzuſetzen, als wenn er ſchon fruͤ-<lb/> her im Hauſe geweſen und ſeine Karte abgege-<lb/> ben haͤtte; der Alte aber, der ein gutes Auge<lb/> und Gedaͤchtniß hatte, ließ ſich nicht irre ma-<lb/> chen: du mußt keinen alten Mann zum Narren<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [405/0414]
Zweite Abtheilung.
ſen, die aus den geringfuͤgigſten, ja oft wider-
waͤrtigſten Dingen auf mich einſtroͤmten. Jeder
Lampenputzer war mir geweiht, nur im Theater
brannten ſolche Lichter, ſo wie dort das Stim-
men der Violinen klang, ertoͤnte es nirgend,
mein theures Billet, das ich gluͤcklich wieder
nach Hauſe brachte, war ganz etwas andres,
als das Papier der uͤbrigen Welt, und ich konnte
nicht unterlaſſen, es in den langweiligen Schul-
ſtunden mit Inbrunſt zu betrachten. Die Ein-
richtungen bei der Buͤhne waren damals noch
haͤuslicher und unſchuldiger, die taͤglich wech-
ſelnden Einlaßkarten waren noch nicht erfunden,
weniger Aufſeher aber auch freilich weniger Zu-
ſchauer waren außerhalb und innerhalb der Schau-
buͤhne, und ich wurde, da es gelang, mit meinem
Freibillet immer dreiſter. Der trockne Alte uͤber-
ſah mich jedesmal und das liebe Billet blieb
mir fuͤr einige Wochen. An einem Abend, als
ein beliebtes Stuͤck gegeben wurde, und das
Haus ſich ſchneller fuͤllte, wollte ein Burſche,
der zu einer Geſellſchaft, die ſchon Platz genom-
men hatte, gehoͤren mogte, ſich auch auf ſeine
Art einen freien Eintritt verſchaffen, und ſtuͤrmte
ploͤtzlich mit bloßem Kopf herein, um ſich un-
befangen niederzuſetzen, als wenn er ſchon fruͤ-
her im Hauſe geweſen und ſeine Karte abgege-
ben haͤtte; der Alte aber, der ein gutes Auge
und Gedaͤchtniß hatte, ließ ſich nicht irre ma-
chen: du mußt keinen alten Mann zum Narren
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