genstand recht gute Betrachtungen in La Rives Cours de declamation gelesen, obgleich das Buch sonst viel seichtes Geschwätz eines eitlen Franzo- sen enthält.
Ich war etwa zwanzig Jahr, fuhr Lothar fort, und in jener glücklichen Verfassung, daß ich mich als Musensohn der Herr der Welt dünkte. Zwar war ich wegen meines Hanges zur Einsamkeit etwas verrufen, auch deshalb, daß ich selten an den lauten Gesellschaften an- drer Studirenden Theil nahm, weil mir ihr ro- hes Wesen widerstand; aber wenn ich mich zu Pferde sah, frei im Walde, auf kleinen oder größeren Reisen, so schien ich mir der glücklichste Mensch, um so glücklicher, als ich mich eben so wenig zur Zunft der Studenten, als zu den Zünften des bürgerlichen Lebens rechnete. Da- mals versammelte sich in Franken ein Theil der Reichs-Armee, um nach dem Rhein zu marschi- ren. In der Nähe einer großen Reichsstadt wurde ein Lager aufgeschlagen, welches aus Neu- gier von allen Ständen fleißig besucht wurde, und eine schlechte Comödianten-Truppe benutzte diesen Umstand, um sich vom General die Er- laubniß auszuwirken, unter freiem Himmel, im Lager selbst, den Grafen Waltron aufzuführen, ein Stück, welches aus lauter Militär-Perso- nen besteht und im Lager spielt. Dergleichen war schon sonst, bei andern Gelegenheiten ge- schehn. Das Lager selbst diente dann als De-
Zweite Abtheilung.
genſtand recht gute Betrachtungen in La Rives Cours de declamation geleſen, obgleich das Buch ſonſt viel ſeichtes Geſchwaͤtz eines eitlen Franzo- ſen enthaͤlt.
Ich war etwa zwanzig Jahr, fuhr Lothar fort, und in jener gluͤcklichen Verfaſſung, daß ich mich als Muſenſohn der Herr der Welt duͤnkte. Zwar war ich wegen meines Hanges zur Einſamkeit etwas verrufen, auch deshalb, daß ich ſelten an den lauten Geſellſchaften an- drer Studirenden Theil nahm, weil mir ihr ro- hes Weſen widerſtand; aber wenn ich mich zu Pferde ſah, frei im Walde, auf kleinen oder groͤßeren Reiſen, ſo ſchien ich mir der gluͤcklichſte Menſch, um ſo gluͤcklicher, als ich mich eben ſo wenig zur Zunft der Studenten, als zu den Zuͤnften des buͤrgerlichen Lebens rechnete. Da- mals verſammelte ſich in Franken ein Theil der Reichs-Armee, um nach dem Rhein zu marſchi- ren. In der Naͤhe einer großen Reichsſtadt wurde ein Lager aufgeſchlagen, welches aus Neu- gier von allen Staͤnden fleißig beſucht wurde, und eine ſchlechte Comoͤdianten-Truppe benutzte dieſen Umſtand, um ſich vom General die Er- laubniß auszuwirken, unter freiem Himmel, im Lager ſelbſt, den Grafen Waltron aufzufuͤhren, ein Stuͤck, welches aus lauter Militaͤr-Perſo- nen beſteht und im Lager ſpielt. Dergleichen war ſchon ſonſt, bei andern Gelegenheiten ge- ſchehn. Das Lager ſelbſt diente dann als De-
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Zweite Abtheilung.
genſtand recht gute Betrachtungen in La Rives
Cours de declamation geleſen, obgleich das Buch
ſonſt viel ſeichtes Geſchwaͤtz eines eitlen Franzo-
ſen enthaͤlt.
Ich war etwa zwanzig Jahr, fuhr Lothar
fort, und in jener gluͤcklichen Verfaſſung, daß
ich mich als Muſenſohn der Herr der Welt
duͤnkte. Zwar war ich wegen meines Hanges
zur Einſamkeit etwas verrufen, auch deshalb,
daß ich ſelten an den lauten Geſellſchaften an-
drer Studirenden Theil nahm, weil mir ihr ro-
hes Weſen widerſtand; aber wenn ich mich zu
Pferde ſah, frei im Walde, auf kleinen oder
groͤßeren Reiſen, ſo ſchien ich mir der gluͤcklichſte
Menſch, um ſo gluͤcklicher, als ich mich eben
ſo wenig zur Zunft der Studenten, als zu den
Zuͤnften des buͤrgerlichen Lebens rechnete. Da-
mals verſammelte ſich in Franken ein Theil der
Reichs-Armee, um nach dem Rhein zu marſchi-
ren. In der Naͤhe einer großen Reichsſtadt
wurde ein Lager aufgeſchlagen, welches aus Neu-
gier von allen Staͤnden fleißig beſucht wurde,
und eine ſchlechte Comoͤdianten-Truppe benutzte
dieſen Umſtand, um ſich vom General die Er-
laubniß auszuwirken, unter freiem Himmel, im
Lager ſelbſt, den Grafen Waltron aufzufuͤhren,
ein Stuͤck, welches aus lauter Militaͤr-Perſo-
nen beſteht und im Lager ſpielt. Dergleichen
war ſchon ſonſt, bei andern Gelegenheiten ge-
ſchehn. Das Lager ſelbſt diente dann als De-
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/403>, abgerufen am 22.11.2024.
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