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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Zweite Abtheilung.
Krankheit darüber die schlimmste Wendung neh-
men müsse. Ich aber, vom Zimmer geschützt,
vom Bett erwärmt, von der Noth des Gewit-
ters gespannt, erinnerte mich der Späße des
Lipperle, so daß ich der gutgemeinten Ermah-
nung nur mit lautem Lachen antworten konnte.
Zum Glück hatte dieser Unfall keinen bösen Ein-
fluß auf meine Genesung.

Wenn du am Lipperle und Gewitter ver-
schieden wärest, sagte Theodor, so hätte man
dir, als einem Märtyrer, eine recht poetische
Grabschrift setzen können.

Ich habe es oft, sagte Friedrich, meinem
Freunde vorgeworfen, daß er sich zu gern und
zu stark an den Scenen des gemeinsten Lebens
ergötzt; er konnte Betrunkenen durch viele Gassen
folgen, er verschmähte es nicht, Schenken und
die wüsten Gelage des gemeinen Volkes zu be-
suchen, weshalb er auch viel von den Gemähl-
den dieser Art in Fieldings und Smollets Ro-
manen hält.

Jedes an seinem Platze, antwortete Lothar,
ob ich gleich recht gut weiß, wie sehr diese Ge-
bilde unter dem edlen und kunstreichen Cervan-
tes stehn, dem sie doch nur nachgeahmt sind.
Da wir aber einmal in diese Erzählungen ge-
riethen, so erlaube man mir, einen andern Vor-
fall vorzutragen, der mich mit größerem Rechte
beschämte, der aber auch in meine früheren
Jahre fällt. Ich will nur vorher erinnern, daß

Zweite Abtheilung.
Krankheit daruͤber die ſchlimmſte Wendung neh-
men muͤſſe. Ich aber, vom Zimmer geſchuͤtzt,
vom Bett erwaͤrmt, von der Noth des Gewit-
ters geſpannt, erinnerte mich der Spaͤße des
Lipperle, ſo daß ich der gutgemeinten Ermah-
nung nur mit lautem Lachen antworten konnte.
Zum Gluͤck hatte dieſer Unfall keinen boͤſen Ein-
fluß auf meine Geneſung.

Wenn du am Lipperle und Gewitter ver-
ſchieden waͤreſt, ſagte Theodor, ſo haͤtte man
dir, als einem Maͤrtyrer, eine recht poetiſche
Grabſchrift ſetzen koͤnnen.

Ich habe es oft, ſagte Friedrich, meinem
Freunde vorgeworfen, daß er ſich zu gern und
zu ſtark an den Scenen des gemeinſten Lebens
ergoͤtzt; er konnte Betrunkenen durch viele Gaſſen
folgen, er verſchmaͤhte es nicht, Schenken und
die wuͤſten Gelage des gemeinen Volkes zu be-
ſuchen, weshalb er auch viel von den Gemaͤhl-
den dieſer Art in Fieldings und Smollets Ro-
manen haͤlt.

Jedes an ſeinem Platze, antwortete Lothar,
ob ich gleich recht gut weiß, wie ſehr dieſe Ge-
bilde unter dem edlen und kunſtreichen Cervan-
tes ſtehn, dem ſie doch nur nachgeahmt ſind.
Da wir aber einmal in dieſe Erzaͤhlungen ge-
riethen, ſo erlaube man mir, einen andern Vor-
fall vorzutragen, der mich mit groͤßerem Rechte
beſchaͤmte, der aber auch in meine fruͤheren
Jahre faͤllt. Ich will nur vorher erinnern, daß

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[392/0401] Zweite Abtheilung. Krankheit daruͤber die ſchlimmſte Wendung neh- men muͤſſe. Ich aber, vom Zimmer geſchuͤtzt, vom Bett erwaͤrmt, von der Noth des Gewit- ters geſpannt, erinnerte mich der Spaͤße des Lipperle, ſo daß ich der gutgemeinten Ermah- nung nur mit lautem Lachen antworten konnte. Zum Gluͤck hatte dieſer Unfall keinen boͤſen Ein- fluß auf meine Geneſung. Wenn du am Lipperle und Gewitter ver- ſchieden waͤreſt, ſagte Theodor, ſo haͤtte man dir, als einem Maͤrtyrer, eine recht poetiſche Grabſchrift ſetzen koͤnnen. Ich habe es oft, ſagte Friedrich, meinem Freunde vorgeworfen, daß er ſich zu gern und zu ſtark an den Scenen des gemeinſten Lebens ergoͤtzt; er konnte Betrunkenen durch viele Gaſſen folgen, er verſchmaͤhte es nicht, Schenken und die wuͤſten Gelage des gemeinen Volkes zu be- ſuchen, weshalb er auch viel von den Gemaͤhl- den dieſer Art in Fieldings und Smollets Ro- manen haͤlt. Jedes an ſeinem Platze, antwortete Lothar, ob ich gleich recht gut weiß, wie ſehr dieſe Ge- bilde unter dem edlen und kunſtreichen Cervan- tes ſtehn, dem ſie doch nur nachgeahmt ſind. Da wir aber einmal in dieſe Erzaͤhlungen ge- riethen, ſo erlaube man mir, einen andern Vor- fall vorzutragen, der mich mit groͤßerem Rechte beſchaͤmte, der aber auch in meine fruͤheren Jahre faͤllt. Ich will nur vorher erinnern, daß

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/401>, abgerufen am 25.11.2024.