Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Zweite Abtheilung. Apropos, Narrheiten! -- Was haltet Ihr davon? Die Menschen halten sehr viel davon und glauben es nicht. Jetzt erst, am Rande des Gra- bes, seh ich meine Thorheiten vollkommen ein, -- und dies vollkommene Einsehn ist nur meine letzte Thorheit. -- Wer es vorher wüßte, wie oft ihm der Witz versagte, wie oft eine Posse, die ihn er- götzt, keinem andern gefällt, -- o wer das vorher- sehn könnte, würde nimmermehr ein so langweili- ges Spiel anfangen. Vor meiner Geburt war ich gewiß schon ein Narr, denn sonst hätte mir das Klugwerden nach der Geburt etwas leichter und natürlicher ankom- men müssen. -- In meiner Kindheit war ich ein Narr, und das bedarf keines Beweises. Dann wurde ich in die Thorheit der Wissenschaften hin- ein getrieben und wurde ein ausgemachter Narr, denn ich wurde eitel und dünkte mich gelehrt und weise. Dann wurde ich ein Zänker, der Händel suchte und immer schlimm dabei weg kam. Da- rauf verbesserte ich mich zu einem furchtsamen Nar- ren, ein Zustand, den ich jetzt zum zweiten Male erlebe, und der mir die Gelegenheit verschafft, diese wenigen Betrachtungen anzustellen. Doch, daß ichs kurz mache, ich wurde ver- liebt, ja ich heirathete, eine größere Narrheit folgte der großen, nun ward ich gar Vater und sah in allem, was mein Kind schrie und spielte, die wunderbarsten Genieanlagen, verhätschelte mich in ihm und war in Zärtlichkeit und Eigenliebe der Zweite Abtheilung. Apropos, Narrheiten! — Was haltet Ihr davon? Die Menſchen halten ſehr viel davon und glauben es nicht. Jetzt erſt, am Rande des Gra- bes, ſeh ich meine Thorheiten vollkommen ein, — und dies vollkommene Einſehn iſt nur meine letzte Thorheit. — Wer es vorher wuͤßte, wie oft ihm der Witz verſagte, wie oft eine Poſſe, die ihn er- goͤtzt, keinem andern gefaͤllt, — o wer das vorher- ſehn koͤnnte, wuͤrde nimmermehr ein ſo langweili- ges Spiel anfangen. Vor meiner Geburt war ich gewiß ſchon ein Narr, denn ſonſt haͤtte mir das Klugwerden nach der Geburt etwas leichter und natuͤrlicher ankom- men muͤſſen. — In meiner Kindheit war ich ein Narr, und das bedarf keines Beweiſes. Dann wurde ich in die Thorheit der Wiſſenſchaften hin- ein getrieben und wurde ein ausgemachter Narr, denn ich wurde eitel und duͤnkte mich gelehrt und weiſe. Dann wurde ich ein Zaͤnker, der Haͤndel ſuchte und immer ſchlimm dabei weg kam. Da- rauf verbeſſerte ich mich zu einem furchtſamen Nar- ren, ein Zuſtand, den ich jetzt zum zweiten Male erlebe, und der mir die Gelegenheit verſchafft, dieſe wenigen Betrachtungen anzuſtellen. Doch, daß ichs kurz mache, ich wurde ver- liebt, ja ich heirathete, eine groͤßere Narrheit folgte der großen, nun ward ich gar Vater und ſah in allem, was mein Kind ſchrie und ſpielte, die wunderbarſten Genieanlagen, verhaͤtſchelte mich in ihm und war in Zaͤrtlichkeit und Eigenliebe der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#GRUENHELM"> <pb facs="#f0387" n="378"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> <p>Apropos, Narrheiten! — Was haltet Ihr<lb/> davon? Die Menſchen halten ſehr viel davon und<lb/> glauben es nicht. Jetzt erſt, am Rande des Gra-<lb/> bes, ſeh ich meine Thorheiten vollkommen ein, —<lb/> und dies vollkommene Einſehn iſt nur meine letzte<lb/> Thorheit. — Wer es vorher wuͤßte, wie oft ihm<lb/> der Witz verſagte, wie oft eine Poſſe, die ihn er-<lb/> goͤtzt, keinem andern gefaͤllt, — o wer das vorher-<lb/> ſehn koͤnnte, wuͤrde nimmermehr ein ſo langweili-<lb/> ges Spiel anfangen.</p><lb/> <p>Vor meiner Geburt war ich gewiß ſchon ein<lb/> Narr, denn ſonſt haͤtte mir das Klugwerden nach<lb/> der Geburt etwas leichter und natuͤrlicher ankom-<lb/> men muͤſſen. — In meiner Kindheit war ich ein<lb/> Narr, und das bedarf keines Beweiſes. Dann<lb/> wurde ich in die Thorheit der Wiſſenſchaften hin-<lb/> ein getrieben und wurde ein ausgemachter Narr,<lb/> denn ich wurde eitel und duͤnkte mich gelehrt und<lb/> weiſe. Dann wurde ich ein Zaͤnker, der Haͤndel<lb/> ſuchte und immer ſchlimm dabei weg kam. Da-<lb/> rauf verbeſſerte ich mich zu einem furchtſamen Nar-<lb/> ren, ein Zuſtand, den ich jetzt zum zweiten Male<lb/> erlebe, und der mir die Gelegenheit verſchafft, dieſe<lb/> wenigen Betrachtungen anzuſtellen.</p><lb/> <p>Doch, daß ichs kurz mache, ich wurde ver-<lb/> liebt, ja ich heirathete, eine groͤßere Narrheit<lb/> folgte der großen, nun ward ich gar Vater und<lb/> ſah in allem, was mein Kind ſchrie und ſpielte,<lb/> die wunderbarſten Genieanlagen, verhaͤtſchelte mich<lb/> in ihm und war in Zaͤrtlichkeit und Eigenliebe der<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [378/0387]
Zweite Abtheilung.
Apropos, Narrheiten! — Was haltet Ihr
davon? Die Menſchen halten ſehr viel davon und
glauben es nicht. Jetzt erſt, am Rande des Gra-
bes, ſeh ich meine Thorheiten vollkommen ein, —
und dies vollkommene Einſehn iſt nur meine letzte
Thorheit. — Wer es vorher wuͤßte, wie oft ihm
der Witz verſagte, wie oft eine Poſſe, die ihn er-
goͤtzt, keinem andern gefaͤllt, — o wer das vorher-
ſehn koͤnnte, wuͤrde nimmermehr ein ſo langweili-
ges Spiel anfangen.
Vor meiner Geburt war ich gewiß ſchon ein
Narr, denn ſonſt haͤtte mir das Klugwerden nach
der Geburt etwas leichter und natuͤrlicher ankom-
men muͤſſen. — In meiner Kindheit war ich ein
Narr, und das bedarf keines Beweiſes. Dann
wurde ich in die Thorheit der Wiſſenſchaften hin-
ein getrieben und wurde ein ausgemachter Narr,
denn ich wurde eitel und duͤnkte mich gelehrt und
weiſe. Dann wurde ich ein Zaͤnker, der Haͤndel
ſuchte und immer ſchlimm dabei weg kam. Da-
rauf verbeſſerte ich mich zu einem furchtſamen Nar-
ren, ein Zuſtand, den ich jetzt zum zweiten Male
erlebe, und der mir die Gelegenheit verſchafft, dieſe
wenigen Betrachtungen anzuſtellen.
Doch, daß ichs kurz mache, ich wurde ver-
liebt, ja ich heirathete, eine groͤßere Narrheit
folgte der großen, nun ward ich gar Vater und
ſah in allem, was mein Kind ſchrie und ſpielte,
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