Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Die verkehrte Welt. Rabe. Ich muß den Jungen doch wohl in die neumodische Schule schicken, so hart es mir auch ankommen wird, ihn nur einen Augenblick von mir zu lassen. Ich war neulich bei der Prü- fung der Kinder zugegen, o theuerste Elisa, als sie so wunderbar mauzten und prauzten (denn sie buchstabiren dort nicht) mit pf, st, rt, br, und dergleichen, halb niesend, halb hustend und gur- gelnd, ich war in Entzücken verloren. Wie be- dauerte ich, daß ich nicht von neuem auf diesen edleren Wege konnte lesen lernen! Wilhelm. Spiele mit mir, Vater! da sind die Karten, nun baue mir ein Haus. Rabe. Ich habe zu thun, mein Sohn. Wilhelm. Du sollst aber. Rabe. Nimm vernünftige Gründe an, mein Kind, ich habe wirklich keine Zeit. Das Geschäft ist dringend. Wilhelm. Ich will es aber. Rabe. Mein Sohn, wenn ich nicht beschäf- tigt wäre und ich wollte dann nicht mit dir spie- len, so könntest du mir gegründete Vorwürfe ma- chen, aber so -- Gattin. So spiele doch nur mit ihm, du siehst ja, daß er weint. Rabe. Nun so komm, Wilhelm, weine nicht. Die Arbeit hat im Grunde auch noch Zeit und kann warten. Aber sei auch hübsch artig nun, du siehst ja, daß ich dir deinen Willen thue. Gattin. Ich lasse ja auch die Wirthschaft liegen, um meine Adelaide auszubilden. Die verkehrte Welt. Rabe. Ich muß den Jungen doch wohl in die neumodiſche Schule ſchicken, ſo hart es mir auch ankommen wird, ihn nur einen Augenblick von mir zu laſſen. Ich war neulich bei der Pruͤ- fung der Kinder zugegen, o theuerſte Eliſa, als ſie ſo wunderbar mauzten und prauzten (denn ſie buchſtabiren dort nicht) mit pf, ſt, rt, br, und dergleichen, halb nieſend, halb huſtend und gur- gelnd, ich war in Entzuͤcken verloren. Wie be- dauerte ich, daß ich nicht von neuem auf dieſen edleren Wege konnte leſen lernen! Wilhelm. Spiele mit mir, Vater! da ſind die Karten, nun baue mir ein Haus. Rabe. Ich habe zu thun, mein Sohn. Wilhelm. Du ſollſt aber. Rabe. Nimm vernuͤnftige Gruͤnde an, mein Kind, ich habe wirklich keine Zeit. Das Geſchaͤft iſt dringend. Wilhelm. Ich will es aber. Rabe. Mein Sohn, wenn ich nicht beſchaͤf- tigt waͤre und ich wollte dann nicht mit dir ſpie- len, ſo koͤnnteſt du mir gegruͤndete Vorwuͤrfe ma- chen, aber ſo — Gattin. So ſpiele doch nur mit ihm, du ſiehſt ja, daß er weint. Rabe. Nun ſo komm, Wilhelm, weine nicht. Die Arbeit hat im Grunde auch noch Zeit und kann warten. Aber ſei auch huͤbſch artig nun, du ſiehſt ja, daß ich dir deinen Willen thue. Gattin. Ich laſſe ja auch die Wirthſchaft liegen, um meine Adelaide auszubilden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0348" n="339"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die verkehrte Welt</hi>.</fw><lb/> <sp who="#RAB"> <speaker><hi rendition="#g">Rabe</hi>.</speaker> <p>Ich muß den Jungen doch wohl in<lb/> die neumodiſche Schule ſchicken, ſo hart es mir<lb/> auch ankommen wird, ihn nur einen Augenblick<lb/> von mir zu laſſen. Ich war neulich bei der Pruͤ-<lb/> fung der Kinder zugegen, o theuerſte Eliſa, als<lb/> ſie ſo wunderbar mauzten und prauzten (denn ſie<lb/> buchſtabiren dort nicht) mit pf, ſt, rt, br, und<lb/> dergleichen, halb nieſend, halb huſtend und gur-<lb/> gelnd, ich war in Entzuͤcken verloren. Wie be-<lb/> dauerte ich, daß ich nicht von neuem auf dieſen<lb/> edleren Wege konnte leſen lernen!</p> </sp><lb/> <sp who="#WIL"> <speaker><hi rendition="#g">Wilhelm</hi>.</speaker> <p>Spiele mit mir, Vater! da ſind<lb/> die Karten, nun baue mir ein Haus.</p> </sp><lb/> <sp who="#RAB"> <speaker><hi rendition="#g">Rabe</hi>.</speaker> <p>Ich habe zu thun, mein Sohn.</p> </sp><lb/> <sp who="#WIL"> <speaker><hi rendition="#g">Wilhelm</hi>.</speaker> <p>Du ſollſt aber.</p> </sp><lb/> <sp who="#RAB"> <speaker><hi rendition="#g">Rabe</hi>.</speaker> <p>Nimm vernuͤnftige Gruͤnde an, mein<lb/> Kind, ich habe wirklich keine Zeit. Das Geſchaͤft<lb/> iſt dringend.</p> </sp><lb/> <sp who="#WIL"> <speaker><hi rendition="#g">Wilhelm</hi>.</speaker> <p>Ich will es aber.</p> </sp><lb/> <sp who="#RAB"> <speaker><hi rendition="#g">Rabe</hi>.</speaker> <p>Mein Sohn, wenn ich nicht beſchaͤf-<lb/> tigt waͤre und ich wollte dann nicht mit dir ſpie-<lb/> len, ſo koͤnnteſt du mir gegruͤndete Vorwuͤrfe ma-<lb/> chen, aber ſo —</p> </sp><lb/> <sp who="#GATTIN"> <speaker><hi rendition="#g">Gattin</hi>.</speaker> <p>So ſpiele doch nur mit ihm, du<lb/> ſiehſt ja, daß er weint.</p> </sp><lb/> <sp who="#RAB"> <speaker><hi rendition="#g">Rabe</hi>.</speaker> <p>Nun ſo komm, Wilhelm, weine nicht.<lb/> Die Arbeit hat im Grunde auch noch Zeit und<lb/> kann warten. Aber ſei auch huͤbſch artig nun, du<lb/> ſiehſt ja, daß ich dir deinen Willen thue.</p> </sp><lb/> <sp who="#GATTIN"> <speaker><hi rendition="#g">Gattin</hi>.</speaker> <p>Ich laſſe ja auch die Wirthſchaft<lb/> liegen, um meine Adelaide auszubilden.</p> </sp><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [339/0348]
Die verkehrte Welt.
Rabe. Ich muß den Jungen doch wohl in
die neumodiſche Schule ſchicken, ſo hart es mir
auch ankommen wird, ihn nur einen Augenblick
von mir zu laſſen. Ich war neulich bei der Pruͤ-
fung der Kinder zugegen, o theuerſte Eliſa, als
ſie ſo wunderbar mauzten und prauzten (denn ſie
buchſtabiren dort nicht) mit pf, ſt, rt, br, und
dergleichen, halb nieſend, halb huſtend und gur-
gelnd, ich war in Entzuͤcken verloren. Wie be-
dauerte ich, daß ich nicht von neuem auf dieſen
edleren Wege konnte leſen lernen!
Wilhelm. Spiele mit mir, Vater! da ſind
die Karten, nun baue mir ein Haus.
Rabe. Ich habe zu thun, mein Sohn.
Wilhelm. Du ſollſt aber.
Rabe. Nimm vernuͤnftige Gruͤnde an, mein
Kind, ich habe wirklich keine Zeit. Das Geſchaͤft
iſt dringend.
Wilhelm. Ich will es aber.
Rabe. Mein Sohn, wenn ich nicht beſchaͤf-
tigt waͤre und ich wollte dann nicht mit dir ſpie-
len, ſo koͤnnteſt du mir gegruͤndete Vorwuͤrfe ma-
chen, aber ſo —
Gattin. So ſpiele doch nur mit ihm, du
ſiehſt ja, daß er weint.
Rabe. Nun ſo komm, Wilhelm, weine nicht.
Die Arbeit hat im Grunde auch noch Zeit und
kann warten. Aber ſei auch huͤbſch artig nun, du
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Gattin. Ich laſſe ja auch die Wirthſchaft
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Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/348>, abgerufen am 16.02.2025. |