Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Die verkehrte Welt. Mein liebend banges Auge ihn zu treffen. -- Ach, warum ist die Liebe immer krank Und eingeengt? Nur Leid erkauft die Wonne, Und Wochen Grams den frohen Augenblick. Wie? Ist denn dies die Satzung der Natur? Trifft mich und ihn nur dieses harte Loos? Ach Leben, wie wärst Du so reizend schön, Wenn Du nicht unsern allzu zarten Händen Für eine Rose tausend Dornen reichtest; Wenn wir mit Sicherheit den Pfad hinunter Spazieren können, überzeugt, beblümte Gefilde anzutreffen, muntre Quellen, Und kühle Schatten unter Myrtenbäumen. Doch sorgsam prüfend setzen wir den Fuß, Auch wenn der Weg im Anfang freundlich scheint; Führt er uns wohl in dunkle schwarze Wälder? Vielleicht zu schroffen, abgelegnen Klippen? Wird auch die Liebe immer mit uns gehn? So zagen wir und zweifeln, und vergessen Im Zweifel selbst die holde Gegenwart, Die, ach! so flüchtig eilet, zu genießen, Der Fremde oder der junge Mensch tritt als Fernando auf. Fernando. Du bist schon früh im Garten, meine Liebe. Laura. Ich habe meine Liebe hier erwartet. Fernando. O Du beschämst die muntre Morgenröthe. Laura. Und selber Dich, Fernando, lieber Freund. Die verkehrte Welt. Mein liebend banges Auge ihn zu treffen. — Ach, warum iſt die Liebe immer krank Und eingeengt? Nur Leid erkauft die Wonne, Und Wochen Grams den frohen Augenblick. Wie? Iſt denn dies die Satzung der Natur? Trifft mich und ihn nur dieſes harte Loos? Ach Leben, wie waͤrſt Du ſo reizend ſchoͤn, Wenn Du nicht unſern allzu zarten Haͤnden Fuͤr eine Roſe tauſend Dornen reichteſt; Wenn wir mit Sicherheit den Pfad hinunter Spazieren koͤnnen, uͤberzeugt, bebluͤmte Gefilde anzutreffen, muntre Quellen, Und kuͤhle Schatten unter Myrtenbaͤumen. Doch ſorgſam pruͤfend ſetzen wir den Fuß, Auch wenn der Weg im Anfang freundlich ſcheint; Fuͤhrt er uns wohl in dunkle ſchwarze Waͤlder? Vielleicht zu ſchroffen, abgelegnen Klippen? Wird auch die Liebe immer mit uns gehn? So zagen wir und zweifeln, und vergeſſen Im Zweifel ſelbſt die holde Gegenwart, Die, ach! ſo fluͤchtig eilet, zu genießen, Der Fremde oder der junge Menſch tritt als Fernando auf. Fernando. Du biſt ſchon fruͤh im Garten, meine Liebe. Laura. Ich habe meine Liebe hier erwartet. Fernando. O Du beſchaͤmſt die muntre Morgenroͤthe. Laura. Und ſelber Dich, Fernando, lieber Freund. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <sp who="#LAU"> <pb facs="#f0336" n="327"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die verkehrte Welt</hi>.</fw><lb/> <lg type="poem"> <l>Mein liebend banges Auge ihn zu treffen. —</l><lb/> <l>Ach, warum iſt die Liebe immer krank</l><lb/> <l>Und eingeengt? Nur Leid erkauft die Wonne,</l><lb/> <l>Und Wochen Grams den frohen Augenblick.</l><lb/> <l>Wie? Iſt denn dies die Satzung der Natur?</l><lb/> <l>Trifft mich und ihn nur dieſes harte Loos?</l><lb/> <l>Ach Leben, wie waͤrſt Du ſo reizend ſchoͤn,</l><lb/> <l>Wenn Du nicht unſern allzu zarten Haͤnden</l><lb/> <l>Fuͤr eine Roſe tauſend Dornen reichteſt;</l><lb/> <l>Wenn wir mit Sicherheit den Pfad hinunter</l><lb/> <l>Spazieren koͤnnen, uͤberzeugt, bebluͤmte</l><lb/> <l>Gefilde anzutreffen, muntre Quellen,</l><lb/> <l>Und kuͤhle Schatten unter Myrtenbaͤumen.</l><lb/> <l>Doch ſorgſam pruͤfend ſetzen wir den Fuß,</l><lb/> <l>Auch wenn der Weg im Anfang freundlich ſcheint;</l><lb/> <l>Fuͤhrt er uns wohl in dunkle ſchwarze Waͤlder?</l><lb/> <l>Vielleicht zu ſchroffen, abgelegnen Klippen?</l><lb/> <l>Wird auch die Liebe immer mit uns gehn?</l><lb/> <l>So zagen wir und zweifeln, und vergeſſen</l><lb/> <l>Im Zweifel ſelbſt die holde Gegenwart,</l><lb/> <l>Die, ach! ſo fluͤchtig eilet, zu genießen,</l> </lg><lb/> <stage><hi rendition="#g">Der Fremde</hi> oder <hi rendition="#g">der junge Menſch</hi> tritt<lb/> als Fernando auf.</stage> </sp><lb/> <sp who="#FER"> <speaker><hi rendition="#g">Fernando</hi>.</speaker><lb/> <p>Du biſt ſchon fruͤh im Garten, meine Liebe.</p> </sp><lb/> <sp who="#LAU"> <speaker><hi rendition="#g">Laura</hi>.</speaker><lb/> <p>Ich habe meine Liebe hier erwartet.</p> </sp><lb/> <sp who="#FER"> <speaker><hi rendition="#g">Fernando</hi>.</speaker><lb/> <p>O Du beſchaͤmſt die muntre Morgenroͤthe.</p> </sp><lb/> <sp who="#LAU"> <speaker><hi rendition="#g">Laura</hi>.</speaker><lb/> <p>Und ſelber Dich, Fernando, lieber Freund.</p> </sp><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [327/0336]
Die verkehrte Welt.
Mein liebend banges Auge ihn zu treffen. —
Ach, warum iſt die Liebe immer krank
Und eingeengt? Nur Leid erkauft die Wonne,
Und Wochen Grams den frohen Augenblick.
Wie? Iſt denn dies die Satzung der Natur?
Trifft mich und ihn nur dieſes harte Loos?
Ach Leben, wie waͤrſt Du ſo reizend ſchoͤn,
Wenn Du nicht unſern allzu zarten Haͤnden
Fuͤr eine Roſe tauſend Dornen reichteſt;
Wenn wir mit Sicherheit den Pfad hinunter
Spazieren koͤnnen, uͤberzeugt, bebluͤmte
Gefilde anzutreffen, muntre Quellen,
Und kuͤhle Schatten unter Myrtenbaͤumen.
Doch ſorgſam pruͤfend ſetzen wir den Fuß,
Auch wenn der Weg im Anfang freundlich ſcheint;
Fuͤhrt er uns wohl in dunkle ſchwarze Waͤlder?
Vielleicht zu ſchroffen, abgelegnen Klippen?
Wird auch die Liebe immer mit uns gehn?
So zagen wir und zweifeln, und vergeſſen
Im Zweifel ſelbſt die holde Gegenwart,
Die, ach! ſo fluͤchtig eilet, zu genießen,
Der Fremde oder der junge Menſch tritt
als Fernando auf.
Fernando.
Du biſt ſchon fruͤh im Garten, meine Liebe.
Laura.
Ich habe meine Liebe hier erwartet.
Fernando.
O Du beſchaͤmſt die muntre Morgenroͤthe.
Laura.
Und ſelber Dich, Fernando, lieber Freund.
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Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/336>, abgerufen am 16.02.2025. |