Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Zweite Abtheilung. Kunst, weil auf der Zweiheit, der Doppelheitdes menschlichen Geistes, dem wunderbaren Wi- derspruch in uns, seine Basis ruht. Die wun- derliche Absicht des Theaters, eine Geschichte in größter Lebendigkeit vor uns hinzustellen, hat Schakspear mehr als einmal in der Tragödie ironisirt, wo er in diesem Augenblick sein Schau- spiel für Wahrheit ausgiebt, und im Gegengensatze dieser vom Theater das Theater selbst als Lüge und schwache Nachahmung herabsetzt. Er mußte seiner Sache sehr gewiß seyn, daß er jene Stö- rung der Illusion nicht befürchtete, die fast alle neueren Lehrbücher der Kunst prophezeien, wenn im Theater das Theater erwähnt wird. Wilibald, sagte Auguste, hat sich diese ganze Wilibald verneigte sich stillschweigend, und Wenn das geschieht, sagte Manfred, so ist Zweite Abtheilung. Kunſt, weil auf der Zweiheit, der Doppelheitdes menſchlichen Geiſtes, dem wunderbaren Wi- derſpruch in uns, ſeine Baſis ruht. Die wun- derliche Abſicht des Theaters, eine Geſchichte in groͤßter Lebendigkeit vor uns hinzuſtellen, hat Schakſpear mehr als einmal in der Tragoͤdie ironiſirt, wo er in dieſem Augenblick ſein Schau- ſpiel fuͤr Wahrheit ausgiebt, und im Gegengenſatze dieſer vom Theater das Theater ſelbſt als Luͤge und ſchwache Nachahmung herabſetzt. Er mußte ſeiner Sache ſehr gewiß ſeyn, daß er jene Stoͤ- rung der Illuſion nicht befuͤrchtete, die faſt alle neueren Lehrbuͤcher der Kunſt prophezeien, wenn im Theater das Theater erwaͤhnt wird. Wilibald, ſagte Auguſte, hat ſich dieſe ganze Wilibald verneigte ſich ſtillſchweigend, und Wenn das geſchieht, ſagte Manfred, ſo iſt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0259" n="250"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> Kunſt, weil auf der Zweiheit, der Doppelheit<lb/> des menſchlichen Geiſtes, dem wunderbaren Wi-<lb/> derſpruch in uns, ſeine Baſis ruht. Die wun-<lb/> derliche Abſicht des Theaters, eine Geſchichte<lb/> in groͤßter Lebendigkeit vor uns hinzuſtellen, hat<lb/> Schakſpear mehr als einmal in der Tragoͤdie<lb/> ironiſirt, wo er in dieſem Augenblick ſein Schau-<lb/> ſpiel fuͤr Wahrheit ausgiebt, und im Gegengenſatze<lb/> dieſer vom Theater das Theater ſelbſt als Luͤge<lb/> und ſchwache Nachahmung herabſetzt. Er mußte<lb/> ſeiner Sache ſehr gewiß ſeyn, daß er jene Stoͤ-<lb/> rung der Illuſion nicht befuͤrchtete, die faſt alle<lb/> neueren Lehrbuͤcher der Kunſt prophezeien, wenn<lb/> im Theater das Theater erwaͤhnt wird.</p><lb/> <p>Wilibald, ſagte Auguſte, hat ſich dieſe ganze<lb/> Zeit uͤber gegen uns und die Vorleſer unartig<lb/> betragen, und ich erklaͤre ihm hiermit meine voͤl-<lb/> lige Ungnade, wenn er ſein Vergehen nicht durch<lb/> ein aͤhnliches Luſtſpiel wieder gut macht, das,<lb/> wo moͤglich noch kindiſcher und thoͤrichter<lb/> ſeyn ſoll.</p><lb/> <p>Wilibald verneigte ſich ſtillſchweigend, und<lb/> Emilie fuhr fort: auch kann ich den Scherz<lb/> nicht billigen, welcher Perſonen nahmhaft macht,<lb/> und ſie komiſch darſtellt; denn warum ſoll eine<lb/> heitere Stimmung Menſchen gegen einander<lb/> empoͤren?</p><lb/> <p>Wenn das geſchieht, ſagte Manfred, ſo iſt<lb/> die Stimmung wohl keine heitre, doch hat das<lb/> Luſtſpiel und die Kuſt nicht leicht der Perſoͤnlich-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [250/0259]
Zweite Abtheilung.
Kunſt, weil auf der Zweiheit, der Doppelheit
des menſchlichen Geiſtes, dem wunderbaren Wi-
derſpruch in uns, ſeine Baſis ruht. Die wun-
derliche Abſicht des Theaters, eine Geſchichte
in groͤßter Lebendigkeit vor uns hinzuſtellen, hat
Schakſpear mehr als einmal in der Tragoͤdie
ironiſirt, wo er in dieſem Augenblick ſein Schau-
ſpiel fuͤr Wahrheit ausgiebt, und im Gegengenſatze
dieſer vom Theater das Theater ſelbſt als Luͤge
und ſchwache Nachahmung herabſetzt. Er mußte
ſeiner Sache ſehr gewiß ſeyn, daß er jene Stoͤ-
rung der Illuſion nicht befuͤrchtete, die faſt alle
neueren Lehrbuͤcher der Kunſt prophezeien, wenn
im Theater das Theater erwaͤhnt wird.
Wilibald, ſagte Auguſte, hat ſich dieſe ganze
Zeit uͤber gegen uns und die Vorleſer unartig
betragen, und ich erklaͤre ihm hiermit meine voͤl-
lige Ungnade, wenn er ſein Vergehen nicht durch
ein aͤhnliches Luſtſpiel wieder gut macht, das,
wo moͤglich noch kindiſcher und thoͤrichter
ſeyn ſoll.
Wilibald verneigte ſich ſtillſchweigend, und
Emilie fuhr fort: auch kann ich den Scherz
nicht billigen, welcher Perſonen nahmhaft macht,
und ſie komiſch darſtellt; denn warum ſoll eine
heitere Stimmung Menſchen gegen einander
empoͤren?
Wenn das geſchieht, ſagte Manfred, ſo iſt
die Stimmung wohl keine heitre, doch hat das
Luſtſpiel und die Kuſt nicht leicht der Perſoͤnlich-
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