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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Zweite Abtheilung.
kleines Stück nicht in einen Akt zu bringen ver-
mag, ist seines Gegenstandes entweder noch nicht
mächtig geworden, oder er hat ein größeres Ge-
dicht zu sehr zusammengedrängt, und es an ei-
nem Akte fehlen lassen.

So müssen also die Spanier wohl, sagte
Clara, die vollkommenste Eintheilung ihrer Schau-
spiele getroffen haben.

Für die symmetrische Bearbeitung ihrer Ge-
genstände ohne Zweifel, antwortete Lothar, doch
scheint die Zahl Fünf nur eine künstlich erwei-
terte und verhüllte Drei; ich meine nehmlich,
daß sich hier die Symmetrie, Thesis, Antithe-
sis und Synthesis mehr verbirgt und weniger
in die Augen fällt; die Regel ist hier bescheide-
ner und die Aufgabe einer richtigen Abtheilung
daher um so schwieriger. Drei ist mehr mathe-
matisch, Fünf organisch, Sieben mystisch; durch
die Einfachheit neigt sich die Drei mehr zur Alle-
gorie, die Fünf ist leichtsinniger und verständiger,
wenn gleich weniger philosophisch.

Gewiß, warf Manfred ein, ist in diesen
anscheinenden Zufälligkeiten, die seltsam klingen,
wenn man sie motiviren will, doch Grund und
Ursach anzutreffen, denn ein Schauspiel in fünf
Akten soll gleich von innen heraus anders ge-
arbeitet seyn, als dasjenige, welches in drei
Theile zerfällt. Die Französische Bühne hätte
in allen ihren Tragödien nicht die vielen Lücken-
büßer und leeren Episoden erhalten, wenn der
Zweite Abtheilung.
kleines Stuͤck nicht in einen Akt zu bringen ver-
mag, iſt ſeines Gegenſtandes entweder noch nicht
maͤchtig geworden, oder er hat ein groͤßeres Ge-
dicht zu ſehr zuſammengedraͤngt, und es an ei-
nem Akte fehlen laſſen.

So muͤſſen alſo die Spanier wohl, ſagte
Clara, die vollkommenſte Eintheilung ihrer Schau-
ſpiele getroffen haben.

Fuͤr die ſymmetriſche Bearbeitung ihrer Ge-
genſtaͤnde ohne Zweifel, antwortete Lothar, doch
ſcheint die Zahl Fuͤnf nur eine kuͤnſtlich erwei-
terte und verhuͤllte Drei; ich meine nehmlich,
daß ſich hier die Symmetrie, Theſis, Antithe-
ſis und Syntheſis mehr verbirgt und weniger
in die Augen faͤllt; die Regel iſt hier beſcheide-
ner und die Aufgabe einer richtigen Abtheilung
daher um ſo ſchwieriger. Drei iſt mehr mathe-
matiſch, Fuͤnf organiſch, Sieben myſtiſch; durch
die Einfachheit neigt ſich die Drei mehr zur Alle-
gorie, die Fuͤnf iſt leichtſinniger und verſtaͤndiger,
wenn gleich weniger philoſophiſch.

Gewiß, warf Manfred ein, iſt in dieſen
anſcheinenden Zufaͤlligkeiten, die ſeltſam klingen,
wenn man ſie motiviren will, doch Grund und
Urſach anzutreffen, denn ein Schauſpiel in fuͤnf
Akten ſoll gleich von innen heraus anders ge-
arbeitet ſeyn, als dasjenige, welches in drei
Theile zerfaͤllt. Die Franzoͤſiſche Buͤhne haͤtte
in allen ihren Tragoͤdien nicht die vielen Luͤcken-
buͤßer und leeren Epiſoden erhalten, wenn der
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[138/0147] Zweite Abtheilung. kleines Stuͤck nicht in einen Akt zu bringen ver- mag, iſt ſeines Gegenſtandes entweder noch nicht maͤchtig geworden, oder er hat ein groͤßeres Ge- dicht zu ſehr zuſammengedraͤngt, und es an ei- nem Akte fehlen laſſen. So muͤſſen alſo die Spanier wohl, ſagte Clara, die vollkommenſte Eintheilung ihrer Schau- ſpiele getroffen haben. Fuͤr die ſymmetriſche Bearbeitung ihrer Ge- genſtaͤnde ohne Zweifel, antwortete Lothar, doch ſcheint die Zahl Fuͤnf nur eine kuͤnſtlich erwei- terte und verhuͤllte Drei; ich meine nehmlich, daß ſich hier die Symmetrie, Theſis, Antithe- ſis und Syntheſis mehr verbirgt und weniger in die Augen faͤllt; die Regel iſt hier beſcheide- ner und die Aufgabe einer richtigen Abtheilung daher um ſo ſchwieriger. Drei iſt mehr mathe- matiſch, Fuͤnf organiſch, Sieben myſtiſch; durch die Einfachheit neigt ſich die Drei mehr zur Alle- gorie, die Fuͤnf iſt leichtſinniger und verſtaͤndiger, wenn gleich weniger philoſophiſch. Gewiß, warf Manfred ein, iſt in dieſen anſcheinenden Zufaͤlligkeiten, die ſeltſam klingen, wenn man ſie motiviren will, doch Grund und Urſach anzutreffen, denn ein Schauſpiel in fuͤnf Akten ſoll gleich von innen heraus anders ge- arbeitet ſeyn, als dasjenige, welches in drei Theile zerfaͤllt. Die Franzoͤſiſche Buͤhne haͤtte in allen ihren Tragoͤdien nicht die vielen Luͤcken- buͤßer und leeren Epiſoden erhalten, wenn der

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/147>, abgerufen am 23.11.2024.