bist, jetzt würdest du es wohl nur sehr frivol aufnehmen, und ich bin doch überzeugt, daß diese Vergleichungen sich eben auch so gründlich durchführen lassen, wie alle übrigen.
Es war eine Zeit, sagte Emilie, in der es die Schriftsteller, die über die Poesie schrieben, niedrig und gemein finden wollten, das Ge- schmack zu nennen, was in Werken der Künste das Gute von dem Schlechten sondert.
Das war eben in jener geschmacklosen Zeit, sagte Theodor.
Wer noch nie über das Tiefe und Innige des Geschmacks, über seine chemischen Zersetzun- gen und universellen Urtheile nachgedacht hat, versetzte Ernst, der dürfte nur einiges über die- sen Gegenstand in den Schriften mancher My- stiker lesen, um zu erstaunen, und die Veräch- ter dieses Sinnes zu verachten.
Er dürfte auch nur hungern, sagte Wili- bald, und dann essen.
Lieber noch dursten, sagte Anton, und dann trinken, indem er selber bedächtig trank.
Am kürzesten ist es' gewiß, antwortete Friede- rich, indeß wie selten werden wir darauf geführt, das zu beobachten, und uns über dasjenige zu unterrichten, was wir in uns Instinkt nennen, und doch ist der Philosoph nur ein unvollkom- mener, der in diese Gegend seinen spähenden Geist noch niemals ausgesendet hat.
So ist es freilich mit allen Sinnen, fuhr
Einleitung.
biſt, jetzt wuͤrdeſt du es wohl nur ſehr frivol aufnehmen, und ich bin doch uͤberzeugt, daß dieſe Vergleichungen ſich eben auch ſo gruͤndlich durchfuͤhren laſſen, wie alle uͤbrigen.
Es war eine Zeit, ſagte Emilie, in der es die Schriftſteller, die uͤber die Poeſie ſchrieben, niedrig und gemein finden wollten, das Ge- ſchmack zu nennen, was in Werken der Kuͤnſte das Gute von dem Schlechten ſondert.
Das war eben in jener geſchmackloſen Zeit, ſagte Theodor.
Wer noch nie uͤber das Tiefe und Innige des Geſchmacks, uͤber ſeine chemiſchen Zerſetzun- gen und univerſellen Urtheile nachgedacht hat, verſetzte Ernſt, der duͤrfte nur einiges uͤber die- ſen Gegenſtand in den Schriften mancher My- ſtiker leſen, um zu erſtaunen, und die Veraͤch- ter dieſes Sinnes zu verachten.
Er duͤrfte auch nur hungern, ſagte Wili- bald, und dann eſſen.
Lieber noch durſten, ſagte Anton, und dann trinken, indem er ſelber bedaͤchtig trank.
Am kuͤrzeſten iſt es' gewiß, antwortete Friede- rich, indeß wie ſelten werden wir darauf gefuͤhrt, das zu beobachten, und uns uͤber dasjenige zu unterrichten, was wir in uns Inſtinkt nennen, und doch iſt der Philoſoph nur ein unvollkom- mener, der in dieſe Gegend ſeinen ſpaͤhenden Geiſt noch niemals ausgeſendet hat.
So iſt es freilich mit allen Sinnen, fuhr
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Einleitung.
biſt, jetzt wuͤrdeſt du es wohl nur ſehr frivol
aufnehmen, und ich bin doch uͤberzeugt, daß
dieſe Vergleichungen ſich eben auch ſo gruͤndlich
durchfuͤhren laſſen, wie alle uͤbrigen.
Es war eine Zeit, ſagte Emilie, in der es
die Schriftſteller, die uͤber die Poeſie ſchrieben,
niedrig und gemein finden wollten, das Ge-
ſchmack zu nennen, was in Werken der Kuͤnſte
das Gute von dem Schlechten ſondert.
Das war eben in jener geſchmackloſen Zeit,
ſagte Theodor.
Wer noch nie uͤber das Tiefe und Innige
des Geſchmacks, uͤber ſeine chemiſchen Zerſetzun-
gen und univerſellen Urtheile nachgedacht hat,
verſetzte Ernſt, der duͤrfte nur einiges uͤber die-
ſen Gegenſtand in den Schriften mancher My-
ſtiker leſen, um zu erſtaunen, und die Veraͤch-
ter dieſes Sinnes zu verachten.
Er duͤrfte auch nur hungern, ſagte Wili-
bald, und dann eſſen.
Lieber noch durſten, ſagte Anton, und dann
trinken, indem er ſelber bedaͤchtig trank.
Am kuͤrzeſten iſt es' gewiß, antwortete Friede-
rich, indeß wie ſelten werden wir darauf gefuͤhrt,
das zu beobachten, und uns uͤber dasjenige zu
unterrichten, was wir in uns Inſtinkt nennen,
und doch iſt der Philoſoph nur ein unvollkom-
mener, der in dieſe Gegend ſeinen ſpaͤhenden
Geiſt noch niemals ausgeſendet hat.
So iſt es freilich mit allen Sinnen, fuhr
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/95>, abgerufen am 24.11.2024.
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