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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Einleitung.
rung die Bedienten gerufen und ungerufen mit
allen möglichen Erfrischungen balanzirend dazwi-
schen tanzen, jeder Geladene durch alle Zimmer
schweift, um zu suchen, er weiß nicht was, und
ein Ordnungsliebender gern am Ofen, oder an
irgend einem Fenster Posto faßt, um in der all-
gemeinen Flucht nur nicht umgelaufen, oder von
der völkerwandernden Unterhaltung erfaßt und
mitgenommen zu werden.

Dieses, sagte Manfred, ist der wahre hohe
Styl unsers geselligen Lebens, Michel Angelo's
jüngstes Gericht gegen die Miniaturbilder alter
Gastlichkeit und traulicher Freundschaft, der Be-
schluß der Kunst, das Endziel der Imagination,
die Vollendung der Zeiten, von der alle Prophe-
ten nur haben weissagen können.

Vergessen wir nur nicht, unterbrach Ernst,
die Festlichkeiten des Mittelalters, wo nicht sel-
ten Tausende vom Adel als Gäste versammelt
waren; doch hatte jener freimüthige frohe Sinn
nichts von der Zerstreutheit unserer Zeit, und
ihre glänzenden Waffenkämpfe, diese Spiele, bei
denen die Kraft mit der Gefahr scherzte, verei-
nigten alle Gemüther zu einem herrlichen Mittel-
punkte hin. Die Schätze der Welt sind wohl
noch niemals so öffentlich und in so schönem
großen Sinne genossen worden.

Wie soll denn nun aber nach deiner Vor-
stellung ein Gastmahl endigen? fragte Wilibald;
was sollte denn wohl auf diesen lustigen Leicht-

I. [ 6 ]

Einleitung.
rung die Bedienten gerufen und ungerufen mit
allen moͤglichen Erfriſchungen balanzirend dazwi-
ſchen tanzen, jeder Geladene durch alle Zimmer
ſchweift, um zu ſuchen, er weiß nicht was, und
ein Ordnungsliebender gern am Ofen, oder an
irgend einem Fenſter Poſto faßt, um in der all-
gemeinen Flucht nur nicht umgelaufen, oder von
der voͤlkerwandernden Unterhaltung erfaßt und
mitgenommen zu werden.

Dieſes, ſagte Manfred, iſt der wahre hohe
Styl unſers geſelligen Lebens, Michel Angelo's
juͤngſtes Gericht gegen die Miniaturbilder alter
Gaſtlichkeit und traulicher Freundſchaft, der Be-
ſchluß der Kunſt, das Endziel der Imagination,
die Vollendung der Zeiten, von der alle Prophe-
ten nur haben weiſſagen koͤnnen.

Vergeſſen wir nur nicht, unterbrach Ernſt,
die Feſtlichkeiten des Mittelalters, wo nicht ſel-
ten Tauſende vom Adel als Gaͤſte verſammelt
waren; doch hatte jener freimuͤthige frohe Sinn
nichts von der Zerſtreutheit unſerer Zeit, und
ihre glaͤnzenden Waffenkaͤmpfe, dieſe Spiele, bei
denen die Kraft mit der Gefahr ſcherzte, verei-
nigten alle Gemuͤther zu einem herrlichen Mittel-
punkte hin. Die Schaͤtze der Welt ſind wohl
noch niemals ſo oͤffentlich und in ſo ſchoͤnem
großen Sinne genoſſen worden.

Wie ſoll denn nun aber nach deiner Vor-
ſtellung ein Gaſtmahl endigen? fragte Wilibald;
was ſollte denn wohl auf dieſen luſtigen Leicht-

I. [ 6 ]
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[81/0092] Einleitung. rung die Bedienten gerufen und ungerufen mit allen moͤglichen Erfriſchungen balanzirend dazwi- ſchen tanzen, jeder Geladene durch alle Zimmer ſchweift, um zu ſuchen, er weiß nicht was, und ein Ordnungsliebender gern am Ofen, oder an irgend einem Fenſter Poſto faßt, um in der all- gemeinen Flucht nur nicht umgelaufen, oder von der voͤlkerwandernden Unterhaltung erfaßt und mitgenommen zu werden. Dieſes, ſagte Manfred, iſt der wahre hohe Styl unſers geſelligen Lebens, Michel Angelo's juͤngſtes Gericht gegen die Miniaturbilder alter Gaſtlichkeit und traulicher Freundſchaft, der Be- ſchluß der Kunſt, das Endziel der Imagination, die Vollendung der Zeiten, von der alle Prophe- ten nur haben weiſſagen koͤnnen. Vergeſſen wir nur nicht, unterbrach Ernſt, die Feſtlichkeiten des Mittelalters, wo nicht ſel- ten Tauſende vom Adel als Gaͤſte verſammelt waren; doch hatte jener freimuͤthige frohe Sinn nichts von der Zerſtreutheit unſerer Zeit, und ihre glaͤnzenden Waffenkaͤmpfe, dieſe Spiele, bei denen die Kraft mit der Gefahr ſcherzte, verei- nigten alle Gemuͤther zu einem herrlichen Mittel- punkte hin. Die Schaͤtze der Welt ſind wohl noch niemals ſo oͤffentlich und in ſo ſchoͤnem großen Sinne genoſſen worden. Wie ſoll denn nun aber nach deiner Vor- ſtellung ein Gaſtmahl endigen? fragte Wilibald; was ſollte denn wohl auf dieſen luſtigen Leicht- I. [ 6 ]

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/92>, abgerufen am 24.11.2024.