Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
den Spatziergang von neuem mit Schiffbruch
bedroht. O Gott! und nach allen diesen Leiden
soll unser eins nachher noch liebenswürdig sein!

Das ist ja eben die Liebenswürdigkeit, sagte
Auguste, denn wenn euch alles entgegen getra-
gen, allen euren Launen geschmeichelt wird,
wenn man euch so schlicht hin für Herrscher er-
klärt, daß ihr dann zuweilen ein wenig liebens-
würdig seid, ist doch wahrlich kein Verdienst.

Um wieder auf die Suppe zu kommen, die
jetzt genossen ist, sagte Lothar, so rührt es wohl
nicht so sehr von einem materiellen Bedürfniß
her, daß man bei ihr wenig spricht, sondern
mich dünkt jedes Mahl und Fest ist einem
Schauspiel, am besten einem Shakspearschen Lust-
spiel, zu vergleichen, und hat seine Regeln und
Nothwendigkeiten, die sich auch unbewußt in
den meisten Fällen aussprechen.

Wie könnte es wohl einem verständigen
Menschen etwas anders sein? unterbrach ihn
Wilibald mit Lachen; o wie oft ist doch unbe-
wußt der Lustspieldichter selbst ein erfreulicher
Gegenstand für ein Lustspiel!

Laß ihn sprechen, sagte Manfred, magst du
doch die Mahlzeit nachher mit einer Schlacht,
oder gar mit der Weltgeschichte vergleichen; am
Tisch muß unbedingte Gedanken- und Eßfreiheit
herrschen.

Daß die abwechselnden Gerichte und Gänge,
fuhr Lothar fort, sich mit Akten und Scenen

Einleitung.
den Spatziergang von neuem mit Schiffbruch
bedroht. O Gott! und nach allen dieſen Leiden
ſoll unſer eins nachher noch liebenswuͤrdig ſein!

Das iſt ja eben die Liebenswuͤrdigkeit, ſagte
Auguſte, denn wenn euch alles entgegen getra-
gen, allen euren Launen geſchmeichelt wird,
wenn man euch ſo ſchlicht hin fuͤr Herrſcher er-
klaͤrt, daß ihr dann zuweilen ein wenig liebens-
wuͤrdig ſeid, iſt doch wahrlich kein Verdienſt.

Um wieder auf die Suppe zu kommen, die
jetzt genoſſen iſt, ſagte Lothar, ſo ruͤhrt es wohl
nicht ſo ſehr von einem materiellen Beduͤrfniß
her, daß man bei ihr wenig ſpricht, ſondern
mich duͤnkt jedes Mahl und Feſt iſt einem
Schauſpiel, am beſten einem Shakſpearſchen Luſt-
ſpiel, zu vergleichen, und hat ſeine Regeln und
Nothwendigkeiten, die ſich auch unbewußt in
den meiſten Faͤllen ausſprechen.

Wie koͤnnte es wohl einem verſtaͤndigen
Menſchen etwas anders ſein? unterbrach ihn
Wilibald mit Lachen; o wie oft iſt doch unbe-
wußt der Luſtſpieldichter ſelbſt ein erfreulicher
Gegenſtand fuͤr ein Luſtſpiel!

Laß ihn ſprechen, ſagte Manfred, magſt du
doch die Mahlzeit nachher mit einer Schlacht,
oder gar mit der Weltgeſchichte vergleichen; am
Tiſch muß unbedingte Gedanken- und Eßfreiheit
herrſchen.

Daß die abwechſelnden Gerichte und Gaͤnge,
fuhr Lothar fort, ſich mit Akten und Scenen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0080" n="69"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
den Spatziergang von neuem mit Schiffbruch<lb/>
bedroht. O Gott! und nach allen die&#x017F;en Leiden<lb/>
&#x017F;oll un&#x017F;er eins nachher noch liebenswu&#x0364;rdig &#x017F;ein!</p><lb/>
        <p>Das i&#x017F;t ja eben die Liebenswu&#x0364;rdigkeit, &#x017F;agte<lb/>
Augu&#x017F;te, denn wenn euch alles entgegen getra-<lb/>
gen, allen euren Launen ge&#x017F;chmeichelt wird,<lb/>
wenn man euch &#x017F;o &#x017F;chlicht hin fu&#x0364;r Herr&#x017F;cher er-<lb/>
kla&#x0364;rt, daß ihr dann zuweilen ein wenig liebens-<lb/>
wu&#x0364;rdig &#x017F;eid, i&#x017F;t doch wahrlich kein Verdien&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Um wieder auf die Suppe zu kommen, die<lb/>
jetzt geno&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t, &#x017F;agte Lothar, &#x017F;o ru&#x0364;hrt es wohl<lb/>
nicht &#x017F;o &#x017F;ehr von einem materiellen Bedu&#x0364;rfniß<lb/>
her, daß man bei ihr wenig &#x017F;pricht, &#x017F;ondern<lb/>
mich du&#x0364;nkt jedes Mahl und Fe&#x017F;t i&#x017F;t einem<lb/>
Schau&#x017F;piel, am be&#x017F;ten einem Shak&#x017F;pear&#x017F;chen Lu&#x017F;t-<lb/>
&#x017F;piel, zu vergleichen, und hat &#x017F;eine Regeln und<lb/>
Nothwendigkeiten, die &#x017F;ich auch unbewußt in<lb/>
den mei&#x017F;ten Fa&#x0364;llen aus&#x017F;prechen.</p><lb/>
        <p>Wie ko&#x0364;nnte es wohl einem ver&#x017F;ta&#x0364;ndigen<lb/>
Men&#x017F;chen etwas anders &#x017F;ein? unterbrach ihn<lb/>
Wilibald mit Lachen; o wie oft i&#x017F;t doch unbe-<lb/>
wußt der Lu&#x017F;t&#x017F;pieldichter &#x017F;elb&#x017F;t ein erfreulicher<lb/>
Gegen&#x017F;tand fu&#x0364;r ein Lu&#x017F;t&#x017F;piel!</p><lb/>
        <p>Laß ihn &#x017F;prechen, &#x017F;agte Manfred, mag&#x017F;t du<lb/>
doch die Mahlzeit nachher mit einer Schlacht,<lb/>
oder gar mit der Weltge&#x017F;chichte vergleichen; am<lb/>
Ti&#x017F;ch muß unbedingte Gedanken- und Eßfreiheit<lb/>
herr&#x017F;chen.</p><lb/>
        <p>Daß die abwech&#x017F;elnden Gerichte und Ga&#x0364;nge,<lb/>
fuhr Lothar fort, &#x017F;ich mit Akten und Scenen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[69/0080] Einleitung. den Spatziergang von neuem mit Schiffbruch bedroht. O Gott! und nach allen dieſen Leiden ſoll unſer eins nachher noch liebenswuͤrdig ſein! Das iſt ja eben die Liebenswuͤrdigkeit, ſagte Auguſte, denn wenn euch alles entgegen getra- gen, allen euren Launen geſchmeichelt wird, wenn man euch ſo ſchlicht hin fuͤr Herrſcher er- klaͤrt, daß ihr dann zuweilen ein wenig liebens- wuͤrdig ſeid, iſt doch wahrlich kein Verdienſt. Um wieder auf die Suppe zu kommen, die jetzt genoſſen iſt, ſagte Lothar, ſo ruͤhrt es wohl nicht ſo ſehr von einem materiellen Beduͤrfniß her, daß man bei ihr wenig ſpricht, ſondern mich duͤnkt jedes Mahl und Feſt iſt einem Schauſpiel, am beſten einem Shakſpearſchen Luſt- ſpiel, zu vergleichen, und hat ſeine Regeln und Nothwendigkeiten, die ſich auch unbewußt in den meiſten Faͤllen ausſprechen. Wie koͤnnte es wohl einem verſtaͤndigen Menſchen etwas anders ſein? unterbrach ihn Wilibald mit Lachen; o wie oft iſt doch unbe- wußt der Luſtſpieldichter ſelbſt ein erfreulicher Gegenſtand fuͤr ein Luſtſpiel! Laß ihn ſprechen, ſagte Manfred, magſt du doch die Mahlzeit nachher mit einer Schlacht, oder gar mit der Weltgeſchichte vergleichen; am Tiſch muß unbedingte Gedanken- und Eßfreiheit herrſchen. Daß die abwechſelnden Gerichte und Gaͤnge, fuhr Lothar fort, ſich mit Akten und Scenen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/80
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/80>, abgerufen am 22.11.2024.