Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
genden Berg mit seinen vielfach grünenden Ge-
büschen und schönen Waldparthieen vor sich
hatte; zunächst war ein runder Wiesenplan des
Gartens, welchen die lieblichsten Blumengrup-
pen umdufteten, und als Krone des grünen
Platzes glänzte und rauschte in der Mitte ein
Springbrunnen, der durch sein liebliches Getön
gleich sehr zum Schweigen wie zum Sprechen
einlud.

Alle setzten sich, Wilibald zwischen Auguste
und Clara, neben dieser ließ Anton sich nieder,
und ihm zunächst Emilie, zwischen ihr und Ro-
salien hatte Friedrich seinen Platz gefunden, an
welche sich Lothar schloß, und neben ihm saßen
die übrigen Männer. Auf dem Tische prang-
ten Blumen in geschmackvollen Gefäßen und in
zierlichen Körben frühe Kirschen. Wie kommt
es, fing die ältere Emilie nach einer Pause an,
daß es bei jeder Tischgesellschaft im Anfang still
zugeht? Man ist nachdenkend und sieht vor sich
nieder, auch erwartet Niemand ein lebhaftes Ge-
spräch, denn es scheint, daß die Suppe eine
gewisse ernste, ruhige Stimmung veranlaßt, die
gewöhnlich sehr mit dem Beschluß der Mahlzeit
und dem Nachtische kontrastirt.

Vieles erklärt der Hunger, sagte Wilibald,
der sich meistentheils erst durch die Nähe der
Speisen meldet, besonders, wenn man später zu
Tische geht, als es festgesetzt war, denn War-
ten macht hungrig, dann durstig, und wenn es

Einleitung.
genden Berg mit ſeinen vielfach gruͤnenden Ge-
buͤſchen und ſchoͤnen Waldparthieen vor ſich
hatte; zunaͤchſt war ein runder Wieſenplan des
Gartens, welchen die lieblichſten Blumengrup-
pen umdufteten, und als Krone des gruͤnen
Platzes glaͤnzte und rauſchte in der Mitte ein
Springbrunnen, der durch ſein liebliches Getoͤn
gleich ſehr zum Schweigen wie zum Sprechen
einlud.

Alle ſetzten ſich, Wilibald zwiſchen Auguſte
und Clara, neben dieſer ließ Anton ſich nieder,
und ihm zunaͤchſt Emilie, zwiſchen ihr und Ro-
ſalien hatte Friedrich ſeinen Platz gefunden, an
welche ſich Lothar ſchloß, und neben ihm ſaßen
die uͤbrigen Maͤnner. Auf dem Tiſche prang-
ten Blumen in geſchmackvollen Gefaͤßen und in
zierlichen Koͤrben fruͤhe Kirſchen. Wie kommt
es, fing die aͤltere Emilie nach einer Pauſe an,
daß es bei jeder Tiſchgeſellſchaft im Anfang ſtill
zugeht? Man iſt nachdenkend und ſieht vor ſich
nieder, auch erwartet Niemand ein lebhaftes Ge-
ſpraͤch, denn es ſcheint, daß die Suppe eine
gewiſſe ernſte, ruhige Stimmung veranlaßt, die
gewoͤhnlich ſehr mit dem Beſchluß der Mahlzeit
und dem Nachtiſche kontraſtirt.

Vieles erklaͤrt der Hunger, ſagte Wilibald,
der ſich meiſtentheils erſt durch die Naͤhe der
Speiſen meldet, beſonders, wenn man ſpaͤter zu
Tiſche geht, als es feſtgeſetzt war, denn War-
ten macht hungrig, dann durſtig, und wenn es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0077" n="66"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
genden Berg mit &#x017F;einen vielfach gru&#x0364;nenden Ge-<lb/>
bu&#x0364;&#x017F;chen und &#x017F;cho&#x0364;nen Waldparthieen vor &#x017F;ich<lb/>
hatte; zuna&#x0364;ch&#x017F;t war ein runder Wie&#x017F;enplan des<lb/>
Gartens, welchen die lieblich&#x017F;ten Blumengrup-<lb/>
pen umdufteten, und als Krone des gru&#x0364;nen<lb/>
Platzes gla&#x0364;nzte und rau&#x017F;chte in der Mitte ein<lb/>
Springbrunnen, der durch &#x017F;ein liebliches Geto&#x0364;n<lb/>
gleich &#x017F;ehr zum Schweigen wie zum Sprechen<lb/>
einlud.</p><lb/>
        <p>Alle &#x017F;etzten &#x017F;ich, Wilibald zwi&#x017F;chen Augu&#x017F;te<lb/>
und Clara, neben die&#x017F;er ließ Anton &#x017F;ich nieder,<lb/>
und ihm zuna&#x0364;ch&#x017F;t Emilie, zwi&#x017F;chen ihr und Ro-<lb/>
&#x017F;alien hatte Friedrich &#x017F;einen Platz gefunden, an<lb/>
welche &#x017F;ich Lothar &#x017F;chloß, und neben ihm &#x017F;aßen<lb/>
die u&#x0364;brigen Ma&#x0364;nner. Auf dem Ti&#x017F;che prang-<lb/>
ten Blumen in ge&#x017F;chmackvollen Gefa&#x0364;ßen und in<lb/>
zierlichen Ko&#x0364;rben fru&#x0364;he Kir&#x017F;chen. Wie kommt<lb/>
es, fing die a&#x0364;ltere Emilie nach einer Pau&#x017F;e an,<lb/>
daß es bei jeder Ti&#x017F;chge&#x017F;ell&#x017F;chaft im Anfang &#x017F;till<lb/>
zugeht? Man i&#x017F;t nachdenkend und &#x017F;ieht vor &#x017F;ich<lb/>
nieder, auch erwartet Niemand ein lebhaftes Ge-<lb/>
&#x017F;pra&#x0364;ch, denn es &#x017F;cheint, daß die Suppe eine<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;e ern&#x017F;te, ruhige Stimmung veranlaßt, die<lb/>
gewo&#x0364;hnlich &#x017F;ehr mit dem Be&#x017F;chluß der Mahlzeit<lb/>
und dem Nachti&#x017F;che kontra&#x017F;tirt.</p><lb/>
        <p>Vieles erkla&#x0364;rt der Hunger, &#x017F;agte Wilibald,<lb/>
der &#x017F;ich mei&#x017F;tentheils er&#x017F;t durch die Na&#x0364;he der<lb/>
Spei&#x017F;en meldet, be&#x017F;onders, wenn man &#x017F;pa&#x0364;ter zu<lb/>
Ti&#x017F;che geht, als es fe&#x017F;tge&#x017F;etzt war, denn War-<lb/>
ten macht hungrig, dann dur&#x017F;tig, und wenn es<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[66/0077] Einleitung. genden Berg mit ſeinen vielfach gruͤnenden Ge- buͤſchen und ſchoͤnen Waldparthieen vor ſich hatte; zunaͤchſt war ein runder Wieſenplan des Gartens, welchen die lieblichſten Blumengrup- pen umdufteten, und als Krone des gruͤnen Platzes glaͤnzte und rauſchte in der Mitte ein Springbrunnen, der durch ſein liebliches Getoͤn gleich ſehr zum Schweigen wie zum Sprechen einlud. Alle ſetzten ſich, Wilibald zwiſchen Auguſte und Clara, neben dieſer ließ Anton ſich nieder, und ihm zunaͤchſt Emilie, zwiſchen ihr und Ro- ſalien hatte Friedrich ſeinen Platz gefunden, an welche ſich Lothar ſchloß, und neben ihm ſaßen die uͤbrigen Maͤnner. Auf dem Tiſche prang- ten Blumen in geſchmackvollen Gefaͤßen und in zierlichen Koͤrben fruͤhe Kirſchen. Wie kommt es, fing die aͤltere Emilie nach einer Pauſe an, daß es bei jeder Tiſchgeſellſchaft im Anfang ſtill zugeht? Man iſt nachdenkend und ſieht vor ſich nieder, auch erwartet Niemand ein lebhaftes Ge- ſpraͤch, denn es ſcheint, daß die Suppe eine gewiſſe ernſte, ruhige Stimmung veranlaßt, die gewoͤhnlich ſehr mit dem Beſchluß der Mahlzeit und dem Nachtiſche kontraſtirt. Vieles erklaͤrt der Hunger, ſagte Wilibald, der ſich meiſtentheils erſt durch die Naͤhe der Speiſen meldet, beſonders, wenn man ſpaͤter zu Tiſche geht, als es feſtgeſetzt war, denn War- ten macht hungrig, dann durſtig, und wenn es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/77
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/77>, abgerufen am 22.11.2024.